von Peter Schaar, 22.8.13
Auf meinem – ökologisch korrekt auf dem Fahrrad zurückgelegten – Arbeitsweg, der mich durch verschiedene Berliner Innenstadtbezirke führt, komme ich an (gefühlt) 500 Wahlplakaten vorbei. Soweit es sich dabei nicht um Kopfplakate handelt, von denen uns der Kandidat oder die Kandidatin entgegenlächeln, werden darauf alle möglichen Themen angesprochen: Euro-Rettung, Steuerpolitik, Kindererziehung, Mieten, Mindestlohn, Bildung und gesunde Ernährung. Die Themen der Informationsgesellschaft werden jedoch konsequent ausgespart (lediglich ein Kandidat der Piratenpartei fragt: “Warum gibt es hier eigentlich kein Netz?”).
Datenschutz, Überwachung? Fehlanzeige. Informationelle Selbstbestimmung, Informationszugang? Kein Thema. Medienordnung, Urheberrecht? Zu unhandlich.
Wenn man bedenkt, dass seit mehr als 10 Wochen, seit Beginn der Snowden-Enthüllungen, Fragen der Überwachung, des Datenschutzes und der Zukunft der Informationsgesellschaft die öffentliche Debatte beherrschen und es sogar immer wieder auf die Titelseiten von Zeitungen und Zeitschriften und in die Primetime-Nachrichtensendungen der elektronischen Medien geschafft haben, wundert es einen schon, weshalb diese Themen im „offiziellen“ Bundestagswahlkampf praktisch keine Rolle spielen.
Sicherlich werden die Wahlkampagnen lange Zeit vor dem Wahltag konzipiert – aber das erklärt nicht wirklich, warum hier nicht nachgesteuert wurde. Die Produktionsprozesse für Wahlkampfmaterialien haben sich so beschleunigt, dass eine nachträgliche Korrektur beziehungsweise das Einfügen zusätzlicher Themen in eine Kampagne technisch ohne weiteres möglich sind. Offensichtlich fehlt es allerdings an dem politischen Willen, die Themen der Informationsgesellschaft anzusprechen.
Unabhängig von dem aktuellen „Skandal” hat die Informationstechnik schon heute jeden Arbeitsplatz, jeden Haushalt und große Bereiche unserer Freizeit erreicht. PCs, Tablet-Computer und Smartphones sind nicht einfach nur neue Werkzeuge der Kommunikation, die ansonsten folgenlos bleiben: Die Integration von Chips in alle möglichen Gegenstände, die umfassende Vernetzung aller möglichen Aktivitäten und die leichte Zugänglichkeit sozialer Netzwerke hat den Alltag einer wachsenden Zahl von Menschen dramatisch verändert und beeinflusst damit nicht nur unser Verhalten, sondern auch unsere Wahrnehmung der Realität. Und die damit verbundenen Risiken – nicht nur für die Privatsphäre – werden immer deutlicher.
Woher kommt es also, dass die politischen Entscheidungsträger die Gestaltung der Informationsgesellschaft immer noch nicht als so wesentlich ansehen, dass man sie aktiv gegenüber dem Wähler und der Wählerin thematisiert?
Eine Antwort auf diese Frage fällt schwer. Umfragen belegen, dass der durch die Informationstechnik bewirkte Wandel die Menschen bewegt, dass viele die umfassende Registrierung ihrer Aktivitäten mit Sorge betrachten. Und dass es hier keine politischen Kontroversen gibt, kann nach den Diskussionen der letzten Wochen eigentlich niemand mehr ernsthaft behaupten.
Offensichtlich ist die Antwort eher in der Politik selbst zu suchen, im Eigengewicht der “klassischen” politischen Themen und dem Erfahrungshintergrund beziehungsweise den Interessen der Entscheidungsträger, von denen die Wenigsten tiefer in die entsprechenden Fragestellungen eingedrungen sind.
Wenn der Weg in die Informationsgesellschaft, Fragen des Datenschutzes und der Informationsfreiheit nicht zu den zentralen Wahlkampfthemen gehören, kann dies jedoch auch etwas Positives haben. Abseits der parteipolitischen Auseinandersetzungen gibt es offensichtlich ein eher generationsspezifisches gemeinsames Verständnis vieler jüngerer Politikerinnen und Politiker, die sich des Themas Netzpolitik schon in der letzten Legislaturperiode angenommen haben.
Andererseits wäre es angesichts der Bedeutung des durch die Informationstechnologie bewirkten gesellschaftlichen Wandels fatal, allein auf das „Hineinwachsen” der heutigen netzpolitischen Sprecherinnen und Sprecher in Macht- und Führungspositionen zu setzen.
Für wichtig halte ich es, dass auch diejenigen, die rein biologisch nicht zu den „Digital Natives“ gehören, sich endlich mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und mit Engagement diesen Fragestellungen widmen. Datenschutz und Informationsfreiheit sind zu wichtige politische Themen, um sie allein den dafür eingesetzten Beauftragten und einigen wenigen Spezialistinnen und Spezialisten zu überlassen.
Mit freundlicher Genehmigung von Peter Schaar
- Datenschutz ist so wichtig wie die Bewältigung der Finanzkrise – das geht aus einer aktuellen Umfrage hervor, die das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) in Zusammenarbeit mit dem Heidelberger SINUS-Institut durchgeführt hat.