#Demoskopie

Vergesst die Sonntagsfrage: Demoskopie ist komplexer

von , 16.1.09

Drei Jahre ist das Leben für politische Meinungsforscher eher beschaulich: Hin und wieder stattfindende Landtags- oder Kommunalwahlen verursachen nur kurzzeitige Aufregung, sofort regiert wieder „Berlin“. Dann aber folgt das „vierte“, das der Bundestagswahl. Da endlich geht es für Demoskopen richtig „rund“. Erst recht, wenn die wichtigste Wahl auf Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen trifft. Demoskopen rücken nun tagtäglich ins Blickfeld: Kein Tag ohne neue Daten, Interviews, Kommentare, Kritik, Konsequenzen. Der Spannungsbogen der Umfrageergebnisse steigt exponentiell an. Jeder Bürgerin, jeder Bürger wird zum waghalsigen Interpreten selbst unbedeutender Polls. Ein Volk mutiert zu Hobbydemos-kopen. Alles scheint so einfach: Stelle eine Frage und ich erkläre dir die Welt: Die Sonntagsfrage wird zum Symbol eines ganzen Berufsstandes.

Dabei ist die „Welche-Partei-würden-Sie-wählen“ – Frage für Experten und Demoskopen die unwichtigste: Keine Frage birgt weniger Aussagekraft, schon gar nicht besitzt sie die Prognosefähigkeit, die ihr Politiker und Medienvertreter immer wieder unterstellen. Politische Demoskopie ist für vieles gut und wichtig, nur für eines nicht: Sie stellt keine Prognosen für zukünftige Wahlergebnisse dar:

— weil die Gültigkeit ihrer Resultate nur für den Befragungszeitraum gilt, also ausschließlich in der Vergangenheit liegt.

— weil die Teilnahme an Umfragen freiwillig ist.

— weil schnell veränderbare Einstellungen und nicht tatsächliche Verhalten gemessen werden.

— weil die Wahlberechtigten und nicht die tatsächlichen Wähler befragt werden.

Jede Wahl verdeutlicht aufs Neue, dass „wirkliche“ Wähler und die an Umfragen teilnehmenden Wahlberechtigten in ihrer Struktur immer weiter auseinanderklaffen. Nicht jeder Interviewte ist zugleich auch ein Wähler. Nur wenn beiden Gruppen in Demografie und Ideologie identisch sind, und wenn die Umfrage zeitgleich mit der Wahl stattfindet, hat die Sonntagsfrage den Status einer Prognose. Gerade das ist aber nie der Fall.

So lange politische Meinungsforschung für sich in Anspruch nimmt, ein Sprachrohr aller Bürger zu sein, den Politiker also Hilfestellung durch den Meinungsdschungel der von ihnen vertretenden Bürger zu geben, so lange müssen alle Bürger – und nicht nur jene mit Wahlabsicht – befragt werden, selbst wenn das auf Kosten der Ungenauigkeit bei der Sonntagsfrage geht. Wenn dann noch soziodemografische Verzerrungen ausgeglichen werden, Umfragedaten also richtigerweise an die Bevölkerungsrepräsentativität angepasst werden, verschlimmbessert das sogar noch die Prognose(un)fähigkeit der Sonntagsfrage, weil die Interviewten eben nicht mit den tatsächlichen Urnengängern identisch sind.

Für Prognosen gibt es die „Exit-Polls“, also Nach-Wahlbefragungen, bei denen die Wähler nach dem Urnengang über ihr gerade getätigtes Kreuzchen befragt werden. Vorwahl-Umfragen sind dagegen Stimmungsdiagnosen, mit Gültigkeit nur für den zumeist deutlich vor der Wahl liegenden Befragungszeitraum.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Dieses ist beileibe kein Plädoyer gegen Politumfragen. Ganz im Gegenteil: Nur sie liefern wichtige Trends für das sich in letzter Zeit stark veränderte Wahlverhalten, Hilfestellung für Politik und Wahlkampfmanager, stecken für Politiker den Rahmen ab, innerhalb deren sich Politentscheidungen durchsetzen lassen. Sie sind keinesfalls Demagogie sondern angewandte Demokratie.

Wohl aber ist dieses ein Plädoyer dafür, die „Qualität“ der  Sonntagsfrage richtig einzuordnen: In ihr soll Demoskopen das Unmögliche gelingen: Nämlich die Zukunft zu überlisten und zu wissen, aus welchen Bürgern veritable Wähler werden. So lange 30 Prozent der Bürgerinnen und Bürger selbst am Wahltag noch nicht wissen, ob und was sie wählen werden, ein hoffnungsloses Unterfangen.

Im Klartext: Sonntagsfrage geht nicht! Werft sie ganz einfach auf den Müll und beschäftigt euch umso intensiver mit den wirklich wichtigen Erkenntnissen guter Politikumfragen.

Das wollen wir ab jetzt gemeinsam tun: Bis zum Höhepunkt des klassischen Dramas „Wahljahr 2009“ im September werde ich in regelmässigen Abständen das Meinungsbild der Deutschen hier auf Carta umfassend analysieren.

Klaus-Peter Schöppner ist Geschäftsführer der TNS Emnid Medien- und Sozialforschung GmbH.

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