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Die Telekom und der Geist des Bildschirmtextes

von , 25.4.13


 

Btx-Seite der Kripo, Screenshot: Michael Schmalenstroer


BTX-Seite der Kripo

Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des Bildschirmtextes. Alle Mächte der alten Bundesrepublik haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen das freie Internet verbündet, die Regierungsparteien, Justizbehörden, Innenminister, Polizeigewerkschaften, Verlage und jetzt auch die Telekom. Ob konservative Netzpolitik oder die Tarifpolitik der Telekom – sie atmen den Geist des Bildschirmtextes.

Wir erinnern uns: Noch lange bevor Tim Berners-Lee das World Wide Web entwickelte, plante die damalige Bundespost einen eigenen Onlinedienst. Mit eigenen Terminals und per Telefonleitung konnte man diverse Dienste nutzen, die auf den ersten Blick an das Internet erinnern: Nachrichten versenden, Informationen abrufen, Chatten, Banking, Shopping und mehr.

Das Konzept, das hinter dem Bildschirmtext stand, unterschied sich aber gravierend von dem Netz, das wir heute kennen. Es war ein Netz wie aus dem feuchten Traum aller konservativen Politiker, Verlagsmanager und Sicherheitsfanatiker. Mit der Bundespost gab es genau einen Provider, welcher auch die Server betrieb. Das Betreiben einer BTX-Seite kostete richtig, richtig Geld. So betrieben vor allem große Firmen, Städte oder Organisationen eigene BTX-Angebote, für Privatleute war das eher unbezahlbar. Einzig einige Vereine wie der CCC leisteten sich eine eigene BTX-Seite (und natürlich den berühmten Hack).

Für die nötige Einstiegshürde sorgten die Gerätepreise: Gewerbliche Anbieter zahlten Anfangs satte 70.000 DM für ihr Gerät. Der Dienst besaß auch eine integrierte Bezahlfunktion – der Aufruf einer Seite konnte kostenlos erfolgen, der Anbieter konnte dafür aber auch eine Gebühr von 0,01 Pfennig bis 9,99 DM pro Aufruf oder eine Minutengebühr verlangen.

Für Anbieter bestanden klare Regeln, die im Bildschirmtext-Staatsvertrag festgeschrieben waren. Es gab Sendezeitbeschränkungen für bestimmte Inhalte. Nutzer waren über ihre Anschlusskennung eindeutig identifizierbar. Onlinebanking war integriert. Für das Inkasso der gebuchten Dienste sorgte die Bundespost mit all ihrer Macht. Statt dem Wildwuchs des Internets gab es zentrale Strukturen, die Bundespost kontrollierte anfangs sowohl die Leitstellen als auch technische Entwicklung, Standards und Endgeräte.

BTX-Terminals im Intercity Experimental; Foto: Bernhard Lehn, CC BY-SA 3.0


Fast so schnell wie das WLAN im ICE: BTX-Terminals im Intercity Experimental (Foto: Bernhard Lehn, CC BY-SA 3.0)


Der große Unterschied zwischen BTX und dem freien Internet war allerdings der grundlegende Ansatz: Statt einer wilden, anarchischen und freien Welt, in der erst mal jeder machen konnte, was er wollte, gab es eine staatliche Planung, eine klare Zentralinstanz, und alles war streng geregelt. Und damit auch langweilig – BTX konnte sich so nie durchsetzen.

Die computeraffinen Menschen organisierten sich zunehmend in eigenen Mailboxen, und für Otto Normalanwender waren Hardware und Nutzung zu teuer. 1983 kostete BTX immerhin 8 DM monatliche Grundgebühr, die Hardware schlug mit etwa 3000 Mark zu Buche. Die Bundespost war unflexibel und behördig genug, um die Verwendung von günstigeren Fremdmodems oder CEPT-Decodern für Heimcomputer zu untersagen. Außerdem wurde und wird der Dienst immer gerne mit dem technisch anders aufgebauten Videotext verwechselt, welcher über die Austastlücke des Fernsehsignals verbreitet wird, ähnlich aussieht und immer noch erstaunlich beliebt ist.

Die großen Hoffnungen der Bundespost für Bildschirmtext erfüllten sich so nicht: Während das technisch vergleichbare Minitel-System in Frankreich vor allem aufgrund der  kostenlosen Terminals eine erstaunliche Beliebtheit erreichte und dort lange Zeit die Verbreitung des “richtigen” Internets verlangsamte, erlitt die Bundespost eine herbe Schlappe. Kaum einer nutzte es.

BTX wurde erst zu Datex-J, dann zu T-Online, wo es noch bis 2007 aufgrund seiner Onlinebankingfunktionen eine kümmerliche Nischenexistenz führte. Auch die französische Post schaltete im Juni 2012 ihr Minitel endgültig ab.

BTX-Terminal, Foto: Discostu, CC BY-SA 3.0


BTX-Terminal, Foto: Discostu, CC BY-SA 3.0


Der Geist von BTX lebt aber weiter: Viele Entscheider sind mit dem freien, grenzüberschreitenden, anarchischen und unkontrollierbaren Internet nicht warm geworden. Das Internet, wie wir es kennen, erscheint vielen Politikern und Managern als Betriebsunfall, dessen Folgen jetzt reguliert werden müssen.

Die Gesetzgebung des letzten Jahrzehnts geht klar in diese Richtung: Nach einer anfänglichen Euphorie, der Dotcom-Blase, AOL-Werbespots mit Boris Becker und der Initivative Schulen ans Netz steht seitdem der Rollback auf der politischen Agenda. Vorratsdatenspeicherung, Stoppschilder, Leistungsschutzrecht, Bestandsdatenauskunft und wie die Überwachungsgesetze alle heißen, dienen zur Zähmung des Wilden, des Anarchischen und des Kostenlosen.

BTX hatte viele der “Features”, welche aktuelle Gesetze den Sicherheitsbehörden bieten, bereits eingebaut – und manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die aktuelle Netzpolitik der Unionsparteien auch von Bundespostminister Schwarz-Schilling stammen könnte.


Auch in der alten Behörde Bundespost herrscht noch der Geist von BTX. Die aktuellen Pläne, DSL-Verbindungen mit Volumenbeschränkungen zu versehen, sind vor allem eine enorme Verletzung der Netzneutralität.

Die Telekom ermöglicht es bestimmten Anbietern, sich Ausnahmen zu kaufen. Die telekomeigenen Videodienste etwa zählen nicht zum verbrauchten Traffic. Bei der Mobilfunksparte der Bundespost zählt der Datentraffic von Spotify nicht für das verbrauchte Volumen, andere Musikstreamingdienste hingegen schon. Und wenn YouTube bei der Telekom ruckelt und langsam lädt, dann liegt das daran, dass die Telekom von Google Geld für den Anschluss des Rechenzentrums verlangt, statt, wie anderswo üblich, auf eigene Kosten für die Anbindung zu sorgen.

Da spukt das Gespenst der alten BTX-Leitstellen – dort gab es eine zentrale Bundespost-Leitstelle in Ulm und mehrere regionale Zweigstellen. Kommerzielle Anbieter konnten sich gegen gesalzene Gebühren eine “Übergabeseite” in das eigene Netz einrichten lassen. Banken, Versandhäuser und Reiseanbieter nutzten dies, um Bankgeschäfte oder Bestellungen abzuwickeln. Die aktuelle Politik der Telekom will diese BTX-Leitstellen unter eigener Kontrolle wieder einführen. Der Geist des Bildschirmtextes lebt immer noch. Willkommen im Jahr 1983.
 

Crosspost von Schmalenstroer.net

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