von Sarah Perle, 18.10.14
Ein in Berlin lebender Israeli gründete Ende September anonym eine Facebookseite, auf der er seine Landsleute dazu aufruft, aus Protest gegen die israelische Sozialpolitik nach Berlin auszuwandern. Rund 18.600 Personen gefällt die Seite bislang. Zuletzt sorgte der sogenannte Pudding-Post des Israelis für Aufsehen. Auf einem Bild ist ein in Israel beliebter Schokopudding zu sehen, daneben der Bon zum Einkauf. Er belegt die sehr niedrigen Berliner (Einkaufs-)Preise im Vergleich zu Israel. Das Bild soll innerhalb von nur vier Tagen mehr als eine Million Menschen erreicht und der Seite eine noch größere Bekanntheit verschafft haben. Im Carta-Interview erklärte der israelische Publizist Shlomi Stein das Fernweh der israelischen Facebook-Generation. Jetzt spricht mit Sarah Perle Benazera ein Mitglied dieser Generation über den „Berlin-Protest“. Sie ist Projektmanagerin bei der facebook-basierten Friedensinitiative „Yala Young Leaders“. Das Interview führte Samira Lazarovic.
(For an English version of the interview please see below.)
Ein Pudding macht Schlagzeilen, nicht nur in Israel. Beschäftigt Sie der Schoko-Pudding, der für die ganze Sozialpolitik des Landes steht, auch?
Ach, dieser Pudding-Protest. Es gibt tatsächlich eine Menge dazu zu sagen, aber ich will mich auf das Wesentliche beschränken. Ja, die Lebenskosten in Israel sind sehr hoch, sogar absurd hoch, besonders für bestimmte Dinge und in Großstädten. Gleichzeitig sind die Gehälter unverschämt niedrig. Dieser Zustand ist ganz klar nicht zu halten, und die Regierung muss einen Wandel herbeiführen.
Was ist in dem Land passiert? Immerhin ist Israel offiziell stolz auf seine sozialistischen Wurzeln.
Israels Geld fließt in den Krieg und selbst die Mittelschicht müht sich mehr und mehr ab. Der Unterschicht fehlt es derweil bereits an grundlegenden Dingen, selbst wenn beide Elternteile arbeiten. Die Dinge müssen sich ändern und die Regierung muss einsehen, dass das eine Notlage ist.
Tausende, vor allem junge Leute, haben aber offenbar nicht mehr die Geduld, auf den Wandel zu warten. Sie wollen nach Berlin auswandern.
Ich bin nicht sicher, ob Berlin die Lösung ist. Das ist eine hübsche PR-Idee, ein kraftvoller Aufhänger, über den die Leute reden. Ich bin sicher, dass viele junge Israelis glücklich in Berlin sind. Aber das ist keine Frage des Standortes, sondern der Möglichkeiten. Wir haben keine in Israel. Das Land befindet sich im Krieg und das Leben ist unglaublich teuer. Und dabei haben wir noch nicht mal über Immobilien geredet.
Stichwort Standort: Viele Israelis wollen ihre Heimat einfach via Facebook mitnehmen. Geht das überhaupt?
Wir sind die Facebook-Generation, viele Proteste starten bei Facebook, wir bleiben dank Facebook mit unserer Familie, unseren Freunden und Bekannten in Verbindung. Es gibt Dir das Gefühl, mit Deinen Wurzeln verbunden zu bleiben, selbst wenn Du im Ausland lebst. Aber ich weiß, dass ich auf lange Sicht hierher gehöre.
Aber besonders dieser Sommer war nicht einfach für Aktivisten und Linke in Israel. Sie wurden als anti-patriotisch beschimpft.
Kritik an der Regierung wird oft als anti-patriotischer Akt angesehen, aber das muss sich ändern. Die Regierung zu kritisieren und Chancen für unsere Jugend zu fordern, ist sehr patriotisch. Wir brauchen den Protest, wir müssen auf unsere Regierung Druck ausüben, aber meiner Meinung nach müssen wir das von hier aus tun und aufhören, Angst vor dem Wandel zu haben.
Also sind Sie nicht in Versuchung, einfach zu gehen?
Ich reise viel, privat und beruflich. Aber jedes Mal wenn ich wegfahre, vermisse ich mein Zuhause wie verrückt. Ich weiß, dass ich mich nirgendwo sonst zu Hause fühlen werde. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich woanders eine Rolle zu spielen hätte. Hier habe ich den Eindruck, dass ich etwas bewegen kann. Israel ist ein verrücktes, winziges Land, aber es hat viel zu bieten.
Englische Originalversion des Interviews
A Pudding is making headlines. Not only in Israel. Does the ‚Schoko-Pudding’ bother you too?
Well, about the pudding protest, there is so much to say! But I will try to keep it short. Yes, the costs of life in Israel are very high. Insanely high for certain things and in big cities. And salaries are shamelessly low. This situation is clearly not sustainable and the government must make a change.
What happened to the country? Officially Israel is still proud of its socialist roots.
The money of the country goes to war and people of the middle class are more and more struggling, while lower class families often lack basic things even when both parents work. Things must change and the government must understand that this is an emergency.
But escpecially young people seem to be tired to wait for a change. They just leave the country. For Berlin.
I am not sure moving to Berlin is the solution. It is a nice PR thing, it’s a powerful gimmick that makes people talk. I’m sure many young Israelis are happy in Berlin, but this is not a problem of location, it is a problem of opportunities. We have none in Israel. The country is at war and life is incredibly expensive. Not even mentioning real estate.
You mentioned location. Many Israelis just want to take their home with them via facebook.
We are the facebook generation, protests start with facebook, we are in touch with our families, friends and colleagues through facebook. It gives a feeling of being connected to your roots even when you live abroad. But on the long term, I know I belong to this place.
But especially this summer was not easy for activists and Leftists, they were called anti-patriotic.
Criticizing the government is often taken as an anti-patriotic act. But this state of mind must change. Criticizing the government and demanding opportunities for our youth is the most patriotic act possible. We need a protest, we need to put pressure on our leaders, but in my opinion we must do it from here and stop being afraid of change.
So you are not tempted to just go?
I travel a lot, private and for work. But each time I leave, I miss home like crazy. I know, I would not feel at home anywhere else, I would never feel I have a role to play anywhere else. Here I can make a difference. Israel is a crazy, tiny country but it has so much to offer.