#Datenschutz

Das Recht auf Vergessen: Löschverfahren mit Bedacht regulieren

von , 14.1.15

Das Urteil des EuGH zum sogenannten „Recht auf Vergessen“ ist einige Monate her, die Diskussion rund um die Umsetzung der Vorgaben bei der Löschung von Links durch Google ruhiger geworden. Indes sind die Löschungen in vollem Gange, die dabei aufgetauchten Fragen weiterhin dringlich und bedürfen einer Lösung.

Google holte sich dazu in den vergangenen Wochen Rat bei einem Expertengremium von 7 Mitgliedern verschiedener europäischer Staaten und Professionen, um das Urteil möglichst reibungslos umzusetzen. Allein: Das Gremium ist lediglich beratend, endgültige Beschlüsse treffen andere. Was warum gelöscht wird und wer darüber im Einzelfall entscheidet – das scheint nach wie vor ungeklärt. Die Umstände der Löschungen sind weiterhin intransparent.

Dass wir das nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten, zeigt alleine schon das Aufkommen an Löschanträgen in der kurzen Zeit:
200.000 Löschanträge haben Europäerinnen und Europäer in den vergangenen sechs Monaten nach dem Urteil an Google gerichtet, knapp 33.000 davon kamen aus Deutschland. Rund 700.000 Links wollte man europaweit aus den Suchergebnissen entfernt haben, 123.000 Links wurden von Deutschen beanstandet. Die Erfolgsquote lag europaweit bei knapp 40 %, in Deutschland wurden sogar 49 % von Google gelöscht.

In den Fällen, bei denen Google den aus Deutschland stammenden Löschungswünschen ganz oder teilweise nicht nachkommt, kann in Deutschland der Hamburgische Datenschutzbeauftragte angerufen werden. Die Kapazitäten sind allerdings begrenzt, knapp 3 Stellen stehen hierfür zur Verfügung. Das ist angesichts der Flut der Anfragen lächerlich: Im September 2014 lagen dort 101 Eingaben bezogen auf circa 500 verschiedene Fundstellen (URL) wegen der Nichtumsetzung eines Löschungsbegehrens durch Google vor. Davon konnte der Datenschutzbeauftragte bis zu dem Zeitpunkt ganze zwölf Eingaben abschließend bearbeiten.

Der Umfang der Löschungen ist beachtenswert. Zumindest in dem Ausmaße, dass man um die Presse- und Meinungsvielfalt fürchten muss. Insbesondere, wenn private Suchmaschinen nach uns nicht bekannten Kriterien Verlinkungen zu Pressebeiträgen, Meinungsartikeln oder Ähnlichem löschen, müssen wir aufhorchen. So waren bereits der Guardian, Spiegel und die taz betroffen. Ein Bild am Sonntag-Journalist ließ etwa eine kritische Darstellung seiner Arbeit im Bildblog löschen. Ob das tatsächlich gerechtfertigt war, soll hier dahingestellt bleiben. Fest steht, dass die Gefahren für eine Zensur substanziell sind. Denn auch wenn die Ursprungsseite noch direkt erreichbar ist, haben Suchmaschinen eine solche herausragende Bedeutung für die Auffindbarkeit im Netz; ohne ihre Navigation wird vieles nicht mehr gelesen.

Jedwede Löschung eines Links, vor allem zu Presseartikeln, ist höchst sensibel im Hinblick auf die Meinungs- und Pressefreiheit – Kommunikationsgrundrechte, die im Hinblick auf unsere Demokratie von essenzieller Bedeutung sind. Eine Löschung darf dementsprechend nur bei überwiegenden Interessen des Persönlichkeitsschutzes unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte erfolgen.

Es ist daher immens wichtig, ein Verfahren zu etablieren, welches das EuGH-Urteil grundrechtserhaltend umsetzt. Dazu gehört zunächst auch die Frage, ob Google tatsächlich auch der richtige Adressat ist, solche wichtigen Entscheidungen zu treffen. Zwar sind auch private Unternehmen, wie die Zeitungsredaktionen, grundsätzlich erster Ansprechpartner bei einer Rechtsverletzung. Dennoch muss man hier die besonderen Umstände berücksichtigen. Google entscheidet nicht als Vertreter der Meinungs- und Pressefreiheit. Die Suchmaschine hat eine Zwitterstellung, ist eher ein reines Wirtschaftsunternehmen, denen es im Zweifel egal sein kann, ob der ein oder andere Link bestehen bleibt oder nicht – soweit es nicht ihr Geschäftsmodell gravierend stört. Etwas anderes kann man von dem Unternehmen auch nicht unbedingt verlangen. Ohne misstrauisch zu werden, muss man doch fragen: Ist die Aufgabe nicht etwas zu bedeutend, um es in die Hände von Suchmaschinen zu legen?

Hinzu kommt, dass das Löschverfahren aufgewertet werden müsste. Bisher erhält die von der Löschung betroffene Seite, die den verlinkten Inhalt ins Netz gestellt hat, erst im Nachhinein einen schlichten Hinweis auf die Löschung. Eine vorherige Anhörung erfolgt nicht. Für eine Abwägung, wie es das Grundgesetz erfordert, müssten aber umfassende Informationen eingeholt werden. Das ist für ein rechtmäßiges Verfahren unabdingbar. Gleichzeitig wäre es unter Datenschutzgesichtspunkten geradezu kurios, eine private Suchmaschine für eine solche Abwägung noch mehr personenbezogene Informationen einholen zu lassen.

Wer könnte also entscheiden?

Unser Rechtssystem hat eine lange Expertise in der Abwägung dieser kollidierenden Grundrechte. Es ist das tägliche Brot von Richtern und Datenschutzbeauftragen. Hier ist eine immense praktische Übung vorzuweisen. Diese Erfahrungen könnte und sollte man nutzen. Auch wenn es da immer wieder Ausreißer gibt, scheint eine unabhängige Kommission, eingebunden in die nationale, staatliche Verwaltung/ Organschaft der bessere Ort, diese sensible Aufgabe zu tragen. Die Furcht vor einer staatlichen Zensurbehörde teile ich weniger. Man könnte ein geordnetes, nachvollziehbares Verfahren einrichten, welches im Anschluss weiterhin gerichtlich überprüfbar ist.

Angesichts der Tragweite von Löschungen müssten die Entscheidungen gegebenenfalls auch dokumentiert werden. Das ist schwierig, denn Öffentlichkeit würde hier gerade das Ziel ad absurdum führen – es wäre nicht die erste „Schwarze Liste“, die durchsickert. Hier müsste eine sichere Regelung gefunden werden, wie zum Beispiel nach dem Vorbild der Robinsonliste.

Das Recht auf Vergessen ist nicht perfekt. Natürlich kann es umgangen werden – aus dem Ausland oder mit ein paar Tricks hierzulande werden die gelöschten Links weiterhin auffindbar sein. Dennoch spricht das nicht gegen die Etablierung dieses Rechts. Die technischen Möglichkeiten sind zu komplex und global, als dass es immer einwandfreie rechtliche Lösungen gibt, die keine Schlupflöcher lassen. Das Ziel ist vielmehr, das Verständnis einer bestimmten Grundrechtsabwägung auch im Internet durchzusetzen.

 

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