#Berufsanfänger

Antwort an Julia Friedrichs: Der Journalismus braucht die Revolution von unten

von , 27.6.12

Im Juni 2008 war ich zum ersten und einzigen Mal auf einer Tagung des Netzwerks Recherche. Ich stand kurz davor, mein Volontariat bei der Rhein-Zeitung zu beginnen. Meine journalistische Erfahrung gründete sich bis dato größtenteils auf meine freie Mitarbeit bei der Mainzer Allgemeinen Zeitung während meines Studiums. Ich fuhr damals vor allem aus Neugier nach Hamburg, wollte einfach mal hören und sehen, wie eigentlich echte Journalisten so drauf sind.

In einem Podium, in dem ich saß, ging es um das Verhältnis von Journalismus und PR. Zum ersten Mal erfuhr ich hautnah, unter welchen Bedingungen Journalisten wirklich arbeiten. Da berichteten freie Journalisten und Journalistinnen, dass sie mit PR das Geld verdienen würden, mit dem sie ihr “Hobby” Journalismus finanzieren. Andere erzählten von Dumping-Honoraren, die sie letztlich in die gut bezahlte Welt der Agentur-Kommunikation hatten flüchten lassen.

Nur ein paar Plätze neben mir saß eine junge Journalistin, die sich vehement, geradezu mit Verachtung dagegen aussprach, Journalismus und PR zu vermischen. Alle schienen zu wissen, wer die junge Frau war; “Julia Friedrichs muss ich Ihnen nicht weiter vorstellen”, sagte der Moderator der Runde einmal. Später googelte ich erstmal ihren Namen, stellte fest, dass sie einen Bestseller geschrieben hatte, den ich mir dann aus Interesse auch kaufte. “Gestatten, Elite” war tatsächlich ein klasse Buch.

Ich kann mich auch deshalb so gut an Julia Friedrichs erinnern, weil ich beim googeln herausfinden sollte, dass sie kaum zwei Jahre älter war als ich. Auch das war eine Premiere an diesem Tag: Zum ersten Mal verspürte ich diesen kleinen Stich in der Magengegend, wenn man jemandem begegnet, der im gleichen Alter ist, aber schon ungleich viel mehr erreicht zu haben scheint. Buch geschrieben, ZEIT-Autorin, hofiert beim Netzwerk Recherche: Auf einmal fühlte ich mich als kleiner Lokaljournalist aus Mainz ganz schön klein.

Vier Jahre später sticht es immer seltener. Es ist ungefähr wie mit einem Schluckauf, den man als Kind grauenvoll findet, während man heute einfach weiß, dass er wieder weggehen wird und deshalb gar nicht mehr groß drüber nachdenkt. Es ist einem nur ein bisschen peinlich, und man möchte ungern dabei ertappt werden.

Warum erzähle ich das alles? Weil Julia Friedrichs mir zusammen mit dem Netzwerk Recherche jetzt wieder begegnet ist. Auf Vocer wurde die Rede dokumentiert, die sie zur Eröffnung der diesjährigen Jahrestagung gehalten hat. (*pieks*) Es ist eine Rede, mit der sich wahrscheinlich viele aus unserer Journalistengeneration identifizieren können. Und natürlich unterstütze ich Julias Kernaussagen voll und ganz: Es ist ein Problem, dass Aufwand und Ertrag im Journalismus heute nicht mehr im Verhältnis stehen.

Es ist ein Problem, dass kaum noch ein Freier von dem leben kann, was er als Journalist verdient, während die festen Redakteursstellen immer weniger werden. Es ist ein Problem, dass dadurch viele korrumpiert werden und sich vom Journalismus abwenden, dass Journalismus zu einem Hobby von Kindern reicher Eltern wird. Julia fordert uns alle dazu auf, sich nicht von diesen Arbeitsbedingungen unterkriegen zu lassen. Die Ideale, die wir zu Beginn unseres Journalistendaseins mal hatten, nicht zu verraten. Weiter an unsere Tätigkeit zu glauben, die viel mehr ist als ein Beruf und viel mehr als ein Broterwerb, die ein vom Grundgesetz geschütztes Element unserer Demokratie ist.

Ich möchte diese Gedanken noch ein wenig weiter ausführen und weiterdenken.

Fangen wir doch gleich mal beim Hauptproblem an: Journalismus ist heutzutage kaum noch jemandem etwas wert. Lesern und Zuschauern nicht, die sich über Jahrzehnte daran gewöhnt haben, dass Medienprodukte umsonst bis sehr günstig sind. Eine Tageszeitung ergäbe ein gedrucktes Buch, das noch dazu an Hunderttausende täglich ausgeliefert wird – und manchmal weniger als einen Euro kostet. Fernsehen ist gefühlt umsonst, und über die Gebühren von öffentlich-rechtlichem Rundfunk wird in der Regel geschimpft. Und im Internet… Nun ja.

Aber auch die Produzenten von Medien haben sich daran gewöhnt, dass Journalismus nichts kostet. Bisher haben sie noch für jedes Billighonorar einen gefunden, der bereit ist, dafür zu arbeiten. Warum also mehr zahlen?

Seien wir ehrlich: Es gibt zu viele von uns. Und wo das Angebot an Arbeitskräften groß ist, ist der Preis dafür niedrig. Einfache Logik. Daran sind wir mit unserer Berufsethik ein Stück weit selbst schuld, mit unserem blöden Idealismus. Uns ist die Geschichte im Zweifel wichtiger als das Geld. Weil wir an das glauben, was wir tun, akzeptieren wir zu oft die Almosen der Verleger und Sender, die sich mit “Kostendruck” und “Personalaufwand” und “würden ja gerne mehr, aber…” rausreden. Manchmal ist uns unsere eigene Arbeit zu wenig wert. Das ist ein Dilemma, das kaum zu lösen scheint. Aber: Auswege daraus sind möglich. Nur leicht wird es sicher nicht.

Es muss ein Bewusstseinswandel her. Die Gesellschaft muss den Wert und die Wichtigkeit von Journalismus an sich wieder erkennen, vielleicht sogar neu erlernen. Das kann von oben oder unten kommen. Am besten aus beiden Richtungen.

Fangen wir einfach mal oben an: Die Menschen, die Journalismus in Deutschland finanzieren, müssen umdenken. Die Verleger müssen wieder in das Kerngeschäft investieren. Zyniker wie Bernd Buchholz, den Julia in ihrem Text zitiert mit: “Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu verändern ist”, müssen ganz einfach weg, mit ihren Einstellungen stehen sie Qualitätsjournalismus im Weg.

Genauso muss sich einer wie ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo fragen, ob er als einer der anerkanntesten Journalisten Deutschlands am richtigen Platz sitzt, wenn er sagt: “Ich wünschte mir, wir hätten die Reserven, unsere Freien besser zu bezahlen.” Wenn ihm der Journalismus seines Blattes etwas bedeutete, würde er dafür kämpfen, dass die ZEIT ihren Mitarbeitern mehr bieten kann als nur eine Girlande für den Lebenslauf, der in letzter Konsequenz weg von dem führt, wofür die ZEIT eigentlich steht.

Ich hab einfach keinen Bock mehr auf diese Ausreden. Wir alle haben mal als Journalisten angefangen, weil wir Dinge ändern wollten. Diejenigen, die zu den Besten und Bestbezahlten unseres Berufs gehören, dürfen sich jetzt nicht hinter vermeintlichen Systemzwängen verstecken, sondern sollten mal bei sich selbst anfangen, Dinge zu verändern. Der Spiegel-Reporter Dirk Kurbjubweit hat aus seinem eigenen Vermögen ein 5000-Euro-Reporter-Stipendium aufgelegt. Das ist ein Beispiel, dem die di Lorenzos, Jauchs und Illners gerne folgen dürfen.

Ich möchte mal einen Verleger erleben, der eine Preiserhöhung seines Produkts nicht mit gestiegenen Papier- und Transportkosten begründet. Sondern damit, dass man den Journalisten angemessene Honorare zahlen möchte, damit die Qualität des Blatts erhalten bleibt. Könnte es nicht sogar sein, dass die Leute dafür sogar Verständnis hätten? Wenn sie mehr bezahlen müssen, aber sogar eine Gegenleistung, einen Mehrwert bekämen, anstatt einfach das gleiche langweilige Produkt wie vorher, nur teurer? Was spricht dagegen, die Kosten einer jeden Geschichte transparent zu machen, um den Lesern zu verdeutlichen, wofür das Geld aus ihrem Abo ausgegeben wird?

Ich sage nicht, dass so ein Bewusstseinswandel leicht ist. Aber ich behaupte, dass er möglich ist. Man darf die Leute halt nur nicht für dumm halten und ihnen Scheiße als Gold verkaufen. Wir Journalisten haben auch eine Bringschuld, um mal mit Jogi Löw zu sprechen. Aber wer die ganze Zeit etwas von Qualität redet, muss sich auch an diesem Anspruch messen lassen.

Zum Glück ist es ja sehr einfach geworden, sich von seinen Lesern entsprechendes Feedback zu holen. Zwei Telefonate geführt, Text geschrieben, fertig, der nächste bitte? Das war einmal. Journalistische Arbeit wird zu einem Prozess, ein Thema ist nicht mehr abgeschlossen, wenn der Text gedruckt, die Sendung gelaufen ist. Dann fängt es erst richtig an. Aber nur, wenn die Leute unsere Arbeit besser verstehen lernen, bringen sie auch Verständnis für ihren Wert auf.

Ich habe auch nichts dagegen, wenn Verlage ihren Journalismus querfinanzieren. Von mir aus soll die Süddeutsche so viele Buch- und DVD-Editionen auf den Markt schmeißen, wie sie will. Von mir aus sollen Verlage in Online-Versandhäuser und Dating-Portale investieren, bis nur noch top gekleidete, perfekt zusammenpassende Paare durch Deutschland laufen. Nur soll das Geld, das damit verdient wird, am Ende bitte wieder ins Kerngeschäft fließen. Von mir aus soll Gruner+Jahr mit Anzeigen vollgestopfte Golf- und Autohefte produzieren, bis sie nicht mehr können. Wenn es damit möglich wird, eine große Geo-Reportage zu finanzieren.

Werde ich jetzt naiv? Keine Ahnung. Was ich eigentlich sagen will: Es braucht wieder Menschen, die Journalismus finanzieren wollen und ihn nicht als lästigen Personalposten in der Gesamtbilanz sehen. Wenn die Verleger das nicht wollen oder können, müssen es Stiftungen oder Privatpersonen übernehmen. Und natürlich die Öffentlich-rechtlichen, von denen ich mit der Einführung der Zwangsabgabe bitte nie wieder das Kostenargument hören will. Nie wieder.

Aber jetzt mal ehrlich: Glaubt jemand ernsthaft daran, dass es eine derartige Revolution von oben geben wird?

Also doch von unten, obwohl das fast noch schwieriger wird. Aber vielleicht ist das Internet ja gar nicht das Problem. Sondern die Lösung. In einem früheren Eintrag habe ich schon über das Crowdfunding-Projekt “Berlinfolgen” berichtet, für die es jetzt übrigens weiter gehen wird. Wenn die alten Modelle nicht mehr funktionieren, müssen eben neue her. Und es wächst ja gerade eine Generation auf, für die es völlig normal ist, dass jeder seine eigenen Inhalte auf eigene Faust produziert, ohne dass ihnen ein Verleger oder Sender die Gnade einer Publikation gewährt. Für die wird es ganz normal sein, dass jemand mit einem eigenen Blog, YouTube-Kanal oder was auch immer über das berichtet, was ihm wichtig ist. Ja, die Vorstellung, erst mal einen Abnehmer für einen Bericht oder einen Film finden zu müssen, der ihn für sie öffentlich macht, dürfte ihnen geradezu absurd vorkommen. Man kann es doch einfach selbst raushauen. Und für diese Generation von Medienmachern ist es auch völlig normal, auf Augenhöhe mit dem Publikum zu diskutieren, es am Produktionsprozess teilhaben zu lassen.

Der nächste, logische Schritt ist nur eine Frage der Zeit: Dass man sein Publikum bittet, einen finanziell zu unterstützen, damit man weiter die Inhalte produzieren kann, die es liebt. Auf Unterhaltungsebene funktioniert das bereits. Ich glaube daran, dass es auch im Journalismus funktionieren kann.

Unsere Themen, unsere Geschichten sind uns wichtiger als die Bezahlung? Gut so. Aber dann kann man die Energie, die es braucht, um einen bornierten Verleger davon zu überzeugen, das Thema für einen Hungerlohn zu bringen, gleich sinnvoller einsetzen. Und besser sofort seinem Publikum klar machen, dass die eigene Geschichte es wert ist, dass sie dafür bezahlen. Ob dann am Ende 3000 mal ein Euro kommt oder einmal 3000 Euro, ist doch egal. Auch hier kommt es letztlich darauf an, dass man seine Arbeit gegenüber dem Publikum transparent macht und rechtfertigt. Aber wenn ein Thema wichtig für die Gesellschaft ist, dann wird es genug Leute geben, die bereit sind einen zu unterstützen.

Occupy Journalism! Natürlich wird das für einen einzelnen Journalisten oder Kameramann auf Dauer ein Ding der Unmöglichkeit. In einer vernetzten Gesellschaft ist Einzelkämpfertum aber unnötig. Es wird neue Kollaborationen geben, neue Formen der Zusammenarbeit. Und daraus werden sich neue, größere und stärkere Netzwerke entwickeln, die es langfristig mit den alten Mediengesellschaften werden aufnehmen können.

Noch sind wir nicht ganz so weit. Dafür stecken wir noch zu sehr im alten Mediensystem fest, dessen Protagonisten ja derzeit verzweifelt versuchen, es mit allen Mitteln am Leben zu erhalten. Aber es wird so kommen, dass sich immer mehr Journalisten mit Hilfe eines engagierten Publikums von den Produktionsbedingungen des alten Systems losreißen können. Und wenn das passiert, werden vielleicht auch dessen Vertreter merken, dass sie sich für die falsche Seite entschieden haben, als die Revolution begann. Aber dann wird es womöglich zu spät sein, weil ihnen die Leute, die Qualität liefern können, von der Fahne gegangen sind.

Eine naive Zukunftsvision? Vielleicht. Aber in der momentanen Mediensituation hat man nur die Wahl zwischen Zynismus (= Pessimismus) und Naivität (= Optimisimus). Da entscheide ich mich doch lieber für Zweiteres. Für Pessimismus fühle ich mich jedenfalls mit meinen 31 Jahren noch zu jung. Vielleicht haben Julia und ich uns in jemanden verliebt, dem es gerade nicht gut geht. Aber bevor ich mich zu denen geselle, die den Journalismus endgültig zu Grabe tragen wollen, versuche ich lieber, ihm da, wo ich kann, neues Leben einzuhauchen.

P.S. Julia, ich bin übrigens auch nicht mehr eifersüchtig auf dich.

Crosspost von take56 · Das Blog von Moritz Meyer

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