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Die SPD vor der Europawahl

von , 27.3.14

In Kreisen der SPD schwanken die Erwartungen an den 25. Mai zwischen Albtraum und Heilsversprechen. Zwischen einer starken europaskeptischen Fraktion im Europaparlament einerseits und andererseits einem Demokratieschub für die Europäische Union, weil zum ersten Mal eine Wahl Einfluss darauf hat, wer Kommissionspräsident wird. Dabei ist die deutsche Sozialdemokratie mit drei weitergehenden Herausforderungen konfrontiert: sich abzugrenzen von der Union, ohne aber den Koalitionsfrieden in Berlin zu gefährden; den Millionen jungen Arbeitslosen eine Perspektive aufzuzeigen, ohne aber die angespannten öffentlichen Haushalte zu vergessen, und schließlich die Lust zu wecken, über Europa mitzubestimmen, ohne aber die Wahl mit Versprechungen zu überfrachten.

Es gehört zum Wesen von großen Koalitionen, dass die Konturen der politischen Positionen etwas weicher gezeichnet werden und die Unterschiede der beiden Partner verschwimmen. Die Europapolitik ist keine Ausnahme. Naturgemäß erfordern Wahlkämpfe das Gegenteil: klare Positionen und scharfe Abgrenzung. Wachstumsimpulse und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, mehr Demokratie und weniger Bürokratie, Regeln für die Banken und Standards für Beschäftigung, Bildung und Sozialpolitik – das ist der Kern, mit dem die SPD in den Europawahlkampf zieht. Überschriften, die man mit einem etwas anderen Akzent – und mit Ausnahme der Sozialstandards – auch bei der CDU findet. Die Unterschiede liegen in den Details. Für den Wahlkampf wird das kaum reichen.

 

Erste gesamteuropäische Kampagne

Die SPD fährt im Europawahlkampf zum ersten Mal eine gesamteuropäische Kampagne. Das erfordert naheliegender Weise auch eine gesamteuropäische Wähleransprache – was gar nicht so leicht ist. Denn die SPD muss ein glaubwürdiges Angebot an eine europäische Wählerschaft machen, die gegensätzliche Interessen verfolgt – im Süden ein Mehr an Finanzhilfen, um Wachstum anzukurbeln und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, im Norden die Fortführung der Haushaltskonsolidierung. Was die EU-Bürger eint, ist eine gefühlte Ohnmacht gegenüber der europäischen Politik und der Wunsch, Entscheidungen auf EU-Ebene stärker beeinflussen zu können.

In der heißen Wahlkampfphase sollte die SPD auf die skizzierten Herausforderungen reagieren, indem sie ihre Kampagne auf ein doppeltes Versprechen zuspitzt: Zum einen die sofortige Schaffung des Initiativrechts für das Europäische Parlament. Zum anderen die Einrichtung eines Rettungsschirms für Jobs. Dadurch schafft sie bei den sozialdemokratischen Kernthemen Demokratie und Arbeit eine Differenzierung zur Union. Außerdem erreicht sie damit beide Teile der europäischen Wählerschaft: den Süden über die Aussicht auf Arbeitsplätze, den Norden über ein gestärktes Parlament, das den Bürgern zu mehr Einfluss auf die europäische Politik verhilft. Mit Martin Schulz steht schließlich ein Kandidat bereit, der mit seinem Aufstieg vom Buchhändler zum Parlamentspräsidenten das Themenpaar glaubwürdig vertritt.

 

Initiativrecht für das Parlament

Das Europaparlament mit dem Initiativrecht auszustatten, also den Abgeordneten zu gestatten, eigene Gesetzentwürfe einzubringen, was bisher nur die Kommission kann – das ist keine neue Forderung. Anders verhält es sich mit der sofortigen Einführung – vor allem wenn dies ohne Änderung des Primärrechts, also der europäischen Verträge, erfolgen soll. Dennoch gibt es einen politisch gangbaren Weg. Holzschnittartig und wahlkampftauglich formuliert: Martin Schulz verspricht, dass er als Kommissionspräsident alle Gesetzesinitiativen des Parlaments als Vorschläge der Kommission in den Gesetzgebungsprozess einbringt. Etwas technischer und die Untiefen des Unionsrechts würdigend: Gegenwärtig kann das Parlament durch Artikel 225 Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) die Kommission auffordern, einen Legislativvorschlag auszuarbeiten; die Kommission kann dies jedoch unter Angabe von Gründen ablehnen. Martin Schulz sollte deshalb versprechen, ein ‘inter-institutional agreement’ (Artikel 295 AEUV) – hinter diesem terminus technicus verbirgt sich nicht mehr als Regeln über die Zusammenarbeit der Institutionen – zwischen Kommission und Parlament zu schließen. Darin wird vereinbart, dass die Kommission nach einer Aufforderung durch Artikel 225 AEUV unverzüglich einen Vorschlag in den Gesetzgebungsprozess einbringt. Mehr noch: Fügt das Parlament einer Aufforderung im Anhang gleich einen eigenen Gesetzesentwurf bei, dann wird dieser unverändert eingebracht.

Man mag einwenden, dass ein solches Vorgehen bei den nationalen Regierungen auf wenig Gegenliebe stoßen würde. Das ist richtig, dem Vorhaben schadet es indes nicht. Die Staats- und Regierungschefs müssten öffentlich ihre Opposition zum Initiativrecht und damit zur weiteren Demokratisierung der EU begründen: die Verantwortlichen für das gerne als undemokratisch gescholtene Europa wären nicht mehr in Brüssel, sondern in den Hauptstädten zu verorten. Auch eine Klärung beim Europäischen Gerichtshof würde – unabhängig vom Ausgang – mindestens in monatelanger Aufmerksamkeit für die Demokratisierung Europas resultieren. Zu guter Letzt verspricht das Thema auch bei den Wählern zu verfangen: Rund zwei Drittel der EU-Bürger finden, ihre Stimme zähle in der EU nicht. Was, wenn nicht Abgeordnete, die endlich selbst Gesetze schreiben dürfen, vergrößert den Einfluss auf europäische Entscheidungen?

 
h2Ein Rettungsschirm für Jobs

Die Europäische Zentralbank, so lautet das Urteil der meisten Beobachter, ist die einzige europäische Institution, die ihr äußerstes getan hat, um die Eurokrise einzuhegen. Ihrem Vorbild folgt der zweite Teil des Versprechens: ein Rettungsschirm für Jobs. Das Zentralbankmodell auf die Dimension Arbeit anzuwenden, ist nicht neu: 2009 schlug der Ökonom Martin Shubik in den USA die Gründung einer „Federal Employment Reserve Authority“ vor, welche die Arbeitslosigkeit innerhalb eines gesellschaftlich akzeptierten Rahmens halten soll. Auf die EU übertragen könnte dies etwa wie folgt aussehen: Eine europäische Behörde, die mit dreierlei betraut wird – Überwachung der Arbeitslosenquote, Identifizierung von öffentlichen Projekten, die sofort umsetzbar wären, und schließlich Durchführung und Finanzierung der Vorhaben, wenn die Arbeitslosigkeit einen vorher definierten und regional abgestuften Korridor verlässt. Im Grunde folgt dies dem Gedanken der EZB, nur dass nicht das Preisniveau, sondern die Arbeitslosigkeit innerhalb eines bestimmten Korridors gehalten wird und dass nicht Zinssätze, sondern öffentliche Projekte der Hebel sind.

Klar ist: Der Rettungsschirm für Jobs bräuchte zusätzliche öffentliche Mittel in Milliardenhöhe, um effektiv arbeiten zu können. Bisher waren die Mitgliedsstaaten kaum bereit, einen zusätzlichen finanziellen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu leisten. Exemplarisch dafür stehen die mickrigen sechs Milliarden Euro, die in der EU-Jugendbeschäftigungsinitiative bis 2020 verteilt werden sollen. Auch Finanzierungsvarianten, die die öffentlichen Kassen schonen – wie beispielsweise eine eigene Anleihe des Rettungsschirms – werden kaum Begeisterungsstürme in Berlin, Helsinki oder Wien auslösen.

 

Politisierung der Europapolitik

Eine Patentlösung, diese Blockade zu brechen, gibt es nicht. Ein Anfang liegt aber in der Politisierung der Europapolitik. Dazu braucht es einen Europawahlkampf, der die politische Kontroverse sucht, zum Beispiel bei den Themen Demokratie und Arbeit. Ein SPD-Wahlkampf, der auf dieses doppelte Versprechen setzt, hätte mindestens die Chance, ein klares demokratisches Mandat zu produzieren. Mit einem positiven Votum in der Hand könnte ein Kommissionspräsident Martin Schulz selbstbewusst eine angemessene Finanzierung einfordern. Die Staats- und Regierungschefs wären gezwungen, sich öffentlich gegen weitere Mittel und damit gegen eine umfassende Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu positionieren.

Damit wäre man zumindest Jürgen Habermas’ Forderung, das europäische Projekt „auf den hemdsärmeligen Modus eines lärmend-argumentierenden Meinungskampfes in der Öffentlichkeit“ umzupolen, einen entscheidenden Schritt nähergekommen.
 

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