von Felix Neumann, 19.5.13
Einige grüne Rechtspolitiker_innen (sowieso der Häresie an zwei der Gestalten verdächtig) haben die dritte angegriffen: Unter @tatortwatch wird der Sonntagstatort live per Twitter einem Grundrechtecheck unterzogen. (Die Livevariante des verdienstvollen Zeit-Artikels von Sabine Rückert selben Ziels.) Und natürlich sind die Reaktionen nicht nur positiv.
Ich finde @tatortwatch großartig: Die mediale Normalisierung von bürgerrechtlicher Wurstigkeit bis hin zu Polizeigewalt wird sichtbar, Rechte gegenüber der Polizei deutlich gemacht.
Die Süddeutsche hat exemplarisch Gegenwind auf Twitter dokumentiert. Die Kritik an @tatortwatch ist breit: Nannystate-Ideologie, Bevormundung und »Birkenstock als neue Pickelhaube« (weil auf die positive Darstellung übergriffiger Exekutive hingewiesen wird?), Tugendfuror (weil wichtigste Tugend der Jakobiner war, Gewalt unter dem Vorwand des Guten anzuprangern?), “die sollen sich um Wichtigeres kümmern” (Robbenbabys! Unstrafverteidigte Jugendliche!), die Verwechslung von Fiktion und Realität (als würde Fiktionalität allen medien- und kunstethischen Reflexionen den Boden entziehen), und natürlich wird schließlich Kunst- und Meinungsfreiheit angemahnt (als würden die aller Kritik entheben).
Die Kritik kommt nicht nur vom offensichtlichen Gegner, auch Leute, die eigentlich zum eigenen Milieu gehören, reagieren dünnhäutig. Mit dem Tatort wird etwas kritisiert, das wärmend-heimatliches Herdfeuer für viele ist, und die, wenn nicht Kriminalisierung, so doch Inkriminierung auch noch bei Twitter, unter dem eigenen gemeinschaftsstiftenden Hashtag, wendet sich gegen die Gemeinde.
Kein Wunder, daß die Reaktionen so massiv sind. Auch deshalb finde ich das Projekt großartig. Ansonsten staats- und obrigkeitskritische Linke und Liberale sehen den Tatort Woche für Woche ganz unkritisch, und bei einigen wundert es mich Woche für Woche, wie sie so ganz absehen können von der dargestellten Überheblichkeit der Polizei, den Rechtsbrüchen, dem nonchalanten Umgang mit dem ohnehin großzügig zur Seite der Polizei hin irrenden Polizeirecht – alles im Dienst einer effizienten Polizeiarbeit, der Ergebnisorientierung viel wichtiger ist als Rechtsstaatlichkeit und Beschuldigtenrechte.
Das thematisiert @tatortwatch, indem es die schöne Sonntagsunterhaltung eben nicht nur als Unterhaltung liest.
Natürlich, es ist eine Krimiserie, keine Dokumentation und kein Lehrfilm. Und dennoch prägt auch diese Fiktion, was gesellschaftlich als normal angesehen wird. Auch der Tatort (gerade in einem dem »Bildungsauftrag« verpflichteten öffentlich-rechtlichen Fernsehen) ist ein Lernort. (Im Zuge der viel deutlicher fiktionalen Serie 24 wurde diskutiert, inwiefern die gezeigte Folter durch den Protagonisten zu einer Verrohung von Soldat_innen beigetragen hat.)
Der Tatort als Qualitätsfernsehen, als Flaggschiff der ARD-Unterhaltung, ist der Goldstandard bei der vorgeblich realitätsnahen Darstellung von Polizeiarbeit im Fernsehen – und Unterhaltung ist nie neutral, erst recht nicht wertneutral. Unterhaltung prägt Wahrnehmungen und Einstellungen. Nicht nur das Private, auch das Öffentlich-Rechtliche ist politisch.
@tatortwatch sorgt für ein Gegengewicht: Beschuldigtenrechte, die Polizei als ein Element staatlicher Gewalt, die daher nicht nur und von vornherein gut ist und der demokratischen und rechtsstaatlichen Kontrolle und Zügelung bedarf – das kommt selten vor im Fernsehen, und wenn, dann das erste als Ärgernis und Ermitttlungshindernis, das zweite als der Einzelfall des einen gefallenen bösen Polizisten.
@tatortwatch nervt gerade deshalb: weil es dieses schöne deutsche Idealbild des Freunds und Helfers sowie des gemütlichen, harmlosen Fernsehabends mit rechtsstaatlicher Kritik in Frage stellt – das ist bürgerschaftliche Bildung und das genaue Gegenteil von Nanny-Ideologie und Bevormundung.
Ich freue mich auf den nächsten Tatort mit @tatortwatch.
Crosspost von fxneumann