von Robin Meyer-Lucht, 8.10.10
Der Kontrast könnte größer kaum sein: Vorgestern erklärte Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, im Deutschlandfunk:
“Wir möchten jedem, der ein Buch illegal herunterlädt, fast in gleicher Zeit eine Warnung zumailen, in der er auf legale Angebote hingewiesen wird.”
Einen Tag später erklärte Tom Allen, Präsident der Association of American Publishers, auf der StoryDrive-Konferenz der Buchmesse:
“Wir haben keinerlei Interesse (“zero interest”) Endnutzer zu verfolgen, die Dinge illegal herunterladen.”
Nutzer verfolgen – oder lieber doch nicht? Mit der Digitalisierung der Buchindustrie verschärft sich der ‘Urheberrechtskrieg’ (Der Titel “The war on piracy” wurde von der Buchmesse selbst gewählt) zweifelsohne. Die neuen Tablets erhöhen nicht nur die Attraktivität digital übertragener Inhalte im Allgemeinen, sondern insbesondere auch die Attraktivität illegal erworbener Inhalte. Die ‘Piraten’ haben nun einen direkten und kostengünstigen Zugang zum Endnutzer – von Servern, die irgendwo auf der Welt stehen.
Wer beim schwungvollen Austausch illegaler Dateien heute noch vor allem an Peer-to-Peer-Filesharing (P2P) denkt, verkennt hingegen die Entwicklung: Nach Prognosen des Netzwerkherstellers Cisco wachsen derzeit vor allem die Filehoster – und zwar mit fast 50 Prozent pro Jahr. Im Jahr 2014 würden Filehoster vorraussichtlich rund 4 Exabytes pro Monat (4 Billiarden Megabytes) ausliefern. Der P2P-Anteil am Internetverkehr werde hingegen von 39 Prozent im Jahr 2009 auf 14 Prozent im Jahr 2014 sinken, so Cisco.
Filehoster haben sich für den Nutzer als “praktischere Alternative” erwiesen, wie die Macher von Link-Busters, einer Anti-Piracy-Firma unumwunden zugeben. Dateien von Filehostern könnten anonym, schnell und ohne zusätzliche Software heruntergeladen werden. Die Links ließen sich zudem leicht in Suchmaschinen finden, wie man in ihrer Broschüre nachlesen kann. Die “Link-Buster” machen ihr Geschäft damit, dass sie Filehoster auffordern, illegale Dateien von ihren Servern zu löschen. Ein Katz-und-Maus-Spiel um Urheberrechte, das der Digital Millennium Copyright Act geschaffen hat – und das bekanntlich auch schief gehen kann.
“Wen ein Nutzer eine Datei von einem Filehoster herunterlädt, dann ist das eine 1:1-Verbindung, fast wie ein Telefongespräch. Die lässt sich mit realistischem Aufwand überhaupt nicht überwachen – es sei denn, man zapft die Leitung an”, sagt einer der beiden Link-Busters-Macher, der seinen Namen hier lieber nicht lesen will. Es sei daher auch wenig realistisch anzunehmen, man könnte Nutzer nach einem Filehoster-Download unmittelbar kontaktieren.
Dies würde eine Vollüberwachung des Internets voraussetzen – die nicht nur völlig überzogen sei (“Von einem Club-Besitzer können Sie auch nicht verlangen, dass er von jedem Besucher Blut abnimmt, um den Drogenkonsum in seiner Gäste zu kontrollieren”), sondern auch viel zu teuer, so der Link-Buster-Manager nicht frei von Geschäftssinn.
Die oben skizzierte Nutzerwarnidee ist somit bei Filehoster-Nutzern praktisch fast unmöglich. Viele Kommentatoren schließen daraus, dass das Urheberrecht zu einer Art Illusion der Inhalteindustrie verkommen sei. Der Autor Cory Doctorow schrieb dazu kürzlich im Guardian:
“People won’t stop learning to type “Toy Story 3 bittorrent” into Google. Anyone who claims otherwise is selling something – generally some kind of unworkable magic anti-copying beans that they swear, this time, will really work.”
Unworkable magic? Verlagsvertreter Tom Allen sieht das naturgemäß anders. Der ehemalige demokratische Kongressabgeordnete hat neue Hebel identifiziert, bei denen die “Toy Story 3 bittorrent” tippenden Teenager gar nicht mehr vorkommen. Allen will an drei anderen Punkten ansetzen: Kreditkartenunternehmen, Anzeigenkunden und Internetzugangsprovider.
Allen treibt in den USA eine Regelung voran, wonach Websites, die “systematisch Urheberrechte verletzen” von der Regierung und/oder Gerichten auf eine Liste von “rogue sites” gesetzt werden können – wobei die metaphorische Nähe von ‘rogue site’ zu ‘rogue state’ kein Zufall sein dürfte.
Anzeigenkunden und Kreditkartenunternehmen soll es nach Allens Plänen nicht mehr erlaubt sein, mit “rogue sites” zusammenzuarbeiten. Internetserviceprovider sollen den Zugang zu “rogue sites”-Domains erschweren – ähnlich den Plänen, wie es sie auch auf EU-Ebene gibt (wobei unklar ist, ob die Link-Kommunkation dann in Zukunft nicht einfach mit der IP-Adresse arbeiten würde).
Die Endnutzer blendet Allens Strategie aus. Ihm geht es vor allem darum, die Geschäftsmodelle der ‘Piraten’ zu behindern, in dem ihre Zahlungsflüsse und der Domain-Zugang erschwert werden.
Allens Strategie ist erkennbar ausgereifter als die Forderungen von Skipis. Zugleich sind die Ansatzpunkte für die Durchsetzung von Urheberrechten im Filehoster-Umfeld vielfältiger als es Doctorow und andere wahrhaben möchten. Ob Allens Ansätze deshalb weniger vergeblich sind, ist allerdings noch nicht geklärt.
Die Wirkung von Tom Allens Forderungen ist damit vor allem eine politische: Sie halten den Streit um mögliche Sanktionen gegen Urheberrechtsverletzungen offen. Wo die Forderung nach Instant-Nutzerwarnungen noch technisch naiv wirkte, hat Allen nachgerüstet und realitätsnähere Hebel identifiziert.
Ganz so schnell, wie der tobende Doctorow vielleicht gehofft hatte, gibt die Urheberrechtsseite also nicht auf. Natürlich nicht – wenn eine Seite aufgeben würde, wäre der ‘war on piracy’ ja zu Ende.
Crosspost aus dem Buchmesse-Blog.
Hinweis: Am Samstag wird sich auch die Tagung Netz:Regeln in Berlin mit diesem Thema befassen.