#Boulevard

Auf Kosten der Freiheit: Der erhörte Ruf nach mehr Sicherheit

von , 2.9.13

Die staatlichen Überwachungstätigkeiten und Verbote zur «Sicherheit der Bürger» werden ausgebaut, die Freiheit wird eingeschränkt. Verantwortlich für die Aufrüstung des Staats sind auch Medien, die stets die totale Sicherheit fordern. Ein Dreigespann aus Journalisten, Experten und Politikern dreht sich in einer verhängnisvollen Spirale.
 

Depressive Hypochonder auf dem Weg zum Augenarzt
Stossen sich den Fuss und denken gleich:
Das wars, das wars, das wars

«Depressive Hypochonder» von Funny van Dannen

 
Kennen Sie Journalisten? Manchmal sind es etwas lebensunpraktische Typen, die gut schreiben können. Einige von ihnen wurden von ihren Mitschülern «Brillenschlangen» genannt, andere als «Streber» oder gar als «Zeitungsleser» beschimpft.

Klar gibt es unter ihnen auch furchtlose Reporter, die sich in Kriegsgebieten durchschlagen, unverfrorene Witwenschüttler und sogar welche, die ihr Leben riskieren für eine Geschichte. Viele Menschen auf Redaktionen sind aber schon zufrieden, wenn sie es unfallfrei bis in die Redaktion schaffen und wieder nach Hause. Ihre Freizeit verbringen sie mit ihrer Familie, anderen Journalisten und weiteren gebildeten Leuten. Neuerungen begegnen sie mehrheitlich ablehnend und ängstlich – dem Revolutionär aller Kommunikation, dem Internet, stehen viele nach wie vor skeptisch gegenüber. Gerne beklagen sie sich über die Arbeitsbedingungen – den Mut, eine eigene Firma zu eröffnen, bringen sie jedoch nicht auf.

Kurzum: Sie sind manchmal etwas ängstlich. Nichts Schlimmes, viele Menschen sind das; Ängstlichkeit ist eine liebenswerte Eigenschaft. Zum Problem wird es aber, wenn das eigene Sicherheitsbedürfnis zu dem der Allgemeinheit gemacht wird.

Meistens läuft es so, ganz egal, ob es um Viren, Terrorismus oder Baustatik geht:

  1. Journalisten orten und thematisieren ein Sicherheitsleck
  2. Sie kontaktieren dazu Experten, die trotz aller Zurückhaltung einräumen müssen, dass keine 100-prozentige Sicherheit besteht
  3. Medien publizieren Stücke zur Problematik, was sich nicht selten ausweitet in eine Flut von teilweise hysterischen Beiträgen
  4. Unter dem Druck der Medien fordert ein Teil der Politik Massnahmen
  5. Auf Kosten der Gemeinschaft führt die Politik (oft übereilt getroffene, nicht immer sinnvolle) Massnahmen ein

So branden viele Themen kurz auf und werden (von der breiten Öffentlichkeit) auf lange Frist wieder vergessen. Die Massnahmen, Verordnungen und Gesetze aber bleiben. Sie müssen von der (nicht konsultierten) All­ge­mein­heit getragen werden, inklusive der damit verbundenen Einschränkung der Freiheit und den daraus resultierenden Kosten (vgl. «Die Rechnung für die Panikmache»). Journalisten, Experten und Politiker sehen sich dafür nicht verantwortlich – ganz selbstverständlich weisen sie auf ihre Rolle hin, die zu erfüllen sie verpflichtet sind.

Medienhysterien können kostspielig werden und viel an Freiheit und Privatsphäre wegnehmen, bei den aus Angst vor Terrorismus getroffenen Massnahmen ist das offensichtlich. Es gibt aber auch alltägliche Beispiele, wie der ominöse schwarze Panther, der irgendwo in einem Schweizer Wald existiert oder auch nicht – Medienberichte und Sichtungen hatten sich gegenseitig hochgeschaukelt. Um dieses «unbekannte Tier» einzufangen, wurden eine Lebendfalle und mehrere Fotofallen aufgestellt:
 

Doch die Fallen blieben leer – die rund 30 bis 40 installierten Kameras lichteten nur Füchse, Vögel, Rehe und einen Hirsch ab. (…) Alles was die Tier-Fahnder aufspürten waren schwarze Katzen und Hunde.

Schon im Juni wurden die zusätzlichen Foto- und Käfigfallen, die wegen dem Panther aufgestellt worden waren, abgebaut. Wie viel der ganze Einsatz gekostet hat, kann der Solothurner Jagdverwalter nicht beziffern. Er schätzt die Kosten auf mehrere 10‘000 Franken.

 
Es ist wichtig, keine Kollektivbeschuldigung zu machen, verhalten sich doch viele sehr korrekt. Nur hört man nie etwas von Journalisten, die keine Paniktexte geschrieben, nie etwas von Experten, die Stellungnahmen abgelehnt haben, und nie etwas von Politikern, die nicht in Panik neue Verordnungen erlassen haben.

Die Aufmerksamkeit gehört ganz den Boulevardmedien, den Boulevardexperten und den Boulevardpolitikern – es ist das Zusammenspiel dieser kleinen Gruppe, die unsere Freiheit einschränkt und unsere Steuermittel verbrät. Statt immer neuer Aufregungen und Verordnungen bräuchte es das exakte Gegenteil: Journalisten, Experten und Politiker, die Ruhe bewahren, den Willen und die Freiheit des Volkes respektieren und eher mal ein Gesetz abschaffen, statt eins einzuführen. Es gilt, dem Beispiel von Islamwissenschaftler Reinhard Schulze zu folgen, er sagte uns im Interview:
 

«Medien, die aus einem Problem einen Skandal machen wollen, stehen für mich nicht zur Diskussion.»

 
Die aktuellen Überwachungsskandale sind fraglos skandalös. Dass der Staatsapparat das ihn finanzierende Volk überwacht, ist einer aufgeklärten Demokratie nicht würdig. Medien aber, die nach jedem Vorfall Politiker in riesigen Lettern fragen, «WIE KONNTE DAS PASSIEREN?», müssen sich nicht wundern, wenn diese irgendwann Konsequenzen ziehen und Massnahmen ergreifen. In der Folge «WIESO ÜBERWACHT IHR UNS?» zu brüllen, ist, gelinde gesagt, nicht ganz folgerichtig.

Der Flut von Regulierungen, die das beschriebene Verhalten auslöst, stehen lustigerweise Journalisten gegenüber, die äusserst pikiert reagieren, wenn ihre eigene Freiheit eingeschränkt werden soll. In der Regel berufen sich dann auf die Medienfreiheit, ganz egal, ob das der Situation angemessen ist oder auch nicht. Jean-Jacques Rousseau empfiehlt dem Staatsbürger, er solle
 

«jeden Tag seines Lebens im Grunde seiner Seele nachsprechen, was ein edler Woiwode auf dem polnischen Reichstage sagte: Malo periculosam vitam quam quietum servitium.

(Ich ziehe eine gefahrvolle Freiheit einer ruhigen Knechtschaft vor.

 
Crosspost von der Schweizer Medienwoche

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