von Klaus-Peter Schöppner, 16.11.09
Die Situation ist dramatisch: Gerade noch 19 Prozent der Deutschen glauben an eine schnelle Erholung der SPD. Nur noch jeder zweite ihrer Wähler von 2005 hat sie vier Jahre später wiedergewählt. Ein Negativrekord: Nur 21 Prozent würden aktuell die ehrwürdige deutsche Sozialdemokratie wählen. Was die SPD doppelt schmerzen muss – üblich ist eher, dass Mitleid, Mitgefühl und Kopf-hoch-Botschaften ein fürchterliches Wahldesaster kurze Zeit später nach oben korrigieren. Stattdessen bekräftigen die Wähler in der Sonntagsfrage die Denkzettelwahl: Die SPD ist trotz ihres Bundesparteitags in einem bemitleidenswerten Zustand.
Dabei sind sorgenvolle Zeiten eigentlich Zeiten der Sozialdemokratie: Gerade im Zeichen von Abschwung, Angst vor Arbeitslosigkeit, Überschuldung und Zukunftsunsicherheit setzen die Wähler auf soziale Gerechtigkeit und Sicherheit, auf das Soziale der sozialen Marktwirtschaft. Doch in dieser Krise verschwenden die Deutschen kein Herzblut für die SPD.
Warum ist das so? Und wo liegen die Chancen einer baldigen Wiederauferstehung?
Grund der desolaten Verfassung: Die SPD ist nicht mehr SPD, nicht mehr die Partei, die soziale Gerechtigkeit in den Schnittpunkt zwischen Wirtschaft und Beschäftigung stellt. Die SPD hat durch den Zangenangriff von links und rechts ihre Mitte verloren. Bei ihren Themen Gerechtigkeit, Chancengleichheit, gute Gesundheit und sichere Rente haben andere, oft die Linke, die Meinungsführerschaft übernommen oder die Union sich als handlungsfähiger erwiesen. Seit Ypsilanti mutet keine andere Partei ihren Wählern soviel Ungewissheit zu. 55 Prozent ihrer Wähler wollen sie weiter links sehen, 39 Prozent in der gemäßigten Mitte – kaum jemand da, wo sie sich jetzt windet. Dennoch sind nur 34 Prozent für Rot-Rot auf Bundesebene. Die SPD gilt als wenig vertrauenswürdig, ihre Worte haben kaum Bestand, zudem als zerstritten durch Richtungskämpfe, zermürbt durch viele hohe Niederlagen. Sie steht für Vergangenheit, nicht für Zukunft.
Dann noch ihr Personal: Gabriel, Steinmeier und Nahles gegen Merkel, zu Guttenberg, von der Leyen und Westerwelle. In der Liste der Politiker, denen eine wichtige Zukunftsrolle zugetraut wird, liegt die Konkurrenz von der Union weit vorn, die SPD-Garde weit hinten. Im Sinkflug ist nun auch Fraktionschef Steinmeier, seitdem sein Angriff auf Merkel und seine Linksanbiederung als wenig authentisch angesehen werden. Dennoch wird er mit klaren Abstand als Führungspolitiker gesehen. Unter den SPD-Anhängern wollen 67 Prozent Steinmeier als Nummer Eins, nur 23 Prozent Gabriel, gerade noch 10 Prozent Andrea Nahles.
Keine Richtung, kein Thema, keine Machtoption, keine Politiker: So sieht der bemitleidenswerte Zustand der SPD für die Wähler derzeit aus.
Und dennoch sollte Schwarz-Gelb nicht zu laut triumphieren. Sie SPD nämlich hat große Chancen auf baldige Wiedergenesung: Es gibt weiterhin einen breiten Konsens über die Wichtigkeit politischer Aufgaben. Nach wie vor dominieren sozialdemokratische Themen die politische Agenda der Deutschen: Bildung, Abbau der Arbeitslosigkeit, gerechte Altersver-sorgung, richtige Verteilung der Steuerlast, Familienpolitik und Umweltschutz. Schwarz-gelbe Mehrheiten sind also keinesfalls selbstverständlich. Zumal die SPD im Wählerfazit über Schwarz-Rot kaum schlechter als die Union bewertet wurde. Viele Wähler suchen den Anwalt und Unterstützer der kleinen, redlichen Leute. Die gemäßigt linke Kraft, die ihre Ziele auch durchsetzen kann. Und gerade dem wird die aktuelle SPD nicht gerecht. Gerade Gestaltungskompetenz jedoch könnte ihr Abgrenzungsmerkmal gegenüber der Linkskonkurrenz sein.
Die gute alte Sozialdemokratie à la Brandt und Schmidt, die auch für Wähler der Mitte attraktiv war, ist also keinesfalls überholt. Nur braucht sie klassische SPD-Themen und keine falschen Machtstrategien; Sozialdemokraten und keine Parteisoldaten. Sie braucht die Renaissance sozialdemokratischer Kompetenz, sie braucht Steinbrück und den Außenminister Steinmeier, nicht jedoch Parteistrategen vom Schlage Gabriels und Nahles’.
Wie ist das Ist-, wie das Wunschbild der SPD? Gesehen wird sie derzeit als an allen Ecken verbeultes Gefährt, das – ähnlich einem ICE – in beide Richtungen fahren kann. Viel lieber wäre den Wählern dagegen ein guter, zuverlässiger, solide laufender Polo. Einen, auf den – und dessen Geradeausfahrfähigkeiten – man sich verlassen kann