#Bezahlmodelle

Was können Verlage von freien Journalisten lernen?

von , 19.6.12

Die aktuelle Diskussion um das Urheberrecht zeigt vor allem eines deutlich: Dass vielen Verlagen bis heute ein adäquates Geschäftsmodell fehlt, um mit den Erfordernissen des Internetzeitalters fertig zu werden.

In einer Podiumsdiskussion gab Matthias Urbach, Online-Chef der TAZ, kürzlich auch unumwunden zu, was viele Chefredakteure gerne geflissentlich unter den Teppich kehren: Dass eigentlich keiner so richtig weiß, wie es weitergeht mit dem Journalismus in Internetzeitalter. Anlass zur Diskussion war eine Veröffentlichung der Heinrich-Böll-Stiftung, die unter dem Titel „Öffentlichkeit im Wandel – Medien, Internet, Journalismus“ die Lage des Journalismus im Internet-Zeitalter beleuchtet. Und dabei in vielen Facetten zeigt: Das Problem der Verlage ist nicht etwa die Kostenlos-Mentalität im Netz und wie man trotzdem irgendwie Geld verdient. Es ist eher grundsätzlicher, struktureller Natur.

Wo liegt das Problem der Verlage?

Gemma Pörzgen etwa beklagt den Sparwahn deutscher Redaktionen, macht aber als Vertreterin eines eher klassischen Journalismus gleichzeitig deutlich, wie wichtig ihr in dieser traditonellen Medienlandschaft etablierte Strukturen mit entsprechend hohen Kosten sind. Medientheoretiker Geert Lovink schreibt über das Selbstverständnis von Blogs als unredigierte, authentische und meinungsstarke Publikationsform, die sich nur schwer in gängige Medienkategorien einordnen lassen.

Journalistin Mercedes Bunz erklärt das Prinzip Crowdsourcing und wie Redaktionen unter Mitwirkung ihrer Leser auch größere Datenmengen auswerten können. Berater und Analyst Marcel Weiss hat beobachtet, wie die gesellschaftlichen Aufgaben des Journalismus zunehmend außerhalb der etablierten Medien geleistet werden, und vermisst die Experimentierfreude unter den Verlagen, die den traditionellen Geschäftsmodellen geschuldet ist: Statt an Strukturen festzuhalten, die ein möglichst breites Angebot ermöglichen, sollten sie sich beispielsweise auf das spezialisieren, was der Leser nirgendwo anders findet.

Matthias Spielkamp, Projektleiter von iRights.info, zeigt auf, warum die wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Verlagen nicht etwa durch fehlenden Urheberschutz entstanden, sondern durch einen grundlegenden Strukturwandel begründet sind; z.B. weil die Leser nicht mehr ein Gesamtpaket kaufen, sondern im Internet sehr genau wählen, was sie lesen möchten, und was nicht. Karsten Wenzlaff und Anne Hoffmann vom Institut für Kommunikation in sozialen Medien schließlich stellen den etablierten neue, zeitgemäßere Erlösmodelle wie Crowdfunding oder Social Payment gegenüber.

„Da kann ja jeder Bauer bloggen!“

All diese Beiträge machen klar, dass das Internet unser Verständnis von Öffentlichkeit und Medien gerade viel grundlegender ändert, als das viele Verlage wahrhaben wollen. So zeigt die gerade erschienene Studie „Forschungsbericht Crossmedia 2012“ von Bundeszentrale für politische Bildung und RWTH Aachen, dass es mit der Nutzung von neuen Medien in den Redaktionen, vor allem im Lokaljournalismus, nicht sehr weit her ist. So werden mehr als 80 Prozent der Arbeitszeit immer noch für Printpublikationen aufgewendet, 15 Prozent für den Webauftritt, da bleibt für neuere Entwicklungen wie iPad- und Handy-Ausgabe nur wenig Zeit. Insgesamt kommen die Autoren in ihrem Resümee zu dem Schluss:

Aktuell überwiegen in den Zeitungsredaktionen noch punktuelle (Einzel-) Initiativen. Insgesamt werden die zeitungsinternen Crossmedia-Aktivitäten zwischen den Beteiligten wenig abgestimmt, es fehlt an Strategien und gezieltem Management zur erfolgreichen und nachhaltigen Crossmedia-Implementierung. Auch mit neuen journalistischen Formen wird meist nur punktuell experimentiert, es gibt noch viel Potenzial für eine systematische Integration und permanente Evaluation neu zu entwickelnder Formen der öffentlichen Kommunikation. Die erfolgreiche Einbindung der Mitarbeiter ist hier ein zentrales Element für die erfolgreiche Crossmedia-Implementierung, das oft noch zu wenig genutzt wird.

Berühmt-berüchtigt ist auch die Empörung einer Gruppe von Hauptstadtjournalisten, die sich offenbar von der Bundesregierung übergangen fühlte. Grund: Regierungssprecher Steffen Seibert hatte im März 2011 zunächst per Twitter und erst danach auf den offiziellen Kanäle des Bundespresseamtes über eine geplante Reise der Kanzlerin informiert. Das Protokoll zu der Diskussion, die sich bei der darauffolgenden Bundespressekonferenz zwischen dem stellvertretenden Regierungssprecher Christoph Steegmans und den Journalisten entspann, umfasst vier Druckseiten und zeugt deutlich von der Abneigung gegen die neuen Kommunikationsformen.

Wirklich problematisch ist aber, dass diese innovationsfeindliche Haltung in der Journalistenausbildung auch dem Nachwuchs vermittelt wird. So kommentierte anlässlich eines Medienforums an einer Hochschule eine Studentin meinen Vortrag über Social Media mit dem entsetzten Ausruf: „Da kann ja jeder Bauer bloggen!

Was Verlage aber nun besser machen können und auch sollten, wird am ehesten klar, wenn man sich diejenigen anschaut, die im Internet bereits erfolgreich aktiv sind. Und oftmals sind gerade nicht Etablierte die großen Innovatoren, sondern die kleinen, freien Journalisten und unabhängigen Projekte. Was genau können Verlage also besser machen?

Qualität statt Hasenrennen

Ein großes Problem, das keines sein müsste, ist die sinkende Qualität von Texten (nicht nur) im Onlinejournalismus. Da werden kaum recherchierte Beiträge roh zusammengezimmert, Presse-Mitteilungen mit derartiger Freude übernommen, dass es selbst PR-Leuten graut, und Themen danach ausgewählt, was angeblich besonders viele Klicks bringt, aber auch billig zu produzieren ist – etwa „die Fotostrecke zur Kreuzfahrt in Dubai“ (Zitat Online-Redakteurin einer Regionalzeitung).

Der Grund dafür scheint vielen Redakteuren so logisch, dass sie ihre Handlungen gar nicht mehr hinterfragen: Man rennt seinen Klickzahlen wie der Hase der Möhre hinterher, um möglichst preiswert Werbeziele zu erreichen und ein festgesetztes Budget einzuspielen. Wer unterwegs einmal innehält und nachdenkt, dem dürfte schnell klar werden, dass diesen Wettlauf langfristig eigentlich keiner gewinnen kann: Ein Alleinstellungsmerkmal, das für Leser wie Werbekunden gleichermaßen atraktiv macht, ist auf diese Weise kaum zu erreichen. Es führt immer nur zu noch niedrigeren Werbepreisen, während z.B. der Bundesverband Digitale Wirtschaft bereits mit gestärktem Selbstbewusstsein behauptet, dass Werbung ja nun selbst zur werthaltigen Information wird. In vielen Redaktionen wird dem nichts entgegengesetzt.

Experimentierfreudige Freie haben längst erkannt, dass sie langfristig nur mit Qualität und guten Ideen am Markt bestehen können. Daniel Fiene etwa, Radiojournalist und Podcaster, begann 2004 beim Campusradio in Münster, das Gemeinschaftsprojekt “Was mit Medien” mit zu produzieren. Seit 2012 ist das Projekt regelmäßiger Bestandteil des digitalen Programms von Deutschlandradio Kultur. Diesen Erfolg schreibt Fiene im Interview mit der Medienjournalistin Ulrike Langer dem eigenen Durchhaltevermögen zu – und macht gleichzeitig klar, dass das größtenteils ehrenamtliche Projekt ohne Vorleistung nicht funktioniert hätte:

Wir haben uns bei DRadio Wissen gemeldet und “Was mit Medien” vorgestellt. Es kam aber keine Reaktion. Dass die Kooperation jetzt mit so großem zeitlichen Verzug von deren Seite kam, ist irgendwie cool. Es zeigt aber auch, dass es sich für uns gelohnt hat, durchzuhalten. Wir hatten ja zwischendurch auch eine gute Phase, als wir anderthalb Jahre bei Welt Online waren. Die haben uns Woche für Woche den Podcast abgekauft. Bis auf diese anderthalb Jahre haben wir den Podcast aber ehrenamtlich produziert, weil wir einfach Spaß an der Sache hatten. Und weil wir auch merkten: “Was mit Medien” ist ein Schaufenster. Wir haben ein Produkt, das uns Spaß macht. Man kann nie kalkulieren, was an Kooperationen dabei herauskommen wird. Aber das ist nicht schlimm, weil immer etwas passiert ist, und am Ende waren das richtig coole Sachen.

Innovationsfreude statt Schubladendenken

So viel Innovationsfreude scheint vielen Verlagen fremd. Schon einmal ist ihnen eine wichtige Einnahmenquelle weggebrochen, als die Anzeigenmärkte ins Internet abwanderten, während die Verlage es versäumten, rechtzeitig eigene Angebote zu schaffen. Und während andere Browser entwickeln, die die Immobiliensuche mit Augmented Reality verbinden, sind die Verlage offenbar gerade wieder dabei, diesen Trend zu verschlafen. So schreibt Journalistin Ulrike Langer im mediummagazin:

Über ihre Zurückhaltung bei wirklich innovativen Anwendungen möchten Verlagsmanager und Redaktionsleiter ungern offen reden. Allgemein gelten in der Branche die technischen Hürden im Verhältnis zum erhofften Erfolg als noch zu hoch […]

[Ulrike Langer: Virtuelle Fundgrube, in: mediummagazin, 06/2012, S. 42, Artikel über Augmented-Reality-Entwicklungen]

Wenig Innovationsfreude herrscht aber auch bei den Themen: Statt Experimente zu wagen, wird lieber Altbekanntes wiedergekäut. Auch deshalb, weil man die passende Umgebung für zielgruppengerechte Werbung bieten möchte. Ich denke nur mit Grauen an die Aussage der Redakteurin einer Frauenzeitschrift, die mein Artikelangebot mit der Aussage quittierte, die interviewten Frauen hätten aber bitte zwischen 25 und 40 Jahren alt zu sein und unheimlich gut auszusehen.

Solches Schubladendenken ist aber nicht nur aus Gründen der journalistischen Qualität ein Problem: Im Marketing gilt Zielgruppendenken längst als überholt. Zudem werden Inhalte im Netz eben nicht mehr beim Durchblättern einer Zeitung, sondern meist ganz gezielt durch eine Suchfunktion, Facebook oder Twitter gefunden. Und eine zunehmend größere Bedeutung, auch bei den Suchmaschinen, hat mittlerweile der Autor. Es spielt also immer weniger eine Rolle, in welcher Umgebung sich ein Text befindet, wenn der Inhalt nur interessant genug ist. Apples Browser Safari zeigt auf dem iPad, wohin diese Reise geht: Im Reader-Modus lässt sich die gesamt Umgebung eines Textes samt Werbung ausblenden. Kurz: Solche Zielgruppenbeschränkungen machen auch ökonomisch keinen Sinn mehr.

Und dennoch sind es vor allem die Freien, die in Eigenregie innovative Themen und Projekte angehen, die ihnen zunächst vielleicht nicht einmal Geld bringen. Ende Januar 2011 reiste Journalist Richard Gutjahr nach Kairo. Dort machte er zahlreiche Fotos, die er hinterher bei Flickr hochlud und mit den Worten „Bedient Euch“ zur kostenlosen Weiterverwendung freigab. Doch mehr noch: An der Reise direkt hatte Gutjahr nichts verdient, im Gegenteil noch draufgezahlt, wie Ulrike Langer berichtet:

Vielleicht ist Richards Gutjahrs Reise ein finanzieller Flop: Neben Flug und Hotel schlagen auch eine von einem Polizisten gestohlene Kamera und 3500 Euro Roaminggebühren zu Buche. Seine Blogleser aber haben sich per Klick auf Spendenbuttons freiwillig an den Kosten beteiligt.

Allerdings waren die Kosten gut investiert, und zwar in das eigene Marketing. Heute, gut anderthalb Jahre später, hat Gutjahr im Bayrischen Fernsehen mit der Rundshow das erste Social-TV-Format gestartet.

Wir können alles – außer sparen!

Zugegeben, viele Verlage haben ein Problem: Ihre immensen Kostenstrukturen. In der oben genannten Podiumsdiskussion sagte Matthias Urbach, dass ein Verlag sehr viel Geld einsparen könne, würde er nur noch online publizieren. Doch nicht nur das: Verlagsstrukturen von Tageszeitungen etwa sind darauf ausgerichtet, ihre Leser allumfassend zu informieren. Das heißt, sie leisten sich eine Politikredaktion, eine Sportredaktion, einen Newsticker, vielleicht noch einen Auslandskorrespondenten, Sekretärinnen für jede Redaktion usw. Dieses Geschäftmodell hat gut funktioniert, solange die Zeitung eine Quasi-Monopolstellung für ihre Informationen an einem Ort hatte, war vielleicht sogar notwendig. Im Internet stehen jedoch all diese fast identischen Informationen verschiedener Medien frei verfügbar nebeneinander, sind nur einen Mausklick voneinander entfernt. Und nicht selten wurden dieselben Agentur-Meldungen als Quelle verwendet.

Verlage produzieren so mehrfach quasi das Gleiche, statt sich auf Angebote zu konzentrieren, die die Leser sonst nirgendwo finden. Finanziert wird dabei schlicht ein überflüssiges Angebot – man könnte auch sagen: Das Geld wird zum Fenster hinausgeworfen.

Viele Freie haben hingegen längst erkannt, dass sie nur mit der Spezialisierung auf ihre Kernkompetenzen punkten können, weil sonst die Konkurrenz zu groß ist. Gleichzeitig kooperieren viele von ihnen in Netzwerken, arbeiten in Bürogemeinschaften und Coworking-Spaces. Auf diese Weise gelingt es ihnen, ihre Spezialisierungen zu einem breiten Angebot zu bündeln und so gemeinsam eine kritische Masse an Kunden zu erreichen. Sich bedarfsgerecht miteinander vernetzen statt gegeneinander konkurrieren heißt das Zauberwort.

Der Leser – Mehr als nur Klickbringer

Mit dem Einbeziehen Anderer tun sich viele Verlage ein wenig schwer, auch, was die eigenen Leser angeht. Man schaue sich nur die nicht selten brachliegenden Kommentare der Online-Auftritte von Tageszeitungen an: Eine Moderation findet vielerorts nicht statt. Natürlich ist die zeitaufwändig, und ein gern gehörtes Argument von Redaktionen sind auch hier die Kosten. Aber der wahre Grund ist die Haltung dahinter: Leser werden leider viel zu oft als Klickbringer gesehen, die sonst am besten ruhig sind. Da ist es kein Wunder, dass diese sich nicht ernst genommen fühlen und entsprechend wütend reagieren. Ein Teufelskreis, den Kathrin Passig in einem Interview mit dem Medium-Magazin treffend beschreibt:

Es hat gute Gründe, dass ausgerechnet die Kommentare untere Zeitungsartikeln zu den Schlimmsten Pöbel- und Schmutzecken im Internet gehören […] Mit mehr Moderation und technischen Mitteln bekäme man das besser hin.

[Tina Klopp: Mensch und Maschine, in: mediummagazin, 12/2011, S. 27, Interview mit Kathrin Passig und Peter Glaser über den Berufswandel in der Medienbranche.]

Doch es geht auch anders: 2009 begannen meine Leser auf meinem Blog, teils wütend, teils polemisch, gegen die allgemein propagierte These vom Fachkräftemangel anzukommentieren. Weil ich die Kommentare ernst genommen und nicht sofort abgeblockt oder ignoriert habe, entspann sich eine über Jahre hinweg geführte Diskussion, in der sie mich immer wieder auch auf Medienberichte oder neueste Forschungergebnisse, etwa des DIW, aufmerksam machten – Material, das zu sichten ich aus Zeitgründen nicht in der Lage gewesen wäre. Einige Hundert Kommentare später wurde die Initiative „Wir sind VDI“ (in Anlehnung an die Aktion „Wir sind Einzelfall“ ) gegründet, die mittlerweile auch das Interesse von Institutionen wie dem DGB geweckt hat und in der Wikipedia referenziert ist. Seine Leser ernst zu nehmen, lohnt sich.

Crowdsourcing und Datenjournalismus – mehr als nur Text

Wenn Leser ernst genommen und in Projekte mit einbezogen werden, entstehen dadurch ganz neue, ungeahnte Möglichkeiten der Recherche. Etwa dann, wenn Informationen und Datenmengen für Einzelne oder auch einzelne Redaktionsteams viel zu umfangreich sind, um ausgewertet zu werden.

2009 etwa bat die britische Zeitung The Guardian ihre Leser um Hilfe: Sie stellte ein Dokument online, das die teilweise ziemlich irrwitzigen Spesen der Britischen Abgeordneten dokumentierte. Da das Dokument mit gut 500.000 Seiten unüberschaubar war, sollten die Leser ihren Abgeordneten nun selbst überprüfen – mit vollem Erfolg. Auch die größte Enzyklopädie der Welt, die Wikipedia, funktioniert nach dem Prinzip des freiwilligen, ehrenamtlichen Zusammentragens von Informationen. Und auch die Skandale um die Doktorarbeiten des Herrn zu Guttenberg und diverser anderer Politiker wären nie zustande gekommen, wenn nicht unermüdliche Helfer die Textstellen verglichen und so Schritt für Schritt die Plagiats-Beweise zusammengetragen hätten.

Wenn Crowdsourcing mit Datenjournalismus verbunden wird, können beeindruckende visuelle Projekte entstehen – wie die freie Software Ushahidi, die Wahlbetrug, Umweltvergehen oder Menschenrechtsverstöße auf eine Karte bringt. Nutzer können ihre Informationen auch via SMS, eMail oder Twitter einreichen. Organisationen auf der ganzen Welt nutzen das Projekt, um zum Beispiel Krisenherde zu identifizieren und rechtzeitig agieren zu können.

Crowdfunding statt Paywall

Der nächste Schritt ist dann, die Leser auch an der Finanzierung der Recherche zu beteiligen. Verlage versuchen gerne, das traditionelle Abo-Modell ins Internet zu übertragen: Eine Paywall, bei der die Leser das Angebot nur nutzen können, wenn sie es vorab bezahlt haben, erscheint vielen Anbietern als der sicherste Weg, ihre hohen Kosten wieder hereinzuholen. Die Nutzer sind anderer Meinung, und genau da liegt das Problem vieler Paid-Content-Angebote: Der nächste Gratis-Anbieter ist nur einen Klick entfernt. Und wenn sich die Leser schon im Netz ihre Informationen frei zusammenstellen können, dann wollen sie auch nur für die Informationen bezahlen, die sie wirklich interessieren und die sie nirgendwo anders finden.

Crowdfunding und Social Payment heißen die Modelle, die dieses Dilemma lösen sollen: Der Leser zahlt freiwillig eine von ihm festgesetzte Summe, nachdem er einen Text gelesen hat. Bekannte Modelle sind Kachingle und Flattr, wo User auch in Centbeträgen bezahlen können. Anders funktioniert z.B. das Modell von Spot.Us, eine amerikanische Nonprofit-Organisation, die Leser und Journalisten zusammenbringt. Journalisten bieten hier an, für eine bestimmte Summe über ein Thema zu schreiben. Aber auch Leser können Artikelwünsche äußern und Geld dafür anbieten.

Die Erfolge solcher Modelle zeigen, das Leser durchaus bereits sind, für gute Inhalte im Netz zu bezahlen, wenn sie nur interessant genug sind. Verlage stehen solchen alternativen Finanzierungsmodellen eher skeptisch gegenüber. Offenbar glauben sie nicht, dass diese genug einbringen, und befürchten viel mehr, dass transparent wird, wie viel ein Medium seinen Lesern wirklich wert ist. Als erster Zeitungsverlag hat mittlerweile die TAZ eine Crowdfunding-Aktion gestartet: Für ihr gemeinsam mit 2470media initiiertes Video-Projekt berlinfolgen sammeln sie derzeit Geld auf der Crowdfunding-Plattform startnext.

Indes zeigt die erste deutsche Crowdfunding-Studie des Instituts für Kommunikation in sozialen Medien, dass es durchaus eine Bereitschaft gibt, freiwillig im Internet zu bezahlen: Insgesamt wurden 125 Crowdfunding-Projekte auf sechs Crowdfunding-Plattformen untersucht. Bis zum 15. April wurden so 208.000 € eingeworben, und mehr als jedes zweite Crowdfunding-Projekt (53%) wurde erfolgreich finanziert. Erreicht wurden dabei Summen bis 26.991 €, die Projekte wurden durchschnittlich mit 108% überfinanziert. Insgesamt gab es 2.624 Unterstützer, wobei darunter auch Mehrfach-Unterstützer waren. Die durchschnittliche Summe pro Unterstützer betrug 79 €.

Haltung zeigen!

Es kann also nicht nur am reinen ökonomischen Nutzen und der Machbarkeit liegen, dass die zur Verfügung stehenden neuen Instrumente des Internetzeitalters so wenig genutzt werden. Vielmehr sind die Vorbehalte eher grundsätzlicher Natur: Das traditionelle Geschäftsmodell von Verlagen beruht in der Regel auf einer Quasi-Monopolstellung, vor allem, was Lokal- oder Regionalzeitungen angeht. Hier hatten Redaktionen als Gatekeeper die alleinige Informationshoheit; ihre Leser waren sozusagen abhängig von der Berichterstattung. Entsprechend selbstbewusst war auch der Habitus vieler Journalisten, die in der Regel von ihrem Status als Informationsbringer zehrten, deren Kompetenzen außer Frage standen.

Im digitalen Zeitalter gewinnt der Leser Autonomie, und er hat die freie Wahl zwischen den Informationsquellen. Und mehr noch: Weil der Leser plötzlich Vergleichsmöglichkeiten hat, kann er auch den Informationsgehalt überprüfen – und in der Regel wird er Fehler finden. Denn kein Journalist, dessen Aufgabe auch traditionell im Zusammentragen von Informationen bestand, kann all die Informationen wirklich überblicken. Doch genau hierin besteht die narzisstische Kränkung für viele Verlage: Plötzlich ist da immer einer, der von einem Thema mehr Ahnung hat und damit ihre Kompetenz und somit das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellt. Die Reaktion ist dann eine panikartige Schockstarre, in der sich nichts mehr bewegt.

Viele Blogger beziehen hingegen ihre Leser schon von Anfang an in den Recherche- und Schreibprozess mit ein: Statt Perfektion und Allwissenheit zu demonstrieren, bitten sie gleich um weitere Informationen. Und statt die eigene Meinung hinter scheinbarer Objektivität zu verbergen, kommunizieren sie ganz offen ihre Subjektivität. Das erfordert den Mut, zur eigenen Haltung zu stehen, weil es angreifbarer macht. Aber es bietet auch die Chance, mit dem Leser in eine transparente und ehrliche Kommunikation zu treten. Eine Chance, die leider noch viel zu wenige Verlage nutzen, auch wenn es einige wenige positve Ansätze gibt.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.