von Lukas Franke, 20.2.15
Die Einigung Europas im Rahmen der heutigen EU gilt als eine der größten historischen Leistungen der jüngeren Geschichte, die nach Jahrhunderten, geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen und schließlich dem bis dato größten Gemetzel der Weltgeschichte, Frieden und wirtschaftlichen Wohlstand auf den alten Kontinent brachte. Deutschland kommt darin eine Sonderrolle zu: Denn nachdem die „verspätete Nation“ zunächst zwei Weltkriege lostrat, bis 1945 die halbe Welt in Schutt und Asche legte und für Millionen Tote auf den Schlachtfeldern und in den KZs verantwortlich war, besann man sich in den Trümmern des „Tausendjährigen Reichs“ eines besseren.
Von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl war deutsche Europapolitik daher immer geprägt von Kompromissbereitschaft, dem Bemühen um einen Interessenausgleich und davon, dass kleine Länder proportional stärker sind als große. So konnte in den Jahrzehnten seit 1945 Vertrauen wachsen, so wurden Grenzen und Ressentiments abgebaut, und sogar das Bild des hässlichen Deutschen begann zu verblassen. Seit dem Ausbruch der so genannten Eurokrise, die ja in Wahrheit keine Krise der Staatsschulden, sondern eine Banken- und Spekulationskrise ist, droht dieses Bild wieder aufzuerstehen. Denn Angela Merkel und Wolfgang Schäuble scheinen vergessen zu haben, was deutsche Europa- und Finanzpolitik in den letzten Jahrzehnten erfolgreich gemacht hat: Kompromissbereitschaft und ein offenes Scheckbuch haben Deutschland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch erfolgreich gemacht. Merkel und Schäuble hingegen sind die ersten deutschen Spitzenpolitiker seit dem Zweiten Weltkrieg, die unverhohlen als Spitzenvertreter einer Hegemonialmacht auftreten, die dem Rest der Eurozone und insbesondere den Südeuropäern ihre Vorstellung von einem Europa nach deutschem Bilde aufzwingen.
Ging es in den letzten Jahrzehnten stets darum, ein europäisches Deutschland anzustreben, so zielt die Politik von Merkel und Schäuble nun unverhohlen auf ein deutsches Europa. Wer sich Merkels Vorstellung der marktkonformen Demokratie, in der die Interessen der (deutschen) Banken und Konzerne mehr zählen als jede demokratische Wahl, nicht unterordnet, der wird bestraft. Im Verhältnis zu Athen spielt sich der deutsche Finanzminister denn auch als schwäbischer Zuchtmeister auf, der weder auf historische Sensibilitäten noch ökonomischen Sachverstand Rücksicht zu nehmen braucht.
Das ist umso schlimmer, als es im Verhältnis zu Griechenland in besonderer Weise sowohl um historische Sensibilität als auch um ökonomischen Sachverstand ginge. Denn die Erinnerungen an die deutsche Besatzung während des Balkanfeldzuges 1941 sind durchaus noch lebendig – und die deutsche Überheblichkeit, mit der etwa die Forderung nach Rückzahlung der Zwangsanleihe aus dem Jahr 1942 abgebügelt wird, weckt ungute Assoziationen. Umso mehr, als den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg auf einer Konferenz in London 1953 unter anderem auch von den Griechen Schulden in ganz großem Maßstab erlassen wurden und damit der wirtschaftliche Wiederaufstieg überhaupt erst ermöglicht wurde. Im Verhältnis zu Griechenland freilich wähnte sich die von Altnazis durchsetzte Verwaltung der alten BRD auch 1960 noch überlegen – und schwatzte Athen eine einmalige Reparationszahlung von gerade mal 115 Millionen D-Mark auf, die Schäubles Beamte in diesen Tagen als Grundlage nehmen, um Griechenland reichlich von oben herab mitzuteilen, dass damit auch Zwangsanleihen als abgegolten betrachtet würden.
Reichlich überheblich agiert Schäuble auch in Sachen Ökonomie. Eigentlich müsste der deutsche Finanzminister ganz genau wissen, dass Tsipras und Varoufakis recht haben, dass es unter dem gegenwärtigen Spardiktat für Griechenland schlechterdings unmöglich ist, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen, zumal das Land eine traditionell schwache industrielle Struktur hat und insofern nicht mit Spanien oder Irland vergleichbar ist. Nicht nachvollziehbar wirkt die radikale deutsche Linie auch angesichts der wenig radikalen Vorschläge des Post-Keynesianers Varoufakis, der lediglich die Bedingungen für eine wirtschaftliche Erholung des Landes und einen zuverlässigen Schuldendienst der Hellenen schaffen will.
Zuchtmeister Schäuble ficht all das nicht an. Seine Parole gegenüber Griechenland scheint wieder zu lauten „Pardon wird nicht gegeben“. Angeblich geht es ihm um irgendein Prinzip, tatsächlich will er wohl ein Exempel statuieren, um die Vormachtstellung deutschen Kapitals in Europa dauerhaft zu sichern. Denn: Ein wirtschaftlicher Absturz Südeuropas könnte deutschen Unternehmen durchaus ins Kalkül passen, wäre dieser doch auch mit einem gigantischen Niedriglohnsektor verbunden, der hierzulande in dieser Form dann doch schwerer durchsetzbar wäre.
Vor dem Hintergrund historischer Erfahrung scheint es jedoch fraglich, ob dieser Neo-Wilheminismus von Merkel und Schäuble aufgehen kann. Bismarck hatte verstanden, dass es für Vertreter des größten und wirtschaftlich stärksten Landes des Kontinents stets am klügsten ist, den Nachbarländern entgegenzukommen und laute Töne, Dominanz und Hegemoniestreben zu meiden. Seine Nach-Nachfolger scheinen lieber in die Fußstapfen Wilhelm II. zu treten und endlich einen „Platz an der Sonne“ zu fordern. Wenn dieser auf einer privatisierten griechischen Insel liegt, scheint ihnen das recht zu sein.
Mehr zum Thema: Im Tal der Ahnungslosen. Ein Interview zur deutschen Griechenland-Berichterstattung mit dem Publizisten Robert Misik (2.2.15), Kein Kredit für Antisemiten: Wie SPIEGEL und WELT die Regierung in Athen enttarnen (4.2.15) und Griechenland Exit: Was gilt – Verträge oder Demokratie? (17.2.15) von Stefan Heidenreich sowie Athen: Der Rauswurf der Spar-Sadisten und der Plan von Finanzminister Varoufakis von Ralph Heidenreich und Stefan Heidenreich (1.2.15)
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