#Begrifflichkeit

Das Vertrauen in die digitale Information ist beeinträchtigt

von , 7.7.13

Die Überschrift zeichnet sich kaum durch besondere Originalität aus. Auch ihr Informationsgehalt tendiert gegen Null. Man könnte sogar so weit gehen, sie für komplett unsinnig zu erklären: Solange James Bond auf dem Video zu erkennen ist, glaube ich an die Daten-Integrität meiner DVD, und auch die Funktion des ABS meines Autos ist durch Prism nur unerheblich bis gar nicht eingeschränkt.

Aber das meinte Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger natürlich nicht, als sie am Samstag Heribert Prantl und Wolfgang Janisch ein Interview für die Süddeutsche gab.

Auch wäre es im Moment recht unsinnig, gerade auf diese Ministerin mit den am Wegesrand des Snowden-Skandals so zahlreich herumliegenden Steinen zu werfen. Frau Schnarrenberger ist eine der ganz wenigen, denen man in diesen Tagen noch zuhören kann. Diese Einmann/Frau-Menschenrechtsfraktion innerhalb der Koalition ist das Teelicht in der Polarnacht. Aber natürlich zitiert auch die Ministerin dieselben hohlen Phrasen wie ihre Kollegen, auch wenn sie versucht, sie mit Sinn zu füllen. Auf der anderen Seite empfangen wir unsere Informationen aus den Medien, nicht von Ministern.

Das Interview ist durchaus lesenswert:
 

Frau Ministerin, dürfen wir Sie als Bürgerrechtlerin bezeichnen?

Ja.

Sind Sie dann sozusagen eine Schwester im Geiste von Edward Snowden, der ebenfalls als Bürgerrechtler apostrophiert wird?

Ich habe da zwei Seelen in meiner Brust. Auf der einen Seite sehe ich die wirklich schwierige Situation, in der sich Herr Snowden befindet. Er hat Informationen, die schwerwiegende Fragen hinsichtlich einer Missachtung der Privatsphäre durch den US-Staat aufwerfen. Andererseits hat er möglicherweise gegen Bestimmungen in den USA verstoßen, etwa durch Verletzung von Dienstgeheimnissen.

Sie machen sich nicht zur Vorreiterin einer Bewegung “Asyl für Snowden”?

Nein. Wir haben es schließlich mit Rechtsstaaten zu tun. Die Vereinigten Staaten gehören zu den ältesten Demokratien. Auch wenn ich von Beginn an Guantanamo heftig kritisiert habe: Wir sind Freunde der Vereinigten Staaten.

 
Das Bekenntnis zu Bürgerrechten nimmt der Leser wohlwollend zur Kenntnis: Man nimmt es ihr in Maßen sicherlich ab. Die »älteste Demokratie der Welt« ist eine gern benutze Floskel, auch, wenn die griechische ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hat. Problematisch wird es beim Wort Rechtsstaaten. In wie weit man ein Land, in dem die Todesstrafe verhängt werden kann, Rechtsstaat nennen kann, ist umstritten.

Ebenso fragwürdig ist die Unabhängigkeit der Justiz im Kriegszustand: Nach Obamas Worten befindet sich dieses Land im Krieg. Im besten Fall könnte man eine gewisse Rechtsstaatlichkeit in Bezug auf die eigenen Bürger unterstellen. Ein Recht, das für den Rest der Welt ganz ausdrücklich nicht gilt. Bradley Manning, der Interna darüber öffentlich machte, wird zur Zeit deswegen der Prozess gemacht. Wer sehen wollte, brauchte dafür keinen Manning.

Noam Chomsky:
 

Die Opfer des Reaganschen Terrors waren zumeist wehrlose Zivilisten, nur einmal war das Opfer ein Staat, nämlich Nicaragua, der sich auf juristischer Ebene wehren konnte. Nicaragua reichte Klage beim Internationalen Gerichtshof ein, der die Vereinigten Staaten wegen der »ungesetzlichen Anwendung von Gewalt« – laienhaft ausgedrückt: internationaler Terrorismus – verurteilte, weil sie Nicaragua von ihren Militärstützpunkten in Honduras aus angegriffen hatten. Die USA mußten ihre Angriffe einstellen und beträchtliche Reparationszahlungen leisten. Wobei vor allem das Nachspiel sehr aufschlußreich ist.

Die Antwort des US-Kongresses auf das Gerichtsurteil sah nämlich so aus, daß er die Hilfe für die von den USA geführte Söldnerarmee, die Nicaragua angriff, aufstockte. Gleichzeitig verurteilte die Presse den Internationalen Gerichtshof und bezeichnete ihn als »feindseliges Forum« und deshalb als irrelevant. Derselbe Gerichtshof war wenige Jahre zuvor noch als hochgradig relevant angesehen worden, als er zugunsten der USA gegen Iran entschied.

(Aus “Die üble Geißel des Terrorismus: Realität, Konstruktion, Abhilfe”, 2010)

 
– laienhaft ausgedrückt: internationaler Terrorismus. Und bei Weitem nicht das einzige Beispiel für einen Staatsterrorismus der USA, wie der Vortrag vom Chomsky darlegt. Sein Beispiel stammt aus den 80er-Jahren, lange vor 9/11, diesem Ereignis, das die halbe Welt mit Terror überzog – und damit ist ausdrücklich nicht ein angeblich islamistischer gemeint.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich dafür eine Rechtfertigungsretorik etabliert, der man sich schwer entziehen kann. Die Sprache korrumpiert das Denken, und so ist es eigentlich Snowdens größtes Verdienst, die Logik dieser Wort- und Sinngerüste erschüttert zu haben. Die Reparaturkolonnen sind bereits ausgeschwärmt, und nicht immer wird es dabei so durchsichtig-humorig zugehen wie bei der Verwandlung von ‘Vorratsdatenspeicherung’ in ‘Mindestspeicherfristen’. Zeit vielleicht auch, dem Begriff Rechtsstaat eine passendere Funktion zuzuweisen; der geschichtsverlorene Gebrauch des Wortes bei Frau Schnarrenberger ist nur ein Beispiel für diesen Versuch.

Ein nettes Fundstück aus den Annalen der Qualitätspresse:
 

Helmut Schmidt: Ich habe den Verdacht, dass sich alle Terrorismen, egal, ob die deutsche RAF, die italienischen Brigate rosse, die Franzosen, Iren, Spanier oder Araber, in ihrer Menschenverachtung wenig nehmen.

Sie werden übertroffen von bestimmten Formen von Staatsterrorismus.

ZEIT: Ist das Ihr Ernst? Wen meinen Sie?

Helmut Schmidt: Belassen wir es dabei. Aber ich meine wirklich, was ich sage.

(Aus der ZEIT vom 30.8.2007)

 
Assange und Snowden auf der Flucht vor Begriffen wegen Verbrechen ohne Namen. Das Vertrauen in die digitale Information ist beeinträchtigt.
 
Crosspost von der Schrottpresse
 

 

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