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Die schöne Geschichte von #offshoreleaks und weitere lästige Fragen

von , 17.6.13

Seit dem 4. April, 00:05 Uhr mitteleuropäischer Zeit, enthüllt ein exklusives Medien-Konsortium die skandalösen Praktiken zahlreicher Steueroasen. Grundlage der Berichte, die unter dem Label „Offshore Leaks“ um die Welt gehen, ist eine Festplatte, die rund 260 Gigabyte an Daten über 130.000 Steuervermeider aus 170 Ländern enthält. Doch wie kam es zu diesem gewaltigen Datenleck und wer hat die Informationen an wen „verraten“?

Spricht man mit den Beteiligten, so erfährt man bestenfalls eine hübsche Legende. Denn es gehört zur Berufsehre aller investigativ arbeitenden Journalisten, ihre Quellen zu schützen. Würden sie das nicht tun, bekämen sie keine Informationen mehr, und das Geschäftsmodell der Enthüllungsreporter wäre zerstört. Quellenschutz hat deshalb oberste Priorität. Auch der Watergate-Skandal wäre nie enthüllt worden, wenn „Deep Throat“, die plaudernde Quelle (bei der es sich um den stellvertretenden FBI-Direktor Mark Felt handelte), nicht sicher gewesen wäre, dass die beiden Washington Post-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein dichthalten.

Die reale Vorgeschichte zu „Offshore Leaks“ geht so: Der australische Reporter Gerard Ryle, der 2007 das Investigativteam des Sidney Morning Herald leitete, war einem Riesenskandal auf der Spur. Er recherchierte die unglaubliche Erfolgsstory eines Unternehmens, das behauptete, eine „magische Pille“ entwickelt zu haben: Werfe man die Pille in den Tank eines Fahrzeugs, verbrenne der Motor den Treibstoff wesentlich effektiver. Resultat: mehr Leistung, weniger Schadstoffausstoß. Viele Armeen (auch die russische und die britische) interessierten sich für die Wunderpille. Die australische Regierung förderte das Unternehmen, die australischen Botschaften verkündeten die technische Sensation in der ganzen Welt. Im Gegenzug spendete der geniale Unternehmer Geld an die Partei des Premierministers und sponserte bekannte Rugby- und Basketball-Teams.

Die so erzeugte öffentliche Aufmerksamkeit half dem Unternehmen, 100 Millionen Dollar bei neugierigen Anlegern einzusammeln. Tim Johnston, der Chef, investierte das Geld aber nicht in seine Firma, sondern verschob es auf die British Virgin Islands (eine berüchtigte Steueroase). Seine Wunder-Firma „Firepower“ blieb ein Potemkinsches Dorf. 2007 ging Johnston bankrott, das Geld war weg. Doch der Nachweis von Johnstons Machenschaften gelang der australischen Finanzaufsichtsbehörde ASIC erst, als im Februar 2009 Dateien auftauchten, die den kompletten Email-Verkehr des Unternehmens enthielten. Kurz darauf erschien Ryles Bestseller „Firepower. Der spektakulärste Betrug in der Geschichte Australiens.“

 

Die Medien als Schiedsrichter?

Zurück zu Offshore Leaks: Die ominöse Quelle, die jene 260 Gigabyte per Post verschickte, soll Ryles Berichterstattung in Sachen Firepower genauestens studiert haben. Das Vertrauen, das dabei entstand, habe die Quelle letztlich bewogen, Ryle – und keinem anderen – die Offshore-Daten zu übergeben. Das war 2010 oder 2011. So erzählen es jedenfalls die Beteiligten.

Im September 2011 wurde Ryle Direktor des in Washington ansässigen „Internationalen Konsortiums für Investigativen Journalismus“, kurz ICIJ. Nun hatte Ryle die Ressourcen, den Medien-Scoop als globale Enthüllung zu planen. Zusammen mit Daten-Forensikern und dem innersten Kreis des ICIJ machte er sich an die Arbeit. Eine Handvoll Leute bestimmte, wer am Scoop teilhaben sollte, welcher Aufwand an Geheimhaltung angemessen war und wie generalstabsmäßig die „Operation Offshore Leaks“ ablaufen sollte.

Die erste Veröffentlichungswelle am 4. April glich einem wahren Tsunami. Rund um den Globus wurde getickert, es handle sich um „das größte Daten-Leck aller Zeiten“, größer noch als die US-Botschaftsdepeschen, die WikiLeaks 2011 veröffentlicht hatte. Doch anders als die anarchische Konkurrenz um Assange habe man die Daten mit größter Sorgfalt geprüft und ausgewählt. Das heißt, das ICIJ nahm für sich in Anspruch, selbst darüber zu entscheiden, wer von den 130.000 Steuervermeidern strafrechtlich verfolgt werden sollte – und wer nicht. Man entschied weniger nach moralischen Maßstäben als nach der Verwertungslogik des Mediengeschäfts. Auflagen steigernd waren vor allem die spektakulären Fälle: Minister, Despoten, Promis. Harmlose Zahnärzte aus Husum, die ein paar Millionen Euro in Offshore-Trusts vergraben hatten, wollte man nicht ans Messer liefern.

Nach der ersten Medienwelle, deren Höhepunkt in Deutschland die Offshore-Verstrickung des verstorbenen Playboys Gunter Sachs war, setzte Ernüchterung ein. Wer sich noch erinnern kann: Auch der Hype um die Stratfor-Mails und die US-Botschaftsdepeschen (Cablegate) hat nicht lange vorgehalten. Der Schweizer Journalist René Zeyer entdeckte im neuen „Gigabyte-Gigantismus“ der Datenjournalisten viel „heiße Luft“. Er ging sogar so weit, den Offshore Leaks-Scoop als „Presseskandal“ zu bezeichnen. Warum, so könnte man fragen, haben die Medien die Daten nicht einfach genutzt – ohne den Besitz der Festplatte an die große Glocke zu hängen?

 

Die Finanzbehörden wussten längst Bescheid

Einige Wochen nach der ersten Medienwelle mussten die Enthüllungs-Medien kleinlaut eingestehen, dass die Finanzaufsichtsbehörden Australiens, Großbritanniens und der USA die Offshore Leaks-Daten bereits seit drei Jahren besaßen – sie hatten sogar mehr Material zur Verfügung als die Medien. Da wirkte die großspurige Ansage der SZ, sie werde die Daten auf keinen Fall dem Finanzminister übergeben, ziemlich peinlich.

Viele Beobachter fragen sich nun: Was haben die Behörden drei Jahre lang mit den Daten gemacht? Von wem wissen sie, dass es die gleichen Daten sind, die in den Medien-Tresoren liegen? Und warum haben sie überhaupt in die Öffentlichkeit hinausposaunt, dass sie die Daten besitzen? Wegen des im Juni bevorstehenden G 8-Gipfels, der Steueroasen austrocknen will?

Rätselhaft bleibt auch dies: Warum hat die Quelle die Daten 2010 sowohl an die Behörden als auch an Ryle gesandt? Wusste Ryle von der Doppelverwertung, oder hat ihn die Quelle getäuscht? Stammt die Quelle etwa selbst aus dem Umfeld jener Behörden, die im Zuge der Firepower-Ermittlungen auf die Offshore-Daten stießen?

Vieles spricht heute dafür, dass die Daten als Kollateralnutzen des Firepower-Falls zum Vorschein kamen. Was auch die Frage aufwirft, ob Enthüllungs-Journalisten hier unfreiwillig zu Erfüllungsgehilfen staatlicher Interessen wurden.

(Eine Kurzversion des obigen Textes ist am 23. Mai im Freitag erschienen)

 

Update 16.6.


Aufgrund der Kritik, das ICIJ schwinge sich mit seiner Veröffentlichungsauswahl zum Schiedsrichter in Sachen Steuerfahndung auf, hat sich das Journalisten-Konsortium nun entschlossen, das komplette Datenpaket ins Netz zu stellen. Nein, nicht das komplette Paket, sondern eine „gereinigte“ Version, sozusagen die FSK-Fassung „Frei ab 12“.

Ich habe hier auf Carta mehrfach Zweifel am vermeintlichen „Medien-Scoop Offshoreleaks“ angemeldet (z.B. hier und hier). Ich kann natürlich falsch liegen, aber der Ablauf der Aktion, die Lücken im Datenmaterial, die (vergleichsweise) mageren Ergebnisse und die Geheimniskrämerei forderten so genannte Routinefragen geradezu heraus.

Durch die jüngsten Enthüllungen des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowdon werden nun neue Routinefragen aufgeworfen. Denn Snowden hat deutlich gemacht, wie umfassend die amerikanischen Geheimdienste seit Jahren Chinas Wirtschaft (vor allem Chinas Schattenwirtschaft) unter die Lupe nehmen. Snowden laut Focus:

„Am Mittwoch warf er den USA vor, weltweit mehr als 61 000 Hacking-Aktionen durchgeführt zu haben. Besonders betroffen gewesen seien China und Hongkong. Die Operationen seien seit 2009 im Gange, sagte Snowden der South China Morning Post.“

2009 – wir erinnern uns – wurde auch der E-Mail-Verkehr der australischen Firma Firepower abgefangen.

 

Ist Offshoreleaks ein Kollateralnutzen der Wirtschaftsspionage?

Hongkong ist die bedeutendste Steueroase Chinas. Dort verstecken reiche Chinesen mit Hilfe verschwiegener Banken und Anwaltskanzleien ihre zusammengerafften Volksvermögen. Aber auch ausländische Konzerne schätzen die deregulierte Sonderverwaltungszone sehr. Der amerikanische Anti-Korruptionsanwalt Jack Blum meint: „Konzerne, die in China Geschäfte machten, gründeten in Hongkong Gesellschaften mit geheimen Besitzverhältnissen. Heute findet der Großteil der chinesischen Korruption in Hongkong statt.“ Ähnliches gilt wohl für das zweite große Geldwäschezentrum Singapur im Hinblick auf Geschäfte in Indonesien.

Es wäre daher zu fragen, ob nicht im Zuge der globalen Informationsabschöpfung durch die US-Dienste auch die Offshoreleaks-Daten als Kollateralnutzen mit angefallen sind? Sie stammen ja – wie bekannt – von den Servern der beiden Dienstleistungsunternehmen Portcullis TrustNet und Commonwealth Trust Limited, die in Singapur bzw. Hongkong residieren. Ein lohnendes Ziel für jede Wirtschaftsspionage. Da die US-Regierung im Rahmen ihrer „strategischen Handelspolitik“ (fair trade) bestrebt ist, lästige oder unfaire Konkurrenten zu behindern, wäre es nur logisch, die erbeuteten Daten teilweise an Steuerbehörden und/oder investigativ arbeitende Journalisten weiterzureichen.

Zwar behauptet das ICIJ, ein nationaler Geheimdienst würde keinen so chaotischen Datenhaufen übergeben, aber vielleicht unterschätzt man da die Verschleierungstechniken (und auch die Schlunzigkeit) von Diensten. Gerade die NSA arbeitet ausgesprochen gern mit Subkulturen und Sub-Unternehmen zusammen.

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