von Robin Meyer-Lucht, 27.2.09
Früher schon hat Tim Renner einmal geschrieben: “Mit der Digitalisierung verhält es sich wie mit dem Wasser: sie sucht sich ihren Weg. Auch wenn man versucht, die Nutzung zu verhindern oder zu erschweren. Egal, ob mit preislichen oder rechtlichen Instrumenten, man wird den Fortschritt in der Kommunikation und Distribution durch Digitalisierung nicht stoppen können.”
Am vergangenen Mittwoch war Renner, das “Perpetuum Mobile der deutschen Musikwelt” (Intro), zum “medienpolitischen Colloquium” ins Institut für Medienpolitik (IfM) gekommen, um seine Thesen zur Digitalisierung und Medienindustrie zu aktualisieren. Am Ende der eineinhalbstündigen Diskussion stand dann tatsächlich so etwas, was man als Rennersches Gesetz bezeichnen könnte (analog zum nun allerdings nicht mehr brauchbaren Rieplschen Gestetz): Es besagt kurz gesagt: Kein Zweig der Medienindustrie wird den Wechsel vom analogen zum digitalen Medienträger vollziehen, ohne dabei nicht auch sein Geschäftsmodell zu wechseln (siehe These 1).
Insgesamt lässt sich Renners souveräner (yip!) und thesenstarker Auftritt in folgenden acht Punkten zusammenfassen:
1. Der Wechsel vom analogen zum digitalen Medienträger bringt immer auch einen Wechsel des Geschäftsmodells mit sich.
2. Kein Zweig der Medienindustrie sollte den Fehler machen, die Vorteile der analogen Medienträger zu überschätzen. Dies hat die Musikindustrie getan. Und dem gleichen Irrtum erliegen derzeit noch Zeitungs- und Buchindustrie.
3. Die Akteure der alten Medienindustrie werden immer versuchen, ihr bislang profitables Geschäftsmodell weitgehend 1:1 auf das neue Medium zu übertragen. Dies wird aber nicht funktionieren. Sie werden von neuen Akteuren bedrängt, die gerne auf neue, dem neuen Umfeld noch angemessenere Geschäftsmodelle setzen, weil sie selbst noch keines haben.
4. Die Manager der Medienindustrien erfassen den Medienwandel vor allem auch deshalb nicht emotional, weil sie nicht in der Technikwelt der Nutzer ihrer Inhalte leben. Genau um solch ein emotionales Verständnis geht es aber.
5. Die Musikindustrie nutzt das Internet bis heute aus Selbstblockade der Majors nicht konsequent.
6. Das Urheberrecht wird erst dann vermittel- und durchsetzbar sein, wenn es legale Alternativen gibt, die den gleichen Angebotsumfang wie die illegalen Angebote haben. Derzeit sind die legalen Angebote aber schlechter als die illegalen, weil sie die Inhalte später und nicht im gesamten Katalog anbieten.
7. Die Journalismusindustrie begeht derzeit die gleichen Fehler wie die Musikindustrie im Netz: Sie erkennt nicht, dass sie ihr Geschäftsmodell radikal verändern muss. Sie nutzt das Netz nicht konsequent, ist zaghaft statt offensiv.
8. Verwertungsgesellschaften allein versprechen keine gerechte und akzeptable Lösung der Geschäftsmodell-Misere: “In einem Land, das von VG Wort und Gema regiert wird, möchte ich nicht leben.”
Fraglos, mit diesen Thesen Renners bleiben viele Fragen unbeantwortet, während andere immerhin aufgeworfen werden. So wollte etwa Romanus Otte, stellvertretender Chefredakteur der Welt, von Tim Renner wissen, ob durch das netzbedingte Ende der “Symbiose aus Journalismus und Werbung” von nun an nicht dauerhaft weniger Geld für Journalismus zur Verfügung stehe. Die Antwort, die Renner nicht so recht geben wollte, die wir aber gerne nachreichen, lautet: höchstwahrscheinlich ja.
Tags zuvor gab Renner uns ein Interview, in dem er betonte, wie sehr ihn die Hilflosigkeit der Journalismusindustrie an das Verhalten der Musikindustrie im Netz erinnere. Hier das siebenminütige Video:
Tim Renner: “Die Printwirtschaft steckt in der gleichen Hilflosigkeit wie die Musikindustrie” from Carta.