von Kerstin Hoffmann, 8.5.12
“Was soll ich denn auf der re:publica?”, meinte ein PR-Kollege im Vorfeld. “Da sind nicht meine Kunden.” Klar, meine auch nicht! Aber ich gehe stellvertretend für sie zu der jährlichen Konferenz, die sich von einem Blogger-Klassentreffen zu einer der wichtigsten europäischen Tagungen über Blogs, Internet und Social Web entwickelt hat. Um neue Entwicklungen und Strömungen aufzunehmen, mitzubringen und auch zu übersetzen.
Vor allem aber treffe ich auf einen großen Teil meines virtuellen Netzwerks live und zum Anfassen: Facebook-Kontakte, Twitterer und jede Menge Kollegen. Kurz: alle diejenigen, mit denen ich mich jeden Tag austausche, gegenseitig verlinke, empfehle; denen ich verdanke, dass andere von meinen Blogbeiträgen erfahren; die ebenfalls Fachwissen und interessante Sichtweisen zu Unternehmenskommunikation und Social Web beitragen.
Ich habe hinterher mal eine kleine Liste angelegt, und ich bin auf rund 40 Personen gekommen, mit denen ich mich innerhalb von drei Tagen intensiver unterhalten habe. Viele kürzere Begegnungen kommen hinzu. Manche Leute habe ich nach Jahren das erste Mal wieder getroffen. Ich kann dieses Begegnungen nicht anders als mit dem Adjektiv “beglückend” bezeichnen. Für mich ist die re:publica ein Treffen mit Freunden, mit denen ich das berufliche Interesse teile. Und so geht es offensichtlich nicht nur mir.
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Vorträge: von ziemlich schwach bis richtig gut!
Da fällt es dann ganz schön schwer, es rechtzeitig wenigstens in den einen oder anderen Vortrag zu schaffen. Einige habe ich mir angesehen. Einige habe ich nach wenigen Minuten verlassen, weil ich sie so belanglos fand. Andere hätten von mir aus noch stundenlang so weitergehen können. Das ist sicherlich zugleich die größte Stärke und die größte Schwäche dieser Konferenz: Dass jeder, der ein interessantes Thema hat, dieses zur Auswahl einreichen kann. Dass aber ein gutes Exposé noch keinen guten Vortragenden macht. Im Grunde, da war ich mir mit vielen anderen einig, müsste man die Speaker regelrecht casten – aber wie will man das leisten bei rund 350 Rednern?
Ein genialer Schachzug war der Wechsel von der alten Location (Friedrichstadtpalast) in die Station Berlin am Gleisdreieck. Endlich genügend Platz, weniger Gedränge, nur einige Vorträge überfüllt und vor allem: ein riesiger Bereich in der Mitte (mit mehreren Sitzlandschaften, die schnell die Bezeichnung “Affenfelsen” weghatten und ausreichend Monobloc-Stühlen), in dem man sich niederlassen und beobachten konnte, und wo früher oder später jede(r) mal vorbeikam. Im Grunde ist die re:publica unbeschreiblich, und selbst wer viel auf Tagungen unterwegs ist, kann sie sich nur richtig vorstellen, wenn er sie erlebt hat.
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Die letzten Konstanten, die uns bleiben
Zum Glück gab es wenigstens einige Konstanten, mit denen sich die re:publica über die Jahre treu geblieben ist. Eine davon: das praktisch nicht funktionierende WLAN – je nach Naturell des Betreffenden ein Quell der lautstarken Empörung oder der stillen Belustigung. Ich gehöre eher zur letzteren Fraktion. Aber ich muss, ich darf dort auch nicht die ganze Zeit twittern, auch wenn ich mich manches Mal doch arg zurückhalten musste.
Doch viele meiner nicht-ganz-so-geekigen Empfänger würden mir was husten und mich massenhaft entfolgen, wenn ich ständig kryptische Botschaften mit mindestens sieben @-Zeichen und einer Saalnummer posten würde. Ich gehöre halt nicht zum harten Kern der Szene. Meine Rolle ist eher die einer Mittlerin zwischen dem High End des Social Web und der “klassischen” Welt.
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Was heißt das denn nun für die Unternehmenskommunikation?
Was bringe ich von der re:publica für die Unternehmenskommunikation mit, für meine tägliche Arbeit und für die meiner Kunden? Hier einige meiner Ideen dazu:
Die re:publica macht Spaß – und Lust auf mehr. Mir jedenfalls. Ich nehme so viele Eindrücke, Idee, neue Blickwinkel und Erinnerungen an Begegnungen mit, dass ich sicher noch einige Wochen brauchen werde, um das alles zu verarbeiten. Die Verbindung zu meinem Netzwerk und die Verbindungen zu einzelnen Menschen haben sich intensiviert, verstärkt, sind enger geworden. Daraus wird sich ganz sicher Weiteres entwickeln.
Das Social Web ist längst Mainstream in den Unternehmen; oder sollte es zumindest sein. Wer den Paradigmenwechsel in der Kommunikation nicht mitmacht und sich für neue Formen öffnet, wird früher oder später untergehen.
Es gibt noch eine Menge zu tun. Bis das, was auf der re:publica längst als selbstverständlich vorausgesetzt wird, überall angekommen ist, wird noch eine Weile vergehen. Vieles, was ich dort mit Kollegen diskutiert habe, muss ich meinen Lesern und Kunden sehr vorsichtig nach und nach nahebringen.
Zwei Dinge sind besonders spannend: die Technik und die Crowd. Jedenfalls für mich. Was soziale Medien bewirken können, ganz gleich, ob auf politischer Ebene oder im direkten Umfeld, das finde ich immer wieder faszinierend. Das sind (auch) Themen für die Unternehmenskommunikation. Zumindest erlebe ich es so, dass der Austausch sich immer stärker vernetzt; dass Grenzen sich verwischen. Das liegt auch an Technologien, Plattformen und technischen Möglichkeiten. Informationsflüsse werden immer schneller, verschachtelter, umfangreicher. Das bedeutet auch:
Kommunikationsleute werden immer mehr zu Lotsen in einer komplexen Medienwelt. Shitstorms sind ja das große Thema dieses Jahres, und plötzlich fürchtet jede kleine Klitsche, dass sie ein solcher ereilen könnte, bevor sie überhaupt nennenswert Reichweite aufgebaut hat. Es ist auch die Aufgabe solcher Konferenzen, die Dinge zurechtzurücken, zu ordnen. Und denjenigen, die danach wieder in ihre Unternehmen, Büros, Beratungsfirmen gehen, Strukturen mitzugeben, um das Wissen weiterzureichen.
Wirkliche Neuerungen sind derzeit Mangelware. Urheberrecht und Persönlichkeitsrechte sind die großen Themen. Ebenso: Wie kann man Technologien vorantreiben, wenn Firmen immer noch ängstlich auf ihrem Herrschaftswissen hocken? Aber:
Es fehlen ein bisschen die Visionen… jedenfalls auf der re:publica: viele, viele interessante Details, technische Neuerungen, interessante Erkenntnisse. Aber ansonsten beschäftigen sich die meisten vor allem damit, wie es gelingen kann, die (nicht mehr ganz so) neuen Entwicklungen und Formen zu verstetigen, überall hin zu tragen und auch noch dem Letzten zu erklären, wo es wirklich langgeht. Dabei müsste wenigstens eine technische und philosophische Elite sich meiner Ansicht nach wieder stärker zu ganz neuen Ufern aufmachen. Ja, ich weiß: Wer nörgelt, muss auch sagen, was man anders machen soll. Aber wie das nun genau aussehen könnte? Das weiß ich leider auch nicht. Ich bin eben auch nur eine einfache PR-Tussi. Aber ich denke nochmal drüber nach. Wenn mir etwas eingefallen ist, sage ich Bescheid. Spätestens auf der re:publica 2013.
Crosspost von PR-Doktor