#Journalismus

Ab vor die Hütte!

von , 18.4.12

Fangen wir mit einem kleinen Rätsel an. Woraus stammt der folgende Satz: „Die Älteren sitzen in ihren Hütten und wollen, dass die Dinge so bleiben, wie sie waren. Diejenigen, die die Veränderungen akzeptieren, packen die Gelegenheit bei den Hörnern und machen etwas daraus.“

Antwort A: aus der aktuellen Urheberrechtsdebatte?

Antwort B: aus einem Interview darüber, welchen Einfluss die Verbreitung von Handys auf den Preis von Ziegen in Afrika hat?

Die Lösung lautet: Antwort B.

Gleichwohl hat man im Moment den Eindruck, dass es so manchem auch in der aktuellen Diskussion um ein neues Urheberrecht, die vermeintliche Kostenlos-Kultur und das böse Internet schwer fällt, sich aus seiner Hütte zu wagen.

Da veröffentlichen 51 Tatort-Autoren einen Brief, in dem sie einerseits beklagen, dass die „selbsternannten digital natives (…) nie direkt mit den betroffenen Urhebern gesprochen haben“. Andererseits tun sie in ihrem Schreiben alles dafür, dass das auch in Zukunft nicht geschehen wird.

Da weisen zu Ostern „100 Schriftsteller, Sänger, Künstler, Softwareentwickler und Unternehmer“ im Handelsblatt darauf hin, dass ihr Kopf ihnen gehört. Andererseits lassen sie unerwähnt, dass unter ihnen einige sind, die in ihrer Unternehmenspolitik regelmäßig dokumentieren, dass ihnen nach ihrer festen Überzeugung auch die Köpfe ihrer Kreativen gehören.

Und da knöpft sich GEO-Chefredakteur Peter Matthias Gaede in einem gewohnt kernigen Beitrag die Angehörigen des „Stammes Nimm“ vor. Er argumentiert, dass der Druck auf uns Journalisten immer größer würde, je schwieriger es für die Bezahlmedien werde, profitabel zu wirtschaften. Und er schreibt: „Ich war ein bisschen unterwegs in der Welt als Reporter – und habe, null Überraschung, keinen der Propagandisten des kostenlosen Selbstbedienungszugangs zu den Leistungen anderer je dort getroffen. Nicht im Irak, nicht in russischen Gefängnissen, nicht bei kolumbianischen Naturkatastrophenopfern.“

Ich war in den vergangenen Jahren auch ein bisschen unterwegs. Nicht in russischen Gefängnissen, sondern in deutschen Verlagshäusern. Was ich von diesen Expeditionen im Namen des Stammes Freischreiber mit nach Hause gebracht habe, ist vor allem die Erkenntnis, dass es die heilige Allianz von Urhebern und Unternehmern, von Kreativen und den Verwertern schon lange nicht mehr gibt.

Es ist ein immer wieder gern bemühter Mythos, dass es den Urhebern nur dann gut geht, wenn es auch den Verwertern gut geht. Halleluja, von welcher Zeit sprechen wir? Mitte der Siebziger? Die Wahrheit ist: Die Bedingungen, unter denen die Kreativen in Deutschland arbeiten, sind von der Prosperität der Unternehmen, die mit dieser Arbeit Geld zu erlösen versuchen, weitgehend entkoppelt.

Derselbe Verlag, der Anfang März das nächste Rekordergebnis verkündet hat, behandelt seine Journalisten so miserabel, dass man es kaum noch Beruf nennen kann, wenn man für eines seiner Blätter arbeitet. Jedenfalls, wenn man unter Beruf eine Tätigkeit versteht, von der man ein Leben und eine Leidenschaft unterhalten möchte. Spricht man Vertreter dieses Verlags auf die Situation ihrer eigenen Freien an, argumentieren sie mit den Gesetzen des Marktes, der den richtigen Preis schon von selbst ermittelt. Oder mit dem Verweis auf den Aktienkurs, den man im Auge behalten muss. Insgeheim aber wissen sie genau: Sie behandeln ihre Freien nicht schlecht, weil sie müssen. Sondern weil sie können. Denn es gibt immer jemanden, der auch noch die miserabelsten Bedingungen zu akzeptieren bereit ist, warum auch immer.

Branchenweit sind inzwischen Verträge üblich, bei denen Verlage sich sämtliche Rechte ihrer Autoren sichern. Der Fachbegriff dafür: Total-Buy-Out. Ein treffenderes Wort wäre Total-Freak-Out, so zügellos sind sie gestaltet. Autoren werden darin gezwungen, den Verlagen allumfassende Freiheit zu gewähren, aus ihrer Arbeit Geld zu machen. Ein Rechtsvertreter der erwähnten 100-Köpfe-Zeitung begründete das mir gegenüber mal mit der Notwendigkeit, den Handlungsspielraum für die Zukunft zu sichern. Der Handlungsspielraum der Autoren scheint keine große Rolle zu spielen. Die Email, dass man leider nicht mehr für den Verlag arbeiten dürfe, solange man einen solchen Vertrag nicht akzeptiere, scheint auf vielen Verlagscomputern jedenfalls als Standard-Vorlage eingerichtet zu sein.

Es mag noch die Flaggschiffe im deutschen Journalismus wie GEO geben, die ihre Autoren trotzdem ordentlich bezahlen und Recherchen finanzieren, bei denen zu Beginn noch nicht feststeht, wie lange sie dauern und was am Ende herauskommt. Das sind aber inzwischen die Ausnahmen, und das hat nur noch wenig mit den jeweiligen Unternehmensergebnissen zu tun. Am anderen Ende des Vorstellbaren habe ich auch schon die Frage gehört, ob ich bei der Person, die ich porträtieren sollte, nicht auch gleich übernachten könne.

Anfang des Jahres saß Helmut Heinen in einer Sitzung des Kultur- und Medienausschusses des Deutschen Bundestags. Auf der Tagesordnung stand die „Zukunft des Qualitätsjournalismus“. Heinen kann dazu Stellung nehmen, er ist der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger. Und er tat das, indem er einen aufschlussreichen Satz sagte: „Wir haben als Unternehmen natürlich das Ziel, guten Journalismus zu günstigen Kosten einzukaufen.“ Diese Haltung ist ihm nicht vorzuwerfen. Man kann sie als Ausdruck vernünftigen unternehmerischen Handelns begreifen. Dass der Verlauf des Aktienkurses wichtiger ist als die Zufriedenheitskurve der Mitarbeiter, ist keine exklusive Handlungsmaxime der deutschen Unternehmer. Aber dann mögen die Verlage bitteschön nicht so tun, als wären sie die einzigen Gärtner, in deren Gärten auch in Zukunft blühende Kulturlandschaften wachsen. Die Jüngeren werden viele der digitalen Möglichkeiten, die sich ihnen gerade auftun, bei den Hörnern packen und etwas daraus machen.

Es stimmt schon: Auch in Zukunft werden Urheber noch auf Unternehmer angewiesen sein. Es stimmt aber auch: Ohne motivierte Urheber, die noch dazu die Marotte haben, von ihrer Arbeit leben zu wollen, haben Unternehmer nichts zum unternehmen. Ich schreibe selbst gern noch regelmäßig für Magazine. Aber das liegt einzig an den Redakteuren, mit denen ich zu tun habe und mit denen ich auf Augenhöhe zusammenarbeiten kann, nicht an den Verlagen. Mit denen wird eine Zusammenarbeit zunehmend zur Farce.

Je länger sie in der Öffentlichkeit so tun, als gäbe es eine Einigkeit mit ihren Urhebern, die sie dann hinter den Kulissen nach allen Regeln der Kunst untergraben, umso mehr Kreative werden früher oder später verloren gehen. Sie werden sich ihre eigenen Nischen suchen. Und sie werden sie finden – wenn auch nicht unbedingt in russischen Gefängnissen.

Kai Schächtele arbeitet als Autor und Journalist in Berlin. Zwischen November 2008 und Anfang 2012 war er Gründungsvorsitzender des Berufsverbands Freischreiber e.V.

 

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