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Weltflüchtlingstag: 82,4 Millionen Geschichten

Waren 2015 noch 65,3 Millionen Menschen, stieg die Zahl im Jahr 2017 bereits auf 68,5 und 2019 auf erschreckende 79,5 Millionen Geflüchtete weltweit. Heute müssen wir die traurige Zahl von 82,4 Millionen Menschen konstatieren.

von , 19.6.21

Die Zahl der Geflüchteten hat einen neuerlichen, traurigen Höchststand erreicht. Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni erinnert der Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe an die schleichend wachsende humanitäre Katastrophe unserer Zeit.

Eine niederschmetternde Zahl: 82,4 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. So veröffentlichte es gerade der UN-Hochkommissar, Filippo Grandi, anlässlich des Weltflüchtlingstages am 20. Juni. Wer die Entwicklung der Zahlen aller Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, allein in den letzten sechs Jahren verfolgt, müsste eigentlich verzweifeln: waren es 2015 noch insgesamt 65,3 Millionen Menschen, stieg die Zahl im Jahr 2017 bereits auf 68,5 Millionen und vergangenes Jahr 2019 erreichte sie erschreckende 79,5 Millionen Geflüchtete weltweit. Heute müssen wir die traurige Zahl von 82,4 Millionen Menschen konstatieren, die auf der Flucht sind. Wenn es uns aber gelingt, die Schicksale und Lebensgeschichten der Menschen hinter den Zahlen zu verstehen, wird aus Verzweiflung Mut und Tatkraft. 

Manchmal reicht das Gespräch mit Mohammed, einem Flüchtling, der schildert, wie schwer es ihm gefallen ist, als Jugendlicher seine Heimatstadt in Syrien zu verlassen. Praktisch alles, was ihm wichtig war, musste er zurückzulassen. Er wollte nicht nach Deutschland, er wollte in Frieden und Sicherheit leben. Während er in Syrien auf ein Gymnasium ging, musste er in Deutschland wieder ganz von vorne beginnen. Er schildert, wie er sich von Anfang an »durchgebissen« hat und wie stolz er darauf war, die Schulzeit mit dem Abizeugnis abzuschließen. Heute studiert er Bauingenieurswesen und engagiert sich politisch. Für ihn ist Integration keine »Einbahnstraße« – er verlangt von sich Engagement für und in unserer Gesellschaft. Und von der Zivilgesellschaft erwartet er Offenheit, Interesse und Gleichberechtigung bei Chancen und Möglichkeiten. Für mich ein wunderbarer Mensch, der mir Vorbild und Motivation für die Arbeit bei der UNO-Flüchtlingshilfe ist. Oder nach einem Gespräch mit Nujeen Mustafa, die wegen einer Krankheit nicht laufen konnte und im Rollstuhl mit ihrer Familie aus Syrien bis nach Deutschland geflohen ist. Welche Stärke und Entschlossenheit sie vermittelt: Hier erstmals in der Schule, hat sie klare Vorstellungen von ihrem Leben. Das klingt vielleicht auf den ersten Blick übertrieben positiv, bei genauerem Hinsehen und vor allem Zuhören wird einem bewusst, was diese beiden Menschen in wenigen Lebensjahren schon durchgemacht haben, wie sie mit Kraft und eigenem Willen durchhalten und ihren Weg gehen. 

Die Lebensgeschichten sind es, die Widerstandkraft und der Mut, den man nur bewundern kann. Es sind nicht alleine die Zahlen der Menschen auf der Flucht, die uns am Weltflüchtlingstag berühren – es sind vor allem die Geschichten der Menschen, die Schutz und Sicherheit gefunden haben. Mit welcher Wertschätzung über Demokratie, Frieden, Sicherheit und dem Engagement gesprochen wird. Da lässt es sich aus unserer warmen, sicheren Blase, wohlfeil diskutieren. Die zwei stehen für mich für unzählige Menschen, die nicht freiwillig ihre Heimat verlassen haben – die am liebsten von heute auf morgen wieder nach Hause gehen würden. 

Über 40 % der Flüchtlinge weltweit sind Kinder und Jugendliche. Ihre Chancen und ihre Perspektiven müssen wir ganz besonders in den Blick nehmen. Gleichzeitig werden wir nicht aufhören dürfen, uns selbst einzumischen, wenn es um Fragen der Flüchtlingspolitik geht. Als UNO-Flüchtlingshilfe, dem deutschen Partner des UNHCR, sind die Erfahrungen der über 17000 Mitarbeitenden des UNHCR, die sie bei ihren weltweiten, lebensrettenden Einsätzen machen, immer wichtigste Leitlinie der Arbeit. So macht der UNHCR klar, dass die Staats- und Regierungschefs dem ständig weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen aktiv begegnen müssen, um den Negativ-Trend zu brechen. Der UNHCR kritisiert die Pläne Dänemarks und fordert den Flüchtlingsschutz nicht in Frage zu stellen. Und er unterstreicht, wie wichtig die Seenotrettung im Mittelmeer ist und fordert von den EU-Innenministern endlich gemeinsam zu handeln. Hier in Deutschland stehen wir laut und deutlich für Flüchtlinge ein. Mit der Solidaritätserklärung www.withrefugees.de wird ein starkes Zeichen für 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht gesetzt. So wird klar, dass hinter der gigantischen Zahl in Wirklichkeit Menschen, wie Mohammed und Nujeen, stehen, die Träume und Ziele haben, wie wir. 

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