#LeaveNoOneBehind

Warten ist keine Option

Die Pandemie hat uns einmal mehr gezeigt, wie eng die Welt vernetzt ist. Und wie groß der Unterschied sein kann, wenn wir als Individuen verantwortungsvoll handeln und uns miteinander solidarisch zeigen.

von , 26.3.21

Der Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe, kommentiert die Jahrestage zweier Krisen, die zu »Vergessenen Krisen« wurden: Syrien und Jemen. 

Es gibt keine richtigen Worte, um traurigen Jahrestagen den richtigen Klang zu verleihen. Menschen wollen sich an imposante Jubiläen, historische Zäsuren, Held*innen erinnern. Langanhaltende Kriegszustände mit wechselnden Allianzen und hoffnungslosen Perspektiven hingegen geraten immer wieder in Vergessenheit. Sie spiegeln eine Seite der Menschheit, die nur schwer zu ertragen ist, die viele lieber überhören, statt zu handeln: In diesem Monat jähren sich gleich zwei schreckliche Zeugnisse menschlicher Tragödien. Syrien und Jemen: zwei »vergessene Krisen« bei denen kaum noch ein Superlativ greift, um die Situation der Menschen vor Ort angemessen zu beschreiben. 

Der Krieg im Jemen geht jetzt in das siebte Jahr. Die Menschen stehen vor einer dramatischen Hungersnot. Dabei sind ganz besonders die innerhalb des Landes vertriebenen, die Binnenvertriebenen, betroffen, vier Millionen Menschen sind durch die Gewalt innerhalb des Landes vertrieben worden. Die meisten von ihnen sind in Teilen des Landes untergebracht, in denen akute Nahrungsmittelknappheit herrscht. Aufgrund der wachsenden Unsicherheit und der anhaltenden Kämpfe, gestaltet es sich schwierig, die Notleidenden mit Hilfsgütern zu versorgen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) ist als eine der wenigen Organisationen vor Ort, um das Überleben der Menschen zu sichern. Neben der Verteilung von Hilfsgütern und der Bereitstellung von Unterkünften, werden Familien auch mit sogenannter Cash-Assistance unterstützt. So können sich die Familien Brennmaterial zum Kochen und Heizen oder dringend benötigte Medikamente selbst kaufen und gewinnen so ein Stück Autonomie zurück. Zudem fördert der UNHCR den Zugang zu medizinischer Versorgung, auch um die Ausbreitung von Krankheiten wie der Cholera und natürlich Covid-19 einzudämmen.

Die Krise in Syrien ist bereits im elften Jahr angekommen. Über die Hälfte der Bevölkerung Syriens musste ihr Zuhause seit Beginn des Konfliktes im Jahr 2011 verlassen. Anfang 2021 zählte der UNHCR weltweit fast 6,6 Millionen Flüchtlinge und Asylsuchende aus Syrien. Die Türkei hat die höchste Zahl syrischer Flüchtlinge weltweit aufgenommen (mehr als 3,6 Millionen) während Libanon (ca. 860.000) und Jordanien (mehr als 660.000) zu den Ländern mit der höchsten Flüchtlingszahl pro Einwohner*in gehören. Gleichzeitig sind elf Millionen Menschen in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ihre Lage hat sich im Laufe der letzten Monate aufgrund der Pandemie und enormer wirtschaftlicher Probleme nochmal dramatisch verschlechtert. 

Je mehr Zeit vergeht und je länger der Krieg dauert, umso geringer die Chancen der jungen Generationen syrischer und jemenitischer Kinder und Jugendlicher, die Zukunft ihres Landes zum Besseren zu wenden. Zu lange schon besuchen sie keine Schule, erlernen keine Berufe, besuchen keine Universitäten. Eine vergessene Generation droht zu einer verlorenen Generation zu werden. 

Das Budget der Hilfsorganisationen reicht zudem vorne und hinten nicht aus. Immer wieder ist der UNHCR gezwungen, Einsätze und Maßnahmen auf das absolute Mindestmaß zu reduzieren. Bei der jüngsten Geberkonferenz der Vereinten Nationen für den Jemen kam nicht mal die Hälfte des benötigten Geldes für die Nothilfe zusammen. Die erzielte Summe ist sogar geringer als im vergangenen Jahr – und das trotz der sich dramatisch zuspitzenden Hungersnot im Land.

Abwarten, resignieren oder gar vergessen sind Privileg derjenigen, die ein Leben in Würde und Sicherheit führen – ohne Furcht vor willkürlicher Gewalt, Hunger und lähmender Perspektivlosigkeit, eben weit entfernt von Kriegsgebieten wie im Jemen und Syrien. Auch wenn die politischen Hintergründe der Konflikte unlösbar scheinen oder Friedensinitiativen kurz Hoffnung schüren, muss gehandelt werden. Abwarten ist keine Option mehr. 

Die Pandemie hat uns einmal mehr gezeigt, wie eng die Welt vernetzt ist. Wie groß der Unterschied sein kann, wenn wir als Individuen verantwortungsvoll handeln und uns miteinander solidarisch zeigen. Warten ist keine Option mehr.

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