von Frank Lübberding, 24.10.13
Erich Honecker wusste nichts von Günter Guillaume, und Markus Wolf, der Chef der legendären Auslandsaufklärung des MfS, hielt es später für einen Fehler: Die Installierung eines Spions in der unmittelbaren Nähe des Bundeskanzlers. Der Nutzen der Informationen, die Guillaume nach Ostberlin übermittelt hatte, standen in keinem Verhältnis zu den Folgen: nämlich durch den Rücktritt Willy Brandts die innerdeutschen Beziehungen zu beschädigen.
Nun musste Brandt auch nicht wegen eines Spions zurücktreten, der in den 1950er-Jahren von der Stasi in den Westen eingeschleust worden war. Der Bundeskanzler wurde das Opfer einer Intrige in der westdeutschen Politik im Umgang mit dem Verdacht gegen Guillaume. Das Versagen der Spionageabwehr war das Thema – und nicht die alberne Bitte an das MfS, doch besser mit dem Spionieren aufzuhören.
Dort spielten viele Leute eine Rolle. Vom Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Günther Nollau, bis zum Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher. Der innerparteiliche Konflikt in der SPD genauso, wie die Kampagne der konservativen Presse. Guillaume wurde so zum Auslöser politischer Verwerfungen, die weit über den Anlaß seiner Spionagetätigkeit hinausgingen. Und damit kommen wir zum Mobiltelefon der Bundeskanzlerin.
Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen den USA und der DDR. Die USA sind ein Verbündeter, was auch das wichtigste Argument der amtierenden Bundesregierung ist. Nur, was heißt das eigentlich? Dass etwa die Spionageaktivitäten Russlands oder Chinas anders zu bewerten sind? Das Problem ist nicht die Frage, ob eine fremde Macht ein Verbündeter ist oder nicht, sondern ob die Spionageabwehr solche Angriffe abwehren kann. Die Frage ist also, warum die abgewählte Bundesregierung bis gestern Abend nicht reagiert hat. Wieso konnte die Bundeskanzlerin weiterhin ein Handy benutzen, das im Verdacht stehen musste, abgehört zu werden?
Das ist durchaus mit Guillaume vergleichbar. Wieso konnte der persönliche Referent des Bundeskanzlers 1974 noch mit Brandt in den Urlaub nach Norwegen reisen, obwohl der Verfassungschutz schon längst Verdachtsmomente gegen Guillaume hatte? Das ist damals wie heute die spannende Frage – und eben nicht der moralisierende Vorwurf an die NSA, sie würde spionieren. Wenn sie Informationen über ausländische Spitzenpolitiker zu beschaffen versucht, macht sie nach ihrem eigenen Selbstverständnis wohl nur ihren Job.
Natürlich werden sich die USA Fragen stellen müssen. Sie sollten nicht dümmer sein als Markus Wolf. Welchen Nutzen haben diese Informationen im Vergleich zu dem außenpolitischen Kollateralschaden, den die Aktivitäten der NSA anrichten? Was nutzt im demokratischen Verfassungsstaat ein Geheimdienst, der augenscheinlich keinen anderen Grenzen unterliegt, als denen, die er sich selber setzt?
Die USA – und Präsident Obama – müssen auch die Frage beantworten, ob solche Informationen tatsächlich zur täglichen Lektüre des Präsidenten gehören. Wusste er – im Gegensatz zu Honecker – von dieser Praxis? Und ist es wirklich denkbar, dass Obama der erste US-Präsident ist, der solche Informationen bekommen hat? Und warum sind die USA nicht in der Lage, den politischen Schaden rational mit dem eventuellen Nutzen abzuwägen?
Offenkundig haben sie ein Problem mit ihren Geheimdiensten. Das sollte die Amerikaner tatsächlich beunruhigen, aber es ist nicht die Aufgabe der deutschen Politik, sich damit zu befassen. Die Europäer sind Verbündete – und nicht Bittsteller. Wenigstens dachte man das bisher.
In Deutschland gibt es aber ein anderes Problem. Bisher hat die abgewählte Bundesregierung den NSA-Skandal vertuscht und verharmlost. Dafür stehen die Namen Ronald Pofalla und Hans-Peter Friedrich. Dahinter stand das Kalkül, den Nutzen der NSA-Aktivitäten als größer zu bewerten als den Schaden für die Grundrechte und die Verfassungsordnung. Pofalla und Friedrich betrachteten sich als die Verbündeten der USA – und wurden mit ihren Einlassungen und ihrer Passivität zu Einflussagenten einer fremden Macht. Es ist ein Skandal, wenn deutsche Sicherheitsbehörden (und die politisch verantwortlichen Minister) nicht in der Lage sind, die Sicherheit der Bundesrepublik zu gewährleisten.
Bis heute ist der NSA-Skandal ohne Konsequenzen geblieben, wie etwa, die Verhandlungen mit den USA über die Schaffung einer Freihandelszone unwiderruflich abzubrechen. Es gab bisher keine ernsthaften Schritte, die Kooperation mit den Amerikanern auf jenes Minimum zu beschränken, das nötig ist, um die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik zu schützen. Vielmehr wird mit den Aktivitäten der NSA die Grundrechtsordnung der Bundesrepublik zur Farce.
In dem Artikel über die Tagung des Cato-Instituts habe ich als Fazit folgendes formuliert.
“Im Auge des Hurrikans ist zwar Windstille, aber es ist die Ruhe vor dem nächsten Sturm. In diesem Sturm wird es um die Relevanz der Verfassung in digitalen Lebenswelten gehen. Die alten Schlachtordnungen werden dabei keine Rolle mehr spielen. Insoweit wäre ein Revitalisierung der amerikanischen Politik zu erwarten, jenseits der überkommenen Washingtoner Rituale.
Für viele Europäer sind die Vereinigten Staaten kulturell und politisch immer noch schwierig zu verstehen, trotz des Internets 6.500 km weit weg. Sie spielten beim Cato-Institut kaum eine Rolle. Es wäre wohl zu viel verlangt, wenn der Kongress jetzt auch noch den Grundrechtsschutz in Europa übernehmen soll. Die Bundesregierung vermittelte übrigens bisher diesen Eindruck.”
Frau Merkel ist nämlich ein legitimes Ziel für auswärtige Geheimdienste. Das mag einem passen oder nicht. Deren Generalverdacht gegen die Online-Aktivitäten aller unschuldigen Bürger in Europa (und weltweit) passt nicht.
Nun ist es nicht die Aufgabe der USA, die deutschen außenpolitischen Interessen vor den eigenen Geheimdiensten zu schützen, unabhängig davon, wie diese Aktivitäten letztlich zu beurteilen sind. Das wäre nämlich einzig die Aufgabe von Pofalla und Friedrich gewesen. Beide müssen für ihr Versagen die politische Verantwortung übernehmen.
Noch ist die Bundeskanzlerin unschuldig, übrigens wie damals ihr Amtsvorgänger. Für Brandts Rücktritt war allerdings nicht die Stasi verantwortlich. Das nur als Hinweis für die Kanzlerin. Sie lebte ja damals in der DDR.
Crosspost von Wiesaussieht