#Abmahnrepublik

Der Hund bekommt im Nachhinein Prügel. Teil IV der Serie „Abmahnrepublik“

von , 2.6.10

Parallel zur Novellierung des Urhebergesetzes musste 2008 auf Geheiß der EU auch das „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb“ (UWG) geändert werden. Beide Novellierungen verfolgten das gleiche Ziel: die Verwässerung bislang klar umrissener Tatbestände und die Bürokratisierung und Kommerzialisierung harmloser menschlicher Austauschverhältnisse.

Im Urheberrecht ersetzten die Abgeordneten die klare Formulierung „im geschäftlichen Verkehr“ durch die vage Formulierung „in gewerblichem Ausmaß“. Im UWG ersetzten sie den klaren Begriff „Wettbewerbshandlung“ durch die vage Formulierung „geschäftliche Handlung“. Auf diese Weise konnte der abmahnfähige Personenkreis extrem ausgeweitet werden. Denn für die neuen Begriffe spielt das Gewerbe-Kriterium „Gewinnerzielungsabsicht“ keine Rolle mehr. Jeder kleine Hänsel und jede kleine Gretel können seither für „geschäftliche Handlungen“ abgemahnt werden, und sei es, dass Hänsel & Gretel nur die alten Kleider ihrer Kinder bei Ebay verkaufen wollten und dabei ein paar bürokratische Vorschriften übersahen.

Besonders gern werden abgemahnt: Verstöße gegen das Fernabsatzgesetz (FernAbsG), Verstöße gegen die Impressumpflichten nach § 5 des Telemediengesetzes (TMG), Verstöße gegen die Verordnung über Informations- und Nachweispflichten (BGB-InfoV), Verstöße gegen Vorschriften über Allgemeine Geschäftsbedingungen (BGB § 305ff.), Verstöße gegen die Preisangabenverordnung (PAngV) und Verstöße gegen das Markengesetz (MarkenG).

Beliebt sind Massenabmahnungen wegen falsch geschriebener oder abgekürzter Namen im Impressum kleiner Online-Shops, wegen fehlender Handelsregisternummern oder vergessener Widerrufsbelehrungen. „Eine Überprüfung Ihrer Homepage hat ergeben“, heißt es dann in den standardisierten Abmahnschreiben, „dass Ihr Impressum den Vorschriften des § 5 Abs. 1 Nr. 4 TMG nicht genügt“. Und schon sind 500 oder 1000 oder 1500 Euro Abmahngebühren fällig.

Auch der Bagatell-Paragraf wurde – wie schon im Urhebergesetz – ausgehebelt. „Einfach gelagerte Fälle“ gibt es im neuen UWG kaum noch. Laut Novellierung kann nun jeder, der sich in seinen Interessen „spürbar“ beeinträchtigt fühlt, Abmahnungen schreiben. Was „spürbar“ ist, bestimmen der Herrgott und der Abmahnanwalt. Es gibt Kanzleien, die mahnen jährlich 50.000 Wettbewerbsverstöße ab – meist Bagatellen, die künstlich zu schmerzhaften Rechtsverletzungen aufgeblasen werden.

Doch die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf. Erst im Mai dieses Jahres gab sie auf eine kleine Anfrage der SPD die phlegmatische Antwort, es sei doch alles bestens geregelt, man behalte die Entwicklung im Auge… (was so viel heißt wie: lasst uns mit eurem Sch… in Ruhe).

Dass akuter Handlungsbedarf durchaus besteht, zeigt dagegen die „Forschungsstelle Abmahnwelle“, die seit fast zehn Jahren Abmahn-Fälle sammelt, um den Missbrauch des Wettbewerbsrechts zu dokumentieren. Der kleine Gelsenkirchener Verein hat schon über 16.000 Abmahnungen gesichtet. Für Carta sprach ich mit dem stellvertretenden Vereinsvorsitzenden Rudolf Koch:

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Herr Koch, sind Sie immer noch kein bisschen müde?

Rudolf Koch: Die erste Abmahnung habe ich 1973 als Jurastudent von meinem Vater zugeschickt bekommen. Unsere Firma hatte diese damals erhalten. Intensiv beschäftige ich mich mit dem Thema seit 1985, und ich bin alles andere als “müde”. Es ist für mich einfach ein interessantes Hobby. Ein Briefmarkensammler wird ja auch nicht müde.

Warum ist das Mittel Abmahnung hierzulande so beliebt?

Koch: Mit dem Instrument Abmahnung haben wir eine merkwürdige Methode erfunden, den Bürgern einzubläuen, was sie zu tun und zu lassen haben.
 Professor Maximilian Herberger nannte diese Einstellung 1999 „Dog Law“: Der Hund bekommt im Nachhinein Prügel und weiß dann, was er vorher falsch gemacht hat. Man erfährt die Regeln erst durch die Bestrafung. Beliebt ist die Abmahnung aber auch deshalb, weil es heute viel mehr Teilnehmer am Wirtschaftsleben gibt als früher. Und es gibt mehr Anwälte !!!, und mehr und kompliziertere Gesetze.

In welchem Bereich gibt es die meisten Abmahnungen? Im Wettbewerbsrecht?

Koch: Nein, im Urheberrecht. Das hängt mit den extrem hohen Zahlen im Bereich Filesharing zusammen.

Im geschäftlichen „Wettbewerb“ werden z.B. Domain-Namen abgemahnt, weil sie irgendeiner geschützten Marke ähneln. Oder Online-Shops, weil im Impressum der Vorname abgekürzt ist. Oder Privat-Verkäufe bei ebay, weil die Widerrufsbelehrung fehlt. Muss man nicht langsam bei jeder öffentlichen Handlung fürchten, wegen irgendetwas abgemahnt zu werden?

Koch: Ja. Diese ständige Angst lähmt auch den Wettbewerb.

Im Urheber- und im Wettbewerbsrecht wurde der Kreis der Abmahnungsfähigen durch unklare Rechtsbegriffe stark ausgeweitet. Warum haben die Abgeordneten das gebilligt?

Koch: Weil die EU das so wollte. Der deutsche Gesetzgeber hat nur eine EU-Richtlinie umgesetzt. Das hatte hauptsächlich etwas mit Verbraucherschutz zu tun – so lautete jedenfalls die Begründung der EU-Richtlinie.

Im Unterschied zum Urhebergesetz gibt es im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) eine Bestimmung zum Abmahn-Missbrauch: §8, Abs.4 verbietet Abmahn-Abzocke. Zudem sieht das Gesetz eine Einigungsstelle vor. Hat das eine zivilisierende Wirkung auf Abmahner?

Koch: Mit §8, Abs.4 UWG kann der Missbrauch leider nicht wirkungsvoll bekämpft werden, und auch das Einigungsverfahren hilft in Missbrauchsfällen kaum.

Wenn Sie Gesetzgeber wären – welche Regelungen würden sie abschaffen, ändern oder einfügen?

Koch: Ich finde, dass die Klagebefugnis bei Abmahnungen oder gerichtlichen Verfahren in Zukunft mit überprüfbaren Unterlagen belegt werden muss. Auch der „fliegende Gerichtsstand“ sollte endlich eingeschränkt werden. Dadurch werden den Abgemahnten unzumutbare Kosten aufgebürdet. Außerdem sollte zu Unrecht Abgemahnten ein Kostenerstattungsanspruch zugestanden werden. Es kann ja nicht sein, dass die Abwehr einer Abmahnung zum normalen „Lebensrisiko“ zählt und deshalb ohne Kostenersatz erfolgen soll. Hier herrscht keine „Waffengleichheit“. Auch die Streitwerte müssten nach Firmengröße gestaffelt werden. Viele Gewerbetreibende trauen sich wegen des hohen Kostenrisikos nicht, gegen Abmahnungen vorzugehen.

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Bisher sind in der Reihe „Abmahnrepublik“ erschienen:

  1. Abmahnrepublik Deutschland (Die Situation)
  2. Wie man aus Schülern Geschäftsleute macht (Urheberrecht)
  3. Warum Lieschen Müller über die Meinungsfreiheit entscheidet (Presserecht)
  4. Der Hund bekommt im Nachhinein Prügel (Wettbewerbsrecht)

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