#Bündnis 90/Die Grünen

Von Politik befreite Interviews mit Politikern. Im Politikteil. Wie seltsam

von , 20.8.13

Die Süddeutsche Zeitung hat am Wochenende ein sensationelles Interview veröffentlicht. Es ist sensationell, obwohl sie es mit einem Politiker geführt hat. Es ist hier aber nicht der Politiker die Sensation, der einmal ungeschminkt und freimütig sagt, was sonst der öffentlich diskutierten politischen Räson widerspricht. Die Sensation an dem Gespräch mit dem Grünen-Fraktionschef in Hessen, Tarek Al-Wazir, ist: Die Süddeutsche schafft es, ein Interview mit einem Politiker zu führen, das weitestgehend befreit von Politik ist, genauer: vom Inhalt der Politik.

Es geht im Prinzip in wiederkehrenden Variationen um Macht, deren Abwesenheit (Opposition), Beliebtheit, sowie, ob und wie lange man diese Opposition ertragen könne. 20 Fragen lang!

Eigentlich wäre dagegen nichts einzuwenden, wenn es denn irgendwie erkennbar das Thema dieses Interviews hätte sein sollen. Ist es aber nicht. Was die Süddeutsche in diesem Politiker-Interview tut, ist so, als würde ein Angel-Artikel einem Angler versprechen, ihn übers Angeln zu informieren, die Geschichte sich dann aber nur um den Steg drehen, auf den der Angler gehen soll, um seine Rute auszuwerfen. Es wäre grotesk.

Im Politikteil der Süddeutschen auf Seite 8 ist so was offenbar machbar, über fast eine halbe Seite. Zugegeben: Es geht in diesem Gespräch (es ist nicht online) um einen durchaus auch wichtigen Aspekt der Politik: Macht. Also die Chance, Ziele überhaupt erreichen zu können. Es schien sich aber doch gerade mit Blick auf den lähmenden Merkelismus langsam gerade durchzusetzen, dass purer Machterhalt eigentlich in der Politik auch nicht weiterführt. Außer den Mächtigen. Um es ein wenig nachvollziehbarer zu machen, eine Zusammenfassung des Al-Wazir-Gesprächs:

Frage 1-4: Wie konnte der rot-grün Umfrage-Vorsprung so schmelzen? Al-Wazir erklärt noch mal die schwierige Lage nach dem Versuch von SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti 2008, eine von der Linken tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung zu bilden. Bitteschön, warum nicht, ist sozusagen die historische Ausgangslage.

 

Ein bunter Strauß, aus dem man sich bedienen könnte. Versemmelt.

Frage 5-11: Wie lange, wie doof ist eigentlich diese Oppositionszeit von Tarek Al-Wazir schon, wie lange erträgt man sie, ist das nicht alles sehr schwierig? Die Antwort lautet wohl irgendwie „muss ja“, und Al-Wazir unternimmt den wackeren Versuch, ein bisschen was von seinen Themen unterzubringen. Nicht ungeschickt macht er das auf die Frage, wie lange man Opposition ertrage. Von Schulpolitik, Energiewende, Kinderbetreuung redet er. Ein bunter Strauß, aus dem man sich ein Blümchen herausfischen und sich ein wenig genauer ansehen könnte.

Die Anschlussfrage versemmelt die Chance solide: „Es ist vermutlich nicht leicht, nach der letzten Wahl weiterzumachen?“ Aber Al-Wazir ist ein Terrier, der sich nun schon tief in die Wade namens Inhalt verbissen hat. Durchhalten, sagt er sich wohl, das wird noch was. Er redet davon, dass sich die Grünen in der Opposition nach der vorherigen Niederlage anders verhalten hätten, eigene Konzepte entwickelt hätten.

Eigene Konzepte? Wär’ doch mal ’ne Nachfrage … Ach, nee, dringender sind, Frage 12: „Ist dies Ihr letzter Anlauf?“ und der Interviewer-Einschub „Man kann ja mal was anderes machen.“ Die erwartbare Antwort auf Letzteres soll hier nicht verraten werden.

Ich bitte alle, die gelegentlich von Journalisten interviewt werden, dies doch einmal als Gegenfrage loszulassen. Am besten am Ende des Interviews: Sie könnten ja auch mal was anderes machen, als Interviews zu führen? Ich hätte auch gerne ein Foto des danach beim Journalisten erscheinenden Gesichtsausdrucks. NATÜRLICH macht Al-Wazir weiter, er ist 42, Politik ist sein Beruf, er mag das offensichtlich, er ist im Endspurt eines Wahlkampfs, er will logischerweise gewinnen.

 

Themen – oder doch lieber Knüppel?

Nachdem das geklärt wäre, kommen wir in diesem Interview nun … nein, nicht dazu, mit welchen Themen er gewinnen will. Die Fragen 14 bis 20 klären noch mal, dass es in Hessen ganz besonders brutal in der Politik zugeht, daraus lässt sich auch schön die Überschrift des Gesprächs generieren, „Die nehmen gleich den Knüppel“, gemeint ist die CDU. Aber hey, wie ginge es anders, wollen wir das nicht wissen? Wollen wir nicht, jedenfalls nicht in der SZ, jedenfalls nicht so genau.

Keine Frage, man kann das alles so machen. Aber ist es einer Zeitung würdig, die sich noch ein eigenes Politik-Ressort leistet? Wollte und sollte sich nicht der „Qualitätsjournalismus“ gerade von dem verschrobenen Quatsch unterscheiden, der einem bei den großen Onlineportalen manchmal unter der Rubrik Politik angeboten wird? (Mein Liebling aus der jüngeren Vergangenheit: „Solidarität mit krebskrankem Kind: George Bush senior rasiert sich Glatze“, das lief unter „Politik, Ausland“ bei Spiegel Online.)

 

Ist Nichtwählen chic?

Es gibt gerade eine Debatte in diesem Land, ob Politikverdrossenheit nicht irgendwie logisch sei, bei einer Bundeskanzlerin, die geradezu einen Widerwillen dagegen hat, ihre Politik zu erklären. Auch erscheint es offenbar als sehr chic, von den Vorzügen des Nichtwählens zu faseln.

Die Medien halten sich gerne heraus, wenn es um die Frage geht, welche Verantwortung sie an solchen Phänomenen tragen. Journalisten, so mein Eindruck, mögen diese Frage nicht. Sie sollten sie sich aber dringend stellen, wenn sie schon so weit sind, Politiker nicht mehr nach Politik zu fragen und ihr – und das von ihnen publizierte – Bild der Politik gänzlich auf einen inhaltsleeren Machtkampf reduziert ist.

 

PS Sollte das Interview von Al-Wazir oder seinem Pressestab so leer gebügelt worden sein: Mea culpa, SZ! Aber ich glaub’s eher nicht. Ein in den Fragen ähnlich inhaltsbefreites Interview führte sie im schleswig-holsteinischen Wahlkampf mit dem damaligen SPD-Spitzenkandidaten Torsten Albig. Und die Süddeutsche scheint ohnehin ein irgendwie duftes Verhältnis zu Al-Wazir und zu dem, was er tut, zu pflegen, so dass einem „Fragen über Fragen“ kommen, zum Beispiel „was er als König von Deutschland machen würde – und wie sein Erfolgsrezept lautet“. Ich habe das jetzt nicht noch mal nachgelesen, frage mich aber auch, ob man als Politiker tatsächlich gezwungen ist, bei solchen Interview-Anfragen ja zu sagen?

 
PPS Der Grünen-Pressestelle im Landtag und dem SZ-Interviewer habe ich per Mail ein paar Fragen zum Interview gestellt, aber noch keine Antwort erhalten.

19.8., doch: Der SZ-Redakteur freut sich über die Beschäftigung mit dem Interview und überlässt dessen Interpretation mir.

 
Crosspost vom debattiersalon
 

 

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