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Twitter-Relaunch: Ein Social Network sollte kein Zeitfresser sein

von , 17.9.10

Twitter will es noch einmal wissen und setzt an zum großen Sprung nach vorn. Mit “New Twitter” möchte der Dienst benutzerfreundlicher und attraktiver werden, was im Wesentlichen durch eine neu gestaltete Oberfläche der Website erreicht werden soll. Künftig wird man hier, ähnlich wie bei der jüngst vorgestellten Applikation für das iPad, die Inhalte von getwitterten Links (Fotos, Videos, Artikel…) direkt schon in der rechten Spalte sehen können, dazu kommen weitere Verbesserungen im Detail.

Aber wird das reichen, um Twitter auf Wachstumskurs zu halten und dauerhaft neben Facebook bestehen zu können? Mehr noch: Sind die neuen Features überhaupt das, was der vernetzte Mensch von heute braucht?

Beide Netzwerke, Twitter und Facebook, bieten ihren Usern im Kern eine Timeline mit Statusmeldungen, die in Echtzeit Einträge anderer User (denen man folgt, bzw. mit denen man im Netzwerk befreundet ist) anzeigt. Diese Timeline, bei Facebook “News Feed” genannt, war technologisch ein echter Durchbruch, speziell in der Form des nicht-reziproken Followens bei Twitter.

Allerdings geht mit dieser Errungenschaft auch ein Problem einher: Bei den meisten Usern werden es mit der Zeit zu viele Meldungen, die obendrein noch eine erhebliche Redundanz dergestalt mit sich bringen können, dass der gleiche Sachverhalt (ein Link auf einen Artikel etwa), von mehreren Personen unabhängig voneinander gemeldet wird und man so ein und dieselbe Botschaft mehrfach erhält, ohne dass mit dieser Mehrfachmeldung ein erkennbarer Nutzen verbunden wäre.

Stand heute bleibt dem geneigten User von Twitter wie Facebook deshalb gar nichts anderes übrig, als weite Teile ihrer Timelines zu ignorieren und praktisch nur im Wege des “Stichprobenverfahrens” an der dort ablaufenden Kommunikation zu partizipieren. Genau das praktiziert wohl der überwiegende Teil der registrierten User, während eine Minderheit durch die rigorose Beschränkung ihres (digitalen) Freundeskreises versucht, der Informationsflut Herr zu bleiben. Im Fall von Twitter kommt hinzu, dass viele Menschen diesen Dienst inzwischen sehr wohl kennen, ihn aber bewusst meiden, weil sie nicht wissen, woher sie die Zeit dafür nehmen sollen.

In diesem Sinne wäre es eigentlich an der Zeit, mit einer radikalen Innovation das Social Network für das nächste Jahrzehnt zu schaffen, das genau nicht wie Facebook (und zunehmend auch Twitter) versucht, seine User so lange wie möglich auf der eigenen Seite zu halten, sondern das durch Filter bzw. Aggregation von Nachrichten seinen Usern hilft, stets aktuell informiert zu bleiben und dabei noch Zeit zu sparen. Ein Social Network sollte kein Zeitfresser sein.

Facebook ist genau so ein Zeitfresser, weil hier versucht wird, die Dienstleistung über Werbung zu refinanzieren und dazu die User möglichst viel Zeit auf der eigenen Seite verbringen zu lassen. Twitter marschiert nun offensichtlich in genau die gleiche Richtung, wie der Ausbau der rechten Seitenleiste vermuten lässt: Dort lassen sich künftig nicht nur verlinkte Inhalte aus den Tweets anzeigen, sondern es dürfte auch noch genügend Platz für Werbeeinblendungen bleiben. Effizienz im Sinne der User aber würde anders aussehen.

Dass diesen Herbst auch Google einen neuen Anlauf in Sachen Social Networking unternehmen wird, sollte niemanden besonders optimistisch stimmen: Gratisangebot und Werbefinanzierung liegen hier gewissermaßen in den Genen, so dass das Ergebnis nicht sehr weit über die Ansätze von Facebook und Twitter hinaus reichen dürfte.

Letztlich liegt der Spielball damit im Feld der Applikationsentwickler und Startups: Hier haben in den letzten Jahren einige mit ihren Clients speziell für Twitter beachtliche Erfolge erzielen können, die sich angesichts der neuen Politik bei Twitter nun nach neuen Betätigungsfeldern werden umsehen müssen.

In dem Maße wie Twitter eigene Clients für den mobilen Einsatz anbietet und die eigene Website mit Funktionen anreichert, die es bislang nur bei den Drittanbietern gab, werden sich diese etwas Neues einfallen lassen müssen, wollen sie nicht vom Markt verschwinden. Eine Möglichkeit für sie wäre es zu testen, ob der Markt inzwischen reif ist für kostenpflichtige Clients (für den Desktop ebenso wie mobile Geräte), mit denen sich das Social Networking effizienter gestalten lässt.

Zu den Features solcher Clients sollte es gehören, dass man sich mittels Filtermechanismen die Timelines von Social Networks so “erziehen” kann, dass diese sich auf ein erträgliches und zugleich aussagekräftiges Maß reduzieren lassen. Zudem könnten solche Clients Funktionen von Analyse-Tools integrieren. Gerade für Twitter gibt es eine Flut an prinzipiell nützlichen Seiten, die sich für eine (partielle) Integration in Clients anbieten.

Entscheidend für Twitter könnte in den nächsten Monaten also weniger die neugestaltete Website werden, als vielmehr die Reaktionen der Applikationsentwickler. Schaffen diese neue Twitter-Tools und damit einen Mehrwert für die User oder wenden sie sich von Twitter ab? Für die User bleibt zu hoffen, dass bald jemand die Datenflut und -redundanz in Social Networks als Problem erkennt und es daraus versteht, eine Lösung zu entwickeln, möglichst ohne Werbung. Dann könnte es tatsächlich klappen, mit dem großen Sprung nach vorn.

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