von Frank Lübberding, 11.1.13
Ich habe bisher weder einen Flughafen, einen Bahnhof, noch eine Konzerthalle oder ein Stahlwerk gebaut. Wenn man die Diskussionen der vergangenen Wochen nachliest, scheint das in Deutschland außer mir auch sonst noch niemand erfolgreich gemacht zu haben. Mittlerweile frage ich mich sogar, wie der Wiederaufbau nach dem Krieg möglich gewesen ist. Es wirkt angesichts der jüngsten Debatten wie ein Wunder, dass wir nicht mehr in Trümmern leben.
Allerdings müsste man zugleich die Frage stellen, ob mit unserem heutigen Planungsrecht der Wiederaufbau unserer zerstörten Städte überhaupt möglich gewesen wäre. Dessen Grundsatz, so mein Eindruck, besteht darin, jeden selbst nur theoretisch denkbaren Schadensfall auszuschließen und jede denkbare Kritik schon in der Planung zu antizipieren. Am Ende hat sprichwörtlich jeder Akteur den Überblick verloren.
Nun wird bisweilen auf China verwiesen. Die bauen Flughäfen und Stahlwerke in Serie. Nur ob diese Bauten in einem deutschen Landratsamt überhaupt genehmigungsfähig wären? Meine zugegeben rudimentären Kenntnisse über die Qualität der chinesischen Verwaltung erzeugen jenen Zweifel, ob etwa Defizite beim Brandschutz im Fernen Osten zu einem Baustopp und Plaungsänderungen führten. Oder ob man dort nicht einfach darauf vertraute, dass es schon nicht brennen werde. Außerdem redet man in China nicht gerne über solche Probleme – und was der Bürger nicht weiß, macht ihn bekanntlich auch in China nicht heiß. Insofern ist die demokratische Verfassung der öffentlichen Meinungsbildung ein echtes Planungshindernis.
Nun will die niemand abschaffen. Aber wir haben offensichtlich in unserer gesellschaftlichen Struktur ein System ausgebildet, das die Umsetzung solcher Großprojekte (fast) unmöglich macht. Es ist schlicht auszuschließen, dass in allen Fällen individuelles Versagen für das Desaster verantwortlich zu machen ist. Ob in China oder in Deutschland: Die Zahl der Vollidioten in leitenden Positionen entspricht der Normalverteilung.
In der derzeitigen Debatte über den Flughafen in Berlin geht es gar nicht um die Frage, wie man ihn zu Ende baut. Ein solches Großprojekt ist vor allem ein Kommunikationsproblem geworden. Es geht darum, wer die berühmte Verantwortung definiert und schließlich zu übernehmen hat. Das Reden über den Bau ist wesentlich wichtiger geworden, als das Bauen selbst. Wo in China jeder baut (und keiner darüber redet), wird in Berlin nicht mehr gebaut (und dafür nur noch geredet). Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, Martin Delius, hat heute Morgen in einem Interview einen interessanten Hinweis auf die Hintergründe des Flughafen-Desasters gegeben:
“Ich habe eine These. Es geht damit los, dass große Unsicherheit herrschte, wo ein Flughafen gebaut werden sollte, von wem und wie groß er werden sollte. Erst sollte privatisiert werden, das scheiterte, dann sollte es einen Generalplaner geben, den gab es nicht. Prämissen wurden reihenweise über Bord geworfen. In der Flughafengesellschaft sitzen Berlin, der Bund und das Land Brandenburg. Sie ist nicht nur für den Bau des neuen Flughafens verantwortlich, sondern auch für den Betrieb der alten Flughäfen Tegel und Schönefeld. Für mich ist das ein Indiz dafür, dass man mit den liquiden Mitteln der bestehenden Flughäfen den Bau mitfinanzieren wollte, ohne die Parlamente damit befassen zu müssen.
Die Konstruktion der Flughafengesellschaft als Betreiber und Erbauer zugleich ist schwierig, zumal die drei Gesellschafter extrem unterschiedliche Interessen verfolgen. Brandenburg geht es um die Anwohner eines Infrastrukturprojekts, Berlin als Hauptstadt und Touristenmagnet braucht ein Tor in die Welt, und der Bund ist mit seiner Verkehrsplanung dabei. Im Nachhinein zeigt sich, dass das nicht funktionieren kann. Es könnte auch sein, dass es nicht kontrollierbar ist. Eine effiziente Bauprüfung hat offenbar nicht stattgefunden. Ich ziele nicht so sehr auf Personen, sondern auf die Konstruktion.”
Genau um diese Konstruktion muss es gehen. In Berlin hatte man ja einen Retter namens Amann gesucht, der aber wohl auch nicht die Rettung ist. In dieser Analyse sollte aber eine Frage diskutiert werden: Ob nicht – im Gegensatz zu China – das sogenannte Desaster in der Abwicklung solcher Großprojekte in unseren Gesellschaften der Normalfall, und somit die Erwartung an technokratische Effizienz zur Illusion geworden ist. Somit auch die am Schreibtisch entworfenen Großlösungen von Experten.
Ihnen fehlt es nämlich in einer Gesellschaft, wo alle mitreden können und ihre Interessen formulieren, schon lange an der politischen Durchsetzungsfähigkeit. Selbst Experten mit ihrem Wissen können eben nicht mehr einfach machen, was nur sie für richtig halten. Dafür ist Dieter Faulenbach da Costa in dem Interview nur ein Beispiel. Seine Vorschläge hören sich gut an. Sobald sie mehr wären als bloßes Reden, brauchte er die Legitimation zur Umsetzung seiner Lösungen. Und die Legitimation ist das knappe Gut geworden, und keineswegs das angeblich fehlende Geld. Davon haben wir mehr als genug – und übrigens auch mehr als die Chinesen.
Wir leben mental (und intellektuell) noch in der Nachkriegszeit, als alles schnell gehen musste. Wer kein Dach über dem Kopf hat, macht sich keine Gedanken über die theoretischen Folgen eines Brandes, dessen Wahrscheinlichkeit als gering einzuschätzen ist. Er nimmt das Risiko mit guten Gründen in Kauf. Die Risiken, in Trümmern zu leben, sind als wesentlich größer zu bewerten.
Gesellschaften wie in China sind dieser Sichtweise noch verpflichtet. Das hat sich bei uns geändert. Weil der Nutzen eines neuen Flughafens in Berlins minimal ist, werden die Risiken eines solchen entsprechend höher gewichtet. Es beginnt beim Lärmschutz und endet nicht beim Brandschutz. Das sollten wir endlich zur Kenntnis nehmen – und die knappe Ressource Legitimation nicht mehr nur als Defizit definieren.
Technokratische Effizienz ist ein Modell von gestern, gleichwohl machen alle Beobachter dieses Modell zur Grundlage ihrer Meinungsbildung. Um sich anschließend darüber zu empören, dass es nicht funktioniert. In Wirklichkeit gehören sie alle selbst zu den Planungshindernissen, die sie anschließend lautstark beklagen. In China müssten sie nämlich die Klappe halten.
Crosspost von Wiesaussieht