von Frank Lübberding, 28.1.14
Dafür reicht schon ein Blick nach Ägypten, die Ukraine oder Thailand. Obwohl dort (mehr oder minder) freie Wahlen stattgefunden haben, sind diese Staaten in schwere innenpolitische Krisen geraten. Der Grund ist schnell zu finden: Es fehlt ein Verfassungskonsens, der Demokratie als ein Verfahren zur friedlichen Lösung von Konflikten begreift.
Als etwa zu Beginn der 1990er-Jahre in Jugoslawien die ersten demokratischen Wahlen stattfanden, sprachen Spötter daher auch nicht von Wahlen, sondern von Volkszählungen verfeindeter Volksgruppen. Es war der Auftakt für den folgenden Bürgerkrieg. Der ist in Deutschland nicht zu erwarten, wenn auch der Ausbruch offener Feindseligkeiten im Streit um den Unterhaltungskünstler Markus Lanz nicht mehr auszuschließen ist.
Bekanntlich fordern 226.000 Petenten die Absetzung von Lanz im ZDF. Das ruft die Kritiker, die kritischen Kritiker und die Scherzkekse auf den Plan. Die spannende Frage lautet also: Was haben uns 226.000 Petenten eigentlich zu sagen? Die Verteidiger der Petition sehen darin wie Stefan Niggemeier einen Beitrag zur Demokratisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Von der gleichen Begeisterung war allerdings bei der Debatte um die Petition zum Umgang mit dem Thema Homosexualität in den Schulen Baden-Württembergs nichts zu spüren. Offensichtlich ist die Leidenschaft für Demokratisierung davon abhängig, ob sie den eigenen Zielen nützt oder nicht.
Was in der Debatte zumeist vergessen wird: Gerade die Medien funktionieren spätestens seit Einführung der Privatsender im Sinne solcher demokratisch verstandener Willensbildungsprozesse, allerdings über die Fernbedienung und das Messen der entsprechenden Einschaltquote. Ohne Quote verschwindet man sehr schnell vom Sendeplatz.
Vorkämpferin dieser Bewegung war übrigens BILD: Sie agitierte vor der Einführung des Privatfernsehens in den 1980er-Jahren gegen die Ignoranz der Programmdirektoren gegenüber den Wünschen der Zuschauer. Das hat auch durchaus Folgen gehabt: Ekel-TV wie das Dschungelcamp hat die besten Quoten, mit Sonderseiten in der BILD und wohlwollenden Rezensionen in allen anderen Medien. Eine Kritik solcher Formate ist mittlerweile so gut wie ausgeschlossen. Im Vergleich dazu ist Wetten dass tatsächlich langweilig zu nennen. Hirschsperma wird dort nicht verkostet.
Offensichtlich ist im heutigen Mediensystem die Forderung nach dieser Form der “Demokratisierung” überflüssig geworden. Sie gibt es schon längst. Niggemeier weiß das natürlich. So ist die Onlinedebatte über Lanz geradezu ein Reflex auf dieses System der Aufmerksamkeitsökonomie als Demokratiesimulation. Niggemeier beschreibt als kritischer Kritiker den Mechanismus zutreffend:
“Aber auch Kreye bemerkt nicht, dass es nicht die Petition ist, die sich »als direkte Demokratie geriert«. Es sind die Medien, die sie als Volksabstimmung behandeln und die Unterstützerzahlen als Sensation und ihr damit überhaupt erst die unangemessene Bedeutung geben, über die sie sich dann hinterher beklagen.
Ist wirklich die Petition Grund dafür, dass die Debatte so ermüdend und hysterisch wirkt? Oder sind es die Reaktions-Reflexe der Medien darauf, die nicht aufhören können, auf die steigende Zahl der Unterzeichner zu starren und auf die Zahl der eigenen Seitenabrufe und aufgrund von beidem glauben, immer neue Artikel zu dem Thema veröffentlichen zu müssen?”
Allerdings beantwortet* er nicht die Frage, welche Konsequenzen die Demokratisierung via Online-Petition eigentlich haben soll. Soll Lanz vom ZDF entlassen werden? Was machen wir eigentlich, wenn in der nächsten Petition die Verkostung von Hirschsperma bei Wetten dass gefordert wird? Weil sich etwa Niggemeier ansonsten langweilt?
Man könnte Wetten dass bestimmt wesentlich interessanter gestalten, wenn man außerdem noch per Online-Abstimmung die Strafen für verlorene Wetten festlegte. Das erinnerte dann allerdings an das Demokratieverständnis im Circus Maximus, als der römische Kaiser auch erst ein Meinungsbild erstellte, bevor er den Daumen senkte.
Demokratie ist nicht mit Arithmetik zu verwechseln. Das Unbehagen an der Online-Petition gegen Markus Lanz hat daher nichts mit der darin artikulierten Kritik an Lanz zu tun. Das ist schlicht lächerlich. Lanz (und das ZDF) haben die Kritik an seiner Talkshow ignoriert, solange sie sich durch die Einschaltquoten legitimiert sahen. Er kam erst mit der Übernahme von Wetten dass unter Druck, weil gerade dort die Quoten nicht mehr stimmten. Und sich das Publikum ohne Hirschsperma offensichtlich langweilt.
Immerhin hat das ZDF in seinem Unterhaltungsformat noch Hemmungen vor der gnadenlosen Popularisierung. Insofern ist es ein Ausdruck für den Aberwitz der Debatte, wenn Niggemeier das Meinungsmonopol des klassischen Journalismus in Gefahr sieht.
“In der Art, wie die professionellen Medien über die Kritik an Lanz im Netz berichten, werden wieder die Ressentiments der richtigen Journalisten gegen die unqualifizierten Normalbürger sichtbar, die im Netz plötzlich einfach die Absetzung von Moderatoren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen fordern dürfen und dafür sogar Aufmerksamkeit bekommen. Beides war früher Journalisten vorbehalten.”
Natürlich kann jeder die Absetzung von Lanz fordern, weil jeder grundsätzlich alles fordern kann. Es hat schon immer mehr Forderungen gegeben, als am Ende umgesetzt worden sind.
Was ist daran neu? Nichts. Nur erleben wir gerade die Auferstehung Carl Schmitts, wenn auch nur im Westentaschenformat, als Medienkritiker. Schmitt reduzierte die Demokratie auf Arithmetik und hielt die Debatte für nutzloses Palaver. Am Ende käme es auf die Entscheidung an: Das nennt sich Dezisionismus. Aber geht es in der Kritik an Lanz wirklich um die Frage, ob Lanz jetzt symbolisch einen Kopf kürzer gemacht wird oder nicht? Oder nicht eher um die inhaltliche Debatte, was wir unter einer Talkshow verstehen und wie wir uns Unterhaltungsformate vorzustellen haben?
Die Relevanz von Argumenten lässt sich aber gerade nicht über eine Abstimmung ermitteln. Das zeichnet unsere demokratischen Verfassungsstaaten aus. Sie ermöglichen der Minderheit die Artikulation ihrer Argumente, um ihr die Chance auf eine spätere Mehrheit zu geben. Ansonsten wäre die Debatte über die Folgen der Digitalisierung wohl auch sinnlos. Die Forderung nach der Absetzung von Lanz hat die Debatte aber beendet. Nur ist das niemandem aufgefallen: Jetzt geht es nur noch um die Macht. Das ist lupenreiner Dezisionismus: Entweder Lanz bleibt – oder er geht.
Ob die Online-Petenten jetzt das ZDF in Mainz stürmen, wie die Opposition in der Ukraine das Justizministerium? Das ist nicht zu erwarten. Nur ist ihre Verwirrung offensichtlich. Die Unterstützer der Online-Petition erheben eine politische Forderung, die das ZDF spürbar unter Druck setzt, meinen aber scheinbar, nur einen Debattenbeitrag geliefert zu haben. Das ZDF kann jetzt nur noch Ja oder Nein zu dieser Forderung sagen.
Beides erzeugt einen Legitimationsdruck, der aber zwei Fragen nicht beantwortet: Wie wir uns in Zukunft unsere politischen Diskurse, etwa in Talkshows, vorstellen, oder Unterhaltungssendungen, wo sich der Ekel noch in Grenzen hält, wie bei “Wetten dass”.
Bisher war es die Aufgabe des Journalismus, solche Debatten zu ermöglichen, und nicht Entscheidungen zu erzwingen. Und das ist auch der Grund, warum diese Online-Petition Unbehagen erzeugt. Sie ist nichts anderes, als Politik im Sinne Schmitts.
Insofern passt sie sehr gut in eine Medienentwicklung, die schon längst die Relevanz via Quote zum entscheidenden Kriterium für die Programmplanung erhoben hat. Nur sollte man halt nicht die Demokratiesimulation der Aufmerksamkeitsökonomie mit Demokratisierung verwechseln. Ansonsten kommt nämlich das ZDF wirklich noch auf die Idee, sich in Zukunft am Dschungelcamp zu orientieren.
Crosspost von Wiesaussieht