von Franz Sommerfeld, 22.2.16
Christian Lindner ist ohne Zweifel eine seltene politische Begabung. Ihm verdankt die FDP die Rückkehr in die Landespolitik und steigende Zustimmungsquoten bei Umfragen. Eine beeindruckende Bilanz. Wie einst Guido Westerwelle erweist er sich als herausragender Parlamentsredner, eine hier zu Lande seltene Erscheinung, ist aber intellektueller und vermutlich auch klüger als Westerwelle. Der junge Politiker reibt sich auf, um seiner Partei in einer Ein-Mann-Road-Show die Rückkehr auf die Bundesbühne zu sichern.
Es mag sein Erfolg und die Verliebtheit in die wachsende eigene Akzeptanz gewesen sein, die ihn dazu verleiteten, am vergangenen Sonntag seinen baden-württembergischen Liberalen mit ihrer großen Geschichte per Bild-am-Sonntag-Interview eine Koalition mit den Grünen von Winfried Kretschmann zu untersagen, noch bevor der Parteitag die Debatte darüber überhaupt begonnen hatte. Völlig korrekt bemerkt die WELT, dass sie sich unter diesen Bedingungen das Treffen hätten sparen können. Natürlich wollten die Delegierten ihren erfolgreichen Star nicht beschädigen und folgten ihm brav.
Nun hat die Grünen-Phobie, die schon Westerwelle plagte und zu überflüssigen Verirrungen verführte, auch die nächste Generation der Liberalen angesteckt. Und Lindner reagiert mit dem ihm wohl vertrauten konventionellen Parteien-Poker: Er setzt auf die CDU, – in der nicht völlig lebensfremden Erwartung, dass sich die SPD zum Wechsel in das Kunstkonstrukt einer sogenannten „Deutschland-Koalition“ erniedrigen lassen wird.
Lindner verkennt oder ignoriert, dass die große Zustimmung für Kretschmann in der Bevölkerung den Wunsch nach einer erneuerten Politik ausdrückt. In einem Europa, in dem zur Zeit – vielleicht mit Ausnahme Italiens – überwiegende linksnationale Regierungen eine Art politischen Neuanfang suchen, vertritt Kretschmann einen seltenen konservativen Reformansatz für Politik. Er bemüht sich, eng an den Wünschen und Sorgen der Bürger zu regieren, an ihrem Wunsch, gehört zu werden, Traditionen des Landes aufzunehmen und mit den Erkenntnissen der Moderne zu verbinden. Das ist deutlich mehr als eine Stilfrage.
Wie Konrad Adenauer oder Willy Brandt zählt Kretschmann zu den Politikern, an denen sich Politik scheidet und zu denen sich die anderen Politiker verhalten müssen. Walter Scheel hat das damals erkannt. Lindner hat seine Partei dagegen in die Ablehnung eines Neuanfangs gezwungen. Er weiss genau, dass der CDU-Kandidat zur vertrauten Null-Acht-Fünfzehn-Politik zurückkehren wird.
Doch Lindner darf sich trösten: Er steht nicht allein, sondern weiss Jürgen Trittin an seiner Seite. Auch dieser setzt auf die Rückkehr der vertrauten Feindbilder aus der alten Welt.
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