#Anerkennungskultur

Unsere Schuld

von , 15.11.16

Jetzt natürlich auch Horst Seehofer. Man konnte es kommen sehen, dass er noch in der Woche nach Donald Trumps Wahlsieg auf dessen Elitenbashing draufspringen würde. So wie die CSU sich immer alles zu eigen macht, was am rechten Rand zündet. Nun ist’s die These vom Versagen arroganter Eliten. Dabei ist doch, was immer mit dem Begriff Elite gemeint sein mag, in Bayern die CSU so etwas wie die Staatselite an sich. Womit wieder einmal zweierlei belegt ist. Erstens: Der CSU ist nichts zu peinlich. Zweitens: Was anderswo funktioniert hat, wird bei uns schleunigst kopiert. Das ist, man muss es betonen, kein Zeichen der Stärke, sondern eines der Schwäche.

Denn nur anders herum wird eine ernsthafte, dringende Frage daraus. Nach der Trump-Wahl ist es viel zu billig, imaginären Eliten die Schuld am Erfolg des Populismus zu geben, zu denen man selbst sich wohlweislich nicht zählt. Aber es ist auch zu einfach, nun abstrakt und in den leeren Raum hinein zu fragen: Wie konnte das passieren? Tatsächlich ist doch längst klar, dass inzwischen in allen westlich-liberalen Gesellschaften gefährliche Abkoppelungsprozesse im Gang sind, die erst dazu führen, dass die einfachen, postfaktischen Antworten so viel Zulauf haben. In Gesellschaften, die glaubten und glauben, dass sie alte elitäre Klassenschranken nach und nach überwunden haben. Nicht zuletzt durch Aufstieg via Bildung.

Die richtige Frage wäre: Wie kann uns das passieren? Uns, von Seehofer bis Gysi, von Merkel über Gabriel bis Trittin. Uns aber auch, den Aufgestiegenen in Lehrämtern, im Journalismus, in der Wirtschaft. Uns, den Friedens- und Umweltbewegten, den Gendersensiblen, den Regelsicheren und Wertebewussten. Uns, die wir diese Gesellschaft doch längst maßgeblich tragen und bei ihrer Meinungsbildung immer so viele Worte mitreden.

Uns als Eliten zu bezeichnen, bleibt das falsche Wort. So viel Erstarrung und Bedeutung ist noch lange nicht. Und zwischen den gesellschaftlich so gut verborgenen wirklich Reichen einerseits und den Rollenträgern in der demokratischen Gesellschaft andererseits klaffen oft auch nochmal kulturelle Schluchten. Aber Obere in der Meinungsbildungshierarchie sind wir durchaus. Wir, die Kinder Aufstiegsgesellschaft von gestern. Wie kann es uns passieren, dass sich mittlerweile die Emotionen von Zurückgebliebenen ausgerechnet gegen uns mobilisieren lassen?

 

Merkt eigentlich jemand, wie viel gesellschaftliche Spaltung da geradezu selbstverständlich in den sonst so politisch korrekten Hinterköpfen mitschwingt? Alltag als tagtäglicher sozialer Interessenswahrungskonflikt: Es zählt dies zum Unausgesprochenen in den demokratisch-liberalen Gesellschaften. Zum Unaussprechbaren geradezu.

 

Vielleicht fängt das Problem schon da an, dass es eine Illusion war, sich Aufstieg ohne Abstieg vorzustellen. Wo jemand etwas erreicht, erreichen andere das Gleiche nicht. Das muss überhaupt nicht bedeuten, dass sie um das Gleiche konkurriert hätten. Zurückbleiben kann man auch, wenn nur die anderen sich vorwärts bewegen.

Es gibt viele solcher Milieus, die mit all den vielen Modernisierungsschüben bis hin zur Digitalisierung wahrlich ohne eigenes Zutun (in diesem doppelten Sinn) zurückgeblieben sind. Das alte Kleinbürgertum mit seinem Handwerksmeister- oder Einzelhändlerstolz, das weitgehend vom Markt verschwunden ist. Teile der Industriearbeiterschaft, jedenfalls soweit nicht massiv in Umstrukturierungen und neue Industrien öffentlich investiert wurde. In diesem Zusammenhang: große Teile der ehemals in der DDR gesellschaftsprägenden Schichten, was bis heute massivst politisch nachwirkt. Die Bauern als kleine Haupterwerbs-Selbständige und zugleich Korsettstangen in der ländlich-dörflichen Gesellschaft. Mit all ihnen ist ein Stück Wir weggebrochen.

Diejenige Hälfte der jüngeren Generationen, die nun schon seit Jahrzehnten Abitur macht, in die Städte geht und studiert, hat solche Abhängprozesse nur indirekt gespürt. Sie mag ihnen nur entkommen sein, aber sie erlebt das eher als Selbstbefreiung und kann mit den Zurückgelassenen nicht mehr viel anfangen. Ist es nicht auch und gerade das, was uns allen jetzt auf die Füße fällt? Als Sprachlosigkeit nicht nur, sondern als kulturelle Drahtlosigkeit in der digitalen Welt? Auch Emanzipation kann sehr viel leichter als die Emanzipation von etwas daher kommen denn als Emanzipation zu etwas. Auch wenn es falsch bleibt, das als Vorwurf zu diskutieren.

 

Der politische Postmaterialismus ist ein Irrweg, so emanzipiert er auch daher kommen mag. Eine gerechtere Gesellschaft braucht auch neue Verteilungsantworten, dringend.

 

Die so entstandene Bildungsoberschicht, die wahrlich nicht identisch ist mit der Vermögensoberschicht, ist ihrerseits nun wieder von Abstiegsangst geplagt. Das ist ihr eigener neuer Materialismus im Postmateriellen. Zumindest mal hinsichtlich der Perspektiven der eigenen Kinder, die man sich aus den genannten kulturtrennenden Emanzipationsgründen selbstredend wieder nur als Studierte vorstellen kann. Aber merkt eigentlich jemand, wie viel gesellschaftliche Spaltung da geradezu selbstverständlich in den sonst so politisch korrekten Hinterköpfen mitschwingt? Alltag als tagtäglicher sozialer Interessenswahrungskonflikt: Es zählt dies zum Unausgesprochenen in den demokratisch-liberalen Gesellschaften. Zum Unaussprechbaren geradezu.

Ja, das alles hat auch und zunehmend wieder eine materielle Dimension. Die Lage vieler Abgehängter ist materiell aussichtslos, jedenfalls gemessen am neuen Bürgertum. Es braucht keine Eliteschulen, um via Bildung Unnahbarkeiten zu produzieren. Die Zuwanderung schafft neue Konkurrenzen vor allem am unteren Ende der Einkommensskala. Damit müssen alle umgehen, die in der Gesellschaft etwas zu sagen haben, hoffentlich tägig und nicht ignorant. Der politische Postmaterialismus ist ein Irrweg, so emanzipiert er auch daher kommen mag. Eine gerechtere Gesellschaft braucht auch neue Verteilungsantworten, dringend.

Was sich einwenden lässt gegen uns: Hier spiegelt sich nicht zuletzt die hässliche Seite des aufgeklärten, individualistischen Lebensstils. Engagement ja, aber eher im Licht des eigenen Betroffenheitsprinzips. Das ist ein Kern bei der Emanzipation von. Auch so verstärkt sich in vielen vielen Alltagsreaktionen die Abkehr der Milieus voneinander. Und es ist nicht alleine die Frage, ob sich die komplexen Dinge überhaupt noch erklären lassen, die am Ende trennt. (Jedenfalls lassen sie sich nicht in den freilich publikumsgerechten modernen Kurzformaten des heutigen Journalismus erklären.) Es gibt daneben längst die Frage, ob es noch positive emotionale Zugänge zueinander gibt. Verbindendes im Alltag. Anforderungen aneinander, denn auch die gehören zum Zusammenleben.

Das ist einer der Gründe, warum speziell dem Journalismus, aber auch in anderen Segmenten der Bildungsoberschicht immer wieder kollektiv wichtige Stimmungstrends verborgen bleiben, bis sie sich dann zur allgemeinen Überraschung in Wahlergebnissen manifestieren. Themen, meistens materielle, die in der früher so genannten Normalo-Welt wirklich interessieren. Einer der Gründe auch, warum jede auch noch so professionelle Ansprache schlicht wirkungslos bleibt, weil sie nur noch Gleichgesinnte erreicht.

Man achte nur auf die Homogenität im eigenen Bekanntenkreis. Und wir leben teilweise längst schon im postfamiliären Zeitalter, was in diesem Zusammenhang bedeutet: Auch die Zumutung, sich hin und wieder aus Anlass von Geburten, Hochzeiten oder Trauerfeiern mit den so ganz anderen Gefühlswelten in der eigenen Sippschaft in ihrer ganzen kulturellen (oder auch kulturlosen) Breite auseinandersetzen zu müssen, ist seltener geworden. Ebenso wie deren Zumutung, sich ernsthaft Gesprächen jenseits der üblich gewordenen populistischen Sprüche zu stellen.

 

Es bleibt bisher die Frage völlig unbeantwortet, wie unter aktivem Bemühen aller in der demokratischen Gesellschaft wieder mehr gemeinsame Gefühlswelten entstehen können, als Voraussetzung überhaupt für eine gemeinsame Sprache.

 

Blasmusik und Kirchenchor, Feuerwehr und Rettungsdienst, Vereinssitzungen und Karnevalsrhetorik, Straßenumzug und Stammtischgeschwätz, Fußball und Identifikation, lokal wie national: Ist es nicht so, dass viele der kleinen, männlich geprägten Normalowelten aus Sicht der Aufgestiegenen nur gestrig sind, objektiv gestrig? Exterritorial geradezu. Aber ganz im Gegenteil hegemonial dort, wo sie existieren. Und mittlerweile in Teilen anschlussfähig an offensiven Rechtspopulismus, weil der sich gerne anbietet. Also: mobilisierbar von und für rechts.

Solche Zweifel sollten wahrlich nicht in neuer Zwanghaftigkeit münden. Es gab für eine kurze Zeit nach der 68er Kulturrevolte mal bei besonders abgedrehten Linksdogmatikern die an den Maoismus angelehnte Devise, dass man nur am Fließband und derart Seit’ an Seit’ mit der Arbeiterklasse lernen könne, was die Welt wirklich braucht. So nicht. Aber es bleibt bisher die Frage völlig unbeantwortet, wie unter aktivem Bemühen aller in der demokratischen Gesellschaft wieder mehr gemeinsame Gefühlswelten entstehen können, als Voraussetzung überhaupt für eine gemeinsame Sprache. Es ist eine Frage, die in beide Richtungen zu stellen ist. Und bei der diejenigen unschätzbar wertvoll werden, die selbst Brücken bauen können und dazu noch bereit sind, ohne damit Haltungen aufzugeben.

Die Reichweitenverluste der großen politischen Parteien jedenfalls sind nicht Ursache dafür, sondern Ausdruck davon. Ebenso die enge kulturelle Eingewobenheit des Journalismus in der Welt der Aufgestiegenen, die jetzt so gerne als Überheblichkeit diffamiert wird, auch wenn es sich eher um eine chronische Wahrnehmungsbeschränkung handelt. Genauso die eklatante Wirkungslosigkeit aufgeklärter Pädagogik an den Schulen immer dann, wenn sie mit Kindern aus den ihr fremden Milieus zu tun hat. Wenn das nicht Thema wird, wenn sich daran nichts ändert, wird das Zerrbild von den abgekapselten, selbstbezogenen Eliten den Populismus weiter befeuern wie ein Raketentreibsatz.

Was jedenfalls in die falsche Richtung weist, sind selbstverliebte Versuche, dem alten System immer nur mehr individuelle Beteiligungsrechte für Einzelne abzutrotzen, solange nicht die Anerkennungskultur für gemeinsames und nicht selten indirektes Engagement wieder mit Leben gefüllt wird. Verachtung fürs Kleine und Provinzielle, auch für Parteien und Vereine, für verrechtlichte Strukturen und Repräsentationsrollen aller Art, ist das Gegenteil von Brückenbauen. Weil sie weiter aushöhlt und schließlich abschafft, was wir so dringend brauchen: Verantwortung fürs Ganze. Es sollte das sein, was Trumps katastrophaler Wahlsieg in uns mobilisiert.

 

 


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