#Adam Greenfield

Smart City-Hype: Die Verdummung der Städte?

von , 11.2.15

Auch Stadtentwicklung und -planung sind anfällig für Modeerscheinungen. Und auch in der Stadtentwicklung und -planung empfiehlt es sich, ihnen mit einer gesunden Portion Skepsis zu begegnen – besonders dann, wenn sie vorgeben, die alleinige Lösung für komplexe Probleme entdeckt zu haben. Bei dem derzeit in aller Munde befindlichen Smart City-Ansatz handelt es sich um eine derartige Modeerscheinung.

Nachdem zuletzt Kreativität und insbesondere die Ansiedlung und das Gedeihen der von Richard Florida identifizierten „Creative Class“ die Debatte um die Zukunft und Attraktivität der Städte beherrschten, ist es nun die Technik, die zum Heilsbringer verklärt wird. Durch den Einsatz innovativer Technologien sollen Städte effizienter, nachhaltiger und lebenswerter werden. Intelligente Verkehrsleitsysteme sollen dazu beitragen, Staus zu vermeiden und Emissionen zu reduzieren, intelligente Stromnetze und Gebäudekonzepte dabei helfen, aus Häusern Energieproduzenten zu machen und der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien städtisches Regieren leistungsfähiger,transparenter und partizipativer gestalten. Die Aufzählung verheißungsvoller Versprechen ließe sich noch fortsetzen. Alles Hehre Ziele, gegen die im Prinzip nichts einzuwenden ist und die in der Praxis auch immer öfter städtische Politik prägen. Es gibt kaum eine Stadt, die sich nicht als „smart“ bezeichnet oder zumindest anstrebt, smart zu werden.

 

Heute Europa, morgen die ganze Welt

Berlin erhebt gar den Anspruch, „zur Smart City Europas zu werden“, wie Bürgermeister Michael Müller im April letzten Jahres, damals noch in seiner Funktion als Stadtentwicklungssenator, kundtat. Dazu sollen unter anderem ein „Netzwerkprojekt für urbane Zukunftstechnologien“, an dem unter anderem Universitäten und Unternehmen wie Siemens und Bosch beteiligt sind, und ein Masterplan beitragen, der eigentlich schon im Herbst hätte vorliegen sollen, aber bislang nicht öffentlich vorgestellt wurde. Auf der Smart City-Homepage der Stadt ist zu lesen, Berlin sei bereits „smart“, „ein Labor für effiziente Infrastruktur, informationelle Vernetzung, umweltverträgliche Mobilität, Kreativität und die Verbindung von hoher Produktivität mit hoher Lebensqualität“, wolle aber zukünftig „noch besser werden“. Näheres dazu dürfte im Mai zu erfahren sein. Dann findet in Berlin die internationale Kongressmesse „Metropolitan Solutions“ statt, im Rahmen derer Smart Cities eine hervorgehobene Rolle spielen und die bisherige Arbeit des Berliner Netzwerkprojekts öffentlichkeitswirksam präsentiert werden soll. Als „größte Informationsplattform zum Thema Smart Cities soll sie den Veranstaltern zufolge dazu beitragen, Berlin zur „Welthauptstadt für Smart-City-Themen“ zu machen. Welthauptstadt Berlin? Das klingt nicht nur, nun ja, etwas geschichtsvergessen, sondern erscheint auch reichlich sportlich. Berlin mag über eine Vielzahl innovativer Firmen und eine exzellente Forschungslandschaft verfügen. Politisch hinkt man jedoch in vielen Belangen hinterher. Flächendeckendes Gratis-WLAN, in vielen Städten längst üblich, sucht man in Berlin ebenso vergeblich wie wirklich zukunftsweisende Ansätze für intelligenteVerkehrslösungen, und als Vorreiter in den Bereichen E-Partizipation, E-Government und Open Data hat sich die Stadt bislang auch nicht hervorgetan. Dennoch ist davon auszugehen, dass Berlin die Ausrichtung der „Metropolitan Solutions“ dazu nutzen wird, sein Image als Smart City zu schärfen und nach außen zu präsentieren. Es fragt sich nur, wie? Die Smart City ruft nicht nur Begeisterung und Zustimmung hervor. Es gibt auch Gegenwind und es wäre so ziemlich das Gegenteil von „smart“, über diesen Gegenwind leichtfertig hinwegzusehen.

 

Hierzu ein paar Anregungen:

  • Es besteht bislang keine einheitliche Definition dessen, was unter dem Konzept Smart City verstanden wird, was nicht weiter schlimm wäre, wenn mit dem Begriff nicht auch eine Menge Schindluder getrieben würde. Dazu zählt die Tendenz, mittels Technologie lösen zu wollen, was bisher gar keiner Lösung bedurfte oder aber auch der häufig vermittelte Eindruck, die tatsächlichen Herausforderungen unserer Zeit wie der Klimawandel oder die zunehmende Ressourcenverknappung ließen sich alleine mit „smarten“, also technisch induzierten, Veränderungen bewältigen. Diesen Eindruck wecken nicht zuletzt jene, die an ihm verdienen – große Technologiekonzerne wie IBM, Cisco und Siemens zum Beispiel. Sie erwarten ein lukratives Geschäft, Experten rechnen mit Marktmöglichkeiten in Milliardenhöhe, und weil nicht etwa Stadtplaner, sondern in erster Linie die Industrie entscheidend zur Einführung und Popularisierung des „Smart City“-Begriffs beigetragen haben, handelt es sich bei ihm, vielen Kommentatoren zufolge, weniger um einen ernsthaften Beitrag zur Stadtentwicklung als um ein Marketinginstrument derselben. Einen „Markt, auf dem Technologiekonzerne ihre Produkte und Dienste verkaufen können“, wie es Adam Greenfield, der Verfasser der Streitschrift Against the Smart City, formulierte. Man mag dem zustimmen oder nicht. So man sich denn entscheidet, sich den Ansatz zu eigen zu machen, empfiehlt es sich aber, ihn mit Inhalt zu füllen und nicht bloß mit heißer Luft.

 

Hochglanzbroschüren und Internetauftritte zeigen städtische Räume wie man sie aus Science Fiction-Filmen kennt. Sie mögen effizienter, ordentlicher und vielleicht auch „nachhaltiger“ sein, lassen aber gleichzeitig auch viele jener Dinge vermissen, die Städte lebenswert machen.

 

  • Auch wenn der Smart City-Ansatz in seiner jetzigen Form vage ist: Sein Fokus liegt auf den Möglichkeiten der Technik, einem Fokus, der in den Augen vieler Kritiker mitunter die Züge einer kontraproduktiven Technologiedominanz und -gläubigkeit annimmt. Zum einen stellt sich die Realisierung der Potenziale neuer Technologien nicht von selbst ein. Nicht Technik löst die Probleme gegenwärtiger Stadtentwicklung, sondern Technik kann von gesellschaftlichen Akteuren eingesetzt werden, um Probleme zu lösen. Anders formuliert: Der Prozess der Aneignung entscheidet, ob Technologien ihre Potentiale entfalten. Zum anderen zeigt auch die Geschichte der Stadtplanung, dass Technologien nicht nur Probleme lösen, sondern auch Probleme schaffen – man denke an die Folgen des technologiefixierten Fortschrittsoptimismus der 1950er und 1960er Jahre wie das Erbe der „autogerechten“ Stadt. Dass sich die an der Smart City verdienenden Firmen in ihren PR-Materialien nur am Rande mit den Grenzen und Risiken moderner Technologien beschäftigen – geschenkt. Aber der Nutzen städtischer Smart City-Konzepte wird sich auch daran bemessen lassen, inwieweit diese auch kritische Reflexion ermöglichen, also zum Beispiel Themen wie die Möglichkeiten des Missbrauchs der zum Einsatz kommenden Technologien, den Umgang mit Daten und Datenschutz oder die Gefahr wachsender Abhängigkeiten von mächtigen Technologiekonzernen offen ansprechen.

 

Comeback überwunden geglaubter technokratischer Dominanzallüren

  • Smart City-Konzepte können zu mehr Teilhabe und Mitbestimmung beitragen, aber auch das Gegenteil bewirken. Kritiker wie Greenfield oder Anthony Townsend, der 2013 ein bemerkenswertes Buch zur Smart City-Thematik vorgelegt hat, vertreten die Auffassung, dass die durch Smart City-Projekte forcierte digital-datenunterstützte Steuerung städtischer Infrastrukturen und Prozesse in der Praxis häufig nicht bottom-up, sondern top-down organisiert sei. Sie warnen vor einem Comeback überwunden geglaubter technokratischer Dominanzallüren sowie der engen Verknüpfung von Smart City und Big Business und kritisieren, dass Stadtbewohnerinnen und -bewohner in der Regel nicht als Mitgestalter beziehungsweise Ko-Produzenten der Stadtentwicklung, sondern lediglich als Kunden oder Konsumenten Beachtung finden. Ob Berlin beispielsweise daran gelegen ist, es anders zu machen, wird unter anderem der noch ausstehende Masterplan zeigen. Bislang hat man hier jedoch nicht den Eindruck, dass Bürgerinnen und Bürger sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Entwicklung und Umsetzung von Smart City-Maßnahmen und Projekten viel Aufmerksamkeit zuteil wird.

 

  • Zudem stellt sich die Frage, auf was für einer Vorstellung von „Stadt“ die Idee der Smart City fußt und was für eine Vision städtischer Zukunft sie transportiert. Wie nah Utopie und Dystopie oft beieinander liegen, lässt schon anhand der Visionen zukünftiger, durch den Einsatz von vernetzten Informations- und Kommunikationstechnologien „ertüchtigter“ Städte erkennen, mit denen im Smart City-Business tätige Unternehmen Hochglanzbroschüren und Internetauftritte schmücken. Sie zeigen städtische Räume wie man sie aus Science Fiction-Filmen kennt. Sie mögen effizienter, ordentlicher und vielleicht auch „nachhaltiger“ sein, lassen aber gleichzeitig auch viele jener Dinge vermissen, die Städte lebenswert machen und ihre in der Regel hohe Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft begründen. Die Gleichzeitigkeit von Ordnung und Unordnung, der Raum für Informalität, Spontaneität, Wandel sowie kulturelle, räumliche und soziale Kollision – kurzum, viele jener Attribute, die häufig unter dem Schlagwort „Urbanität“ subsumiert werden, tauchen in ihnen nicht auf, ja erscheinen gar schwer vereinbar mit der Logik des Kalkulierens, Kontrollierens und Steuerns des Smart City-Modells. Führen die gegenwärtigen Bemühungen der Städte um smarte Stadtentwicklung eventuell gar dazu, Städte nicht smarter, sondern stupider zu machen, wie der Architekt Rem Koolhaas oder der renommierte US-Soziologe Richard Sennett mutmaßen? Insbesondere bei am Reißbrett entworfenen Smart Cities wie Masdar in Abu Dhabi und Songdo in Südkorea liegt dieser Eindruck nahe, aber auch Verantwortliche gewachsener Städte sind gut beraten, nicht die Augen vor den möglichen Kollateralschäden eines allzu technikfixierten Urbanismus zu verschließen.

 

Diskutieren ließe sich auch, ob es überhaupt Sinn macht, Städten menschliche Eigenschaften zuzuschreiben. Können Städte selbst überhaupt „smart“ sein? Streng genommen können sie das nicht, darauf hat Albert Speer junior bereits 1992 in seinem Buch „Die intelligente Stadt“ hingewiesen: „Nur die Menschen, die darin wohnen, arbeiten, handeln, die sie regieren oder verwalten, können durch ihr intelligentes Verhalten einer Stadt als sozialem, politischem und räumlichem Gebilde ‘Intelligenz’ verleihen.“

Akademische Haarspalterei, könnte man meinen, ist es aber nur bedingt, denn wenn Moden in den Mittelpunkt politischer Überlegungen rücken, kann dies die Verdrängung anderer Ansätze zur Folge haben, im Fall der Smart City zum Beispiel solcher, die nicht Technologien, sondern Bürger – smart citizens – als Motor für gesellschaftliche Veränderungen begreifen. Ihre Intelligenz unter Beweis stellen können Politik und Verwaltungen, indem sie eine offene Debatte über die wohl dominanteste Planungsvision für die Zukunft unserer Städte führen. Eine Debatte, die sich den genannten Aspekten annimmt, die für den Smart-City-Hype verantwortlichen Akteurs- und Interessenkonstellationen hinterfragt und auch die Perspektiven und Positionen derer berücksichtigt, für die die digitale Verheißung der Smart City bislang eher Alptraum als Wunschtraum ist – das wäre „smart“.

 

Johannes Novy schreibt in loser Folge über die Themen Architektur und Stadtentwicklung. Zuletzt erschienen zur Eröffnung der Mall of Berlin: Tear down this Mall! Eine Reisewarnung und Olympia-Zweikampf Berlin vs. Hamburg: Wenn schon bewerben, dann besser gemeinsam!

 

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