#Bundespräsident

Fahnenflucht!?

von , 2.6.10

Es gibt in Deutschland, was die Beurteilung politisch motivierter Rücktritte angeht (Oskar lässt grüßen), eine unselige Tradition: „Fahnenflucht“ heißt das Schmähwort, das dann schnell bei der Hand (und in den Mäulern von Stammtischhelden) ist. Dahinter verbirgt sich eine Mentalität, die selbst dem vernünftigsten Deserteur noch Jahrzehnte nach dem sinnlosen Untergang seiner Armee feige Fahnenflucht vorwirft. Soll heißen: Ein Deutscher hält aus bis zum Schluss. Er beißt die Zähne zusammen. Er kapituliert nicht.

Und nun hat „Null-Bock-Horst“ (Kurt Kister in der SZ) ausgerechnet vor einer militärischen Frage kapituliert! Er hat den Fahneneid mit Füßen getreten. Das verzeihen die Fähnriche der deutschen Leitmedien niemandem! Und so dominierte die „Fahnenflucht“ ihre Leitartikel – von den Ruhrbaronen bis zur Mitteldeutschen Zeitung, vom Wiener Kurier bis zur Frankfurter Rundschau, von der Freien Presse Chemnitz bis zur Financial Times Deutschland.

Dabei ist Horst Köhler keineswegs zurückgetreten, weil er angesichts der Kritik an seinem Bandwurmsatz kapitulierte (wie Miriam Meckel vermutet), er ist zurückgetreten – und so steht’s in seiner kurzen Erklärung –, weil man ihn, den Bundespräsidenten, nicht ernst nahm. Anstatt sich mit seinen Äußerungen auseinanderzusetzen, stellten ihn die politischen Eliten als Trottel hin. (Dieser Rücktritt war insofern ein klassischer, narzisstischer Bilanzselbstmord – wegen mangelnder Anerkennung).

Horst Köhler hatte nicht die selbst-ironische Distanz eines Gustav Heinemann, dessen legendärer Satz „Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau“ den Autoritätssüchtigen deutlich machen sollte, dass man ihn, den Bundespräsidenten, nicht mit allzu großen Hoffnungen überfrachten möge – weder im populistischen Sinne (als bequemen Anti-Parteien-Knüppel) noch im moralischen Sinne (als Übervater und Zeigefinger der Nation).

Gustav Heinemann, der einen gepflegten Rücktritt gegen die Adenauersche Wiederbewaffnung bereits hinter sich hatte (also „fahnenflüchtlingserfahren“ war), verkörperte den idealen Präsidenten, weil ihm bewusst war, was das Amt hergab und was nicht. Er wollte weder den guten König für die Untertanen der Yellow Press spielen, noch den Versöhner der Klassen, weder den Grüßaugust der Sommerfeste noch den Frühstücksdirektor, weder den volksnahen Wandersmann noch die bessere Bundesregierung.

Horst Köhler hat dieses Amt nicht „beschädigt“, wie es nun landauf, landab selbst liberale Autoren vom Blatt greinen. Ein Amt, das kein aktiver Politiker jemals ernst genommen hat, kann nur Schaden nehmen, wenn man es über die Maßen heilig spricht, anstatt es – wie Gustav Heinemann – hin und wieder kräftig mit Füßen zu treten.

Respekt also (um den Kabarettisten Georg Schramm zu zitieren) vor diesem FußRücktritt. Es war das Beste, was Horst Köhler für das Amt des Bundespräsidenten tun konnte. Denn bereits einen Tag nach der präsidialen „Fahnenflucht“ sind die schwarz-gelben Parteistrategen schon wieder dabei, das angeblich so heilige Amt für eine kleine Personalrochade zu missbrauchen. Der clevere „Große-Koalition-in-NRW-Rüttgers-nach-Berlin-von-der-Leyen-for-President-Plan“ bestätigt die schlimmsten Ahnungen des Zurückgetretenen.

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Dieser Beitrag ist ein Crossposting mit freundlicher Genehmigung des Online-Magazins Magda.

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