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Schockstarre und Verharmlosung – Von den Reaktionen auf die Wahlerfolge der AfD

von , 14.3.16

Der 13. März 2016 wird in Erinnerung bleiben, in die Geschichtsbücher der Bundesrepublik eingehen und eine noch weitere Veränderung des gesellschaftlichen Klimas bewirken, als viele sich das derzeit vorstellen können. Dieser Tag hat den zunächst schleichenden und zuletzt immer rasanter werdenden Rechtsrutsch im vorpolitischen Raum in einem Ausmaß in die Parlamente hineingetragen, das noch vor anderthalb Jahren unmöglich erschien.

Zur Erinnerung: Bei den Landtagswahlen im August und September 2014 sorgten Prozentzahlen der AfD in Höhe von 12,2 % (Brandenburg), 10,6 % (Thüringen) und 9,7 % (Sachsen) für Erschütterung. Viele Kommentatoren hielten diese Ergebnisse für ein Ost-Phänomen. Wie falsch diese Einschätzung war, ist seit gestern zementiert: Mit satten 15,1 % zog die AfD in Baden-Württemberg in den Landtag ein, im benachbarten Rheinland-Pfalz erzielte sie 12,6 % und toppte also die Ergebnisse der „Ost“-Landtagswahlen von 2014. In Mannheim und Pforzheim gelang es ihr sogar, Direktmandate zu gewinnen.

Im Osten sind die Dämme inzwischen noch stärker gebrochen. 24,2 % der Stimmen kann die von Frauke Petry und Jörg Meuthen angeführte Partei für sich in Sachen-Anhalt verbuchen, darunter 15 von 43 insgesamt Direktmandaten, was einer Quote von 34,88 % entspricht. Damit hat sie die SPD als bisher zweitstärkste Partei überholt. In dreizehn und damit 30,32 % der Wahlkreise übersprang sie sogar die 30 %-Marke: Kandidat Robert Farle erhielt 30,1 % im Saalekreis, Robert Andreas Gehlmann 30,3 % in Sangerhausen und Lydia Funke 30,8 % in Naumburg. Hans-Thomas Tillschneider, der Kopf der „Patriotischen Plattform“, erhielt 30,9 % im Saalekreis, Daniel Roi in Wolfen 31,1 %, ebenso wie Alexander Raue im Wahlkreis Halle I. Jens Diederichs sorgte für 31,5 % in Eisleben, André Poggenburg für 31,6 % in Zeitz, Marcus Spiegelberg versammelte 31,8 % in Weißenfels auf sich, Jens Matthias Büttner gelangen in Staßfurt 32,1 %, Willi Mittelstädt in Merseburg 32,3 %, Gottfried Backhaus 33,1 % in Querfurt und Volker Olenicak in Bitterfeld sogar 33,4 %. Damit ist das lange für absurd gehaltene Beschwören der künftigen „Volkspartei“ AfD von Björn Höcke und anderen zumindest in manchen Wahlkreisen bittere Realität geworden.

Verharmlosung in der bürgerlichen Publizistik – Di Lorenzo und Poschardt

In den Medien sind nun leider die zu erwartenden Kommentare zu vernehmen, bei denen das Verharren in einer Art Schockstarre angesichts der zahlreichen „Protestwähler“ einerseits und die Verharmlosung der Ergebnisse andererseits überwiegen. Zu Letzterem tendieren – auch das keine Überraschung – wieder einmal bürgerliche Medien, egal ob eher linksliberaler oder eher konservativer Provenienz.

So kritisierte Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der ZEIT, der vor einiger Zeit bereits die Pegida-Bewegung verharmlost hatte, die AfD in der Sendung „Maybrit Illner“ zwar insofern, als diese „keine einzige Antwort“ auf die Flüchtlingskrise habe, zeigte aber eine bemerkenswerte Unkenntnis, was die Anhängerschaft der Partei betrifft. Diese bestehe zu „einem Drittel“ aus Rechtsextremisten, die anderen zwei Drittel seien das aber nicht. Dass ein Drittel der Anhänger Rechtsextremisten sein sollen, dürfte stark übertrieben sein und um Rechtsextremismus geht es in der Debatte um die AfD und ihre Anhänger auch nicht. Sondern um rechtspopulistisches und neurechtes, völkisches Denken.

Beide, sich teilweise überlappende, Denkrichtungen sind keineswegs nur in der Führungsriege der AfD weit verbreitet, sondern auch innerhalb ihrer Anhängerschaft, wie man bei einem Blick auf die Facebook-Seiten der Partei und ihrer Kandidaten leicht sehen kann. Diese Lektüre sei auch Ulf Poschardt empfohlen. Warum ausgerechnet er, der die AfD ja sonst sehr kritisch sieht und ob seiner liberalen Haltung auch von der Verfasserin dieses Textes geschätzt wird, di Lorenzo auf Twitter mit den Worten applaudiert, dass dieser die „Exklusions- und Denunziationsfront“ gegenüber der AfD verweigert habe, ist nicht nachvollziehbar. Jedenfalls so lange nicht, bis Poschardt nachweist, wer denn die AfD, also die Partei selbst, aktuell „denunziert“.

Vielleicht sollte gerade Poschardt als Springer-Journalist sich den inzwischen bekannt gewordenen Entwurf des Grundsatzprogramms der Partei einmal näher durchlesen. Vor allem auch diejenige Passage, in der die Beschneidung von Jungen „wegen gravierender Grundrechtsverletzungen und Gesundheitsrisiken als verfassungs- bzw. rechtswidrig“ und Verstoß „gegen die Menschenwürde“ bezeichnet wird, ohne dass die Partei auch nur ein einziges Wort dazu verliert, dass so in Deutschland erstmals seit dem Ende des Holocausts die Religionsfreiheit der Juden (neben derjenigen der Muslime) in einem elementaren und für sie schlichtweg nicht verhandelbarem Punkt eingeschränkt werden soll. Nebenbei bemerkt wäre auch interessant zu wissen, wie diejenigen radikalen Christen und Neurechten, die mit der AfD sympathisieren und gerne, wie Alan Posener treffend beschrieben hat, ihre Israelfreundschaft (über)betonen, eigentlich zu dieser Forderung stehen.

Wählerkritik ist keine Wählerbeschimpfung

Gewiss ist zwischen der Partei und ihren Wählern zu unterscheiden, gewiss gibt es derzeit unter den etablierten Parteien, sieht man einmal von der moderaten Kritik der Flüchtlingspolitik durch die FDP ab, eine Repräsentationslücke für Menschen, die den Kurs der Bundeskanzlerin ablehnen. Die wenigsten davon jedoch dürften komplett ahnungslos sein und nicht wissen, was für eine Richtung und was für Leute sie in die Parlamente wählen, wenn sie ihr Kreuzchen der AfD geben. Dazu ist die Berichterstattung über Höckes völkische Reden, über den verrohten und pluralismusfeindlichen Parteijargon („Altparteien“, „Kartellparteien“, „Pinocchio-Presse“, „Lückenpresse“) und das Schwadronieren von Schießbefehlen an der Grenze viel zu breit dokumentiert. Das heißt freilich nicht, dass jeder Wähler der AfD rechtspopulistisch oder gar rechtsradikal ist. Viele von ihnen lassen sich gewiss auch wieder für die etablierten Parteien gewinnen.

Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wiederum sehr viele von ihnen sich längst von dem so typisch rechten Denken in Feindbildern haben anstecken lassen. Dem gilt es entgegenzutreten, anstatt, wie man nun vielfach liest, „Ängste“ ernst zu nehmen. Sachdebatten muss man führen, keine Frage, gerade auch in der Flüchtlingsfrage. Irrationalen, durch Scharfmacher ausgelösten Phobien wie der vor einer „Islamisierung“ hingegen muss man durch Fakten entgegentreten, namentlich durch Statistiken. In Zeiten, in denen weit abgedriftete bürgerliche Intellektuelle und Publizisten radikale neurechte Topoi sprachlich abschattieren und so in die Mitte der Gesellschaft hineintragen, wie etwa Peter Sloterdijk mit seinem Gerede vom „Lügenäther“ (vulgo: „Lügenpresse“) oder Cicero-Kulturchef Alexander Kissler mit der von ihm zitierten „Umstrukturierung der Bevölkerung Deutschlands“ (vulgo: „Umvolkung“), trägt der moderate Teil der bürgerlichen Publizistik erst recht eine große Verantwortung dafür, der jetzigen besorgniserregenden gesellschaftlichen Entwicklung durch eine klare Analyse dessen, was die AfD ist, entgegenzutreten.

Fatale Gewöhnung an die Verrohung

Die Aufklärung der Wähler über das, was sie mit der AfD wählen, ist keine, wie man neuerdings häufig liest, „Wählerbeschimpfung“, ebenso wenig wie es eine Beschimpfung ist, eine solche Wahlentscheidung verantwortungslos zu nennen. Vor noch drei Jahren wäre es, davon kann man getrost ausgehen, unmöglich gewesen, dass eine Partei, bei der jemand wie Höcke zunehmend den Ton angibt, eine gewisse Salonfähigkeit erringt. Heute sieht es ganz anders aus, was wieder einmal belegt, welche fatale Rolle die Gewöhnung an immer neue Entgleisungen bei der Verrohung einer Gesellschaft spielt.

Starker Einfluss der Neuen Rechten auch im Westen

Verblüffend auch, wie ausgerechnet die sonst sehr luziden und AfD-kritischen Journalisten Justus Bender und Eckart Lohse ernsthaft heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ aus den gestrigen Landtagswahlergebnissen die Möglichkeit einer Selbstmäßigung der Partei herauslesen. Wörtlich: „Die Erfolge in großen Flächenstaaten wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz dürften auch innerhalb der Partei eine Machtverschiebung einleiten zugunsten der westdeutschen Landesverbände. Dort wird der rauhe Politikstil der östlichen Parteifreunde mitunter nur mit Kopfschütteln beobachtet.“

Einen derartigen Antagonismus zwischen gemäßigtem Westen und rauem Osten gibt es nicht. Im Osten ist die Verrohtheit, ist das radikal Neurechte gewiss ausgeprägter, zu finden ist beides aber auch im Westen. Von den insgesamt 14 Vorstandsmitgliedern der AfD Baden-Württemberg gehören sage und schreibe sechs zu den Erstunterzeichnern der vor einem Jahr von Björn Höcke und André Poggenburg eindeutig neurechten „Erfurter Resolution“, in der die AfD als eine „Widerstandsbewegung die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ bezeichnet wird. Ihre Namen lauten: Bernd Grimmer (Sprecher), Rüdiger Klos (Stellvertretender Sprecher), Christina Baum (Stellvertretende Sprecherin), Alfred Bamberger, Markus Frohnmaier und Carola Wolle (alle Beisitzer). Zählt man noch den „AfD-Philosophen“ Marc Jongen hinzu, der von einer neuen „thymotischen Unterversorgung“ der Deutschen daherredet, sich nicht als Gegner Höckes sieht, sondern dessen Demonstrationen als „Mittel gegen die Thymos-Schwäche der Deutschen“ betrachtet, sind gleich sieben Mitglieder und damit exakt 50 % des baden-württembergischen Landesvorstands pro Höcke.

Verbale Entgleisungen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz

Zu welchen verbalen Entgleisungen und Maßlosigkeit es seitens der AfD-Funktionärsseite im Südwesten kam, hat Benders und Lohses Kollege Rüdiger Soldt en detail dargelegt. Ebenso, wie sehr der sich so bürgerlich gebende Jörg Meuthen diese Vorfälle verharmlost und deckt.

In Rheinland-Pfalz sind zwar keine „Flügel“-Leute im Vorstand der AfD vertreten. Wie wenig harmlos es gleichwohl bei der dortigen AfD zugeht, hat die ebenfalls von der FAZ dokumentierte Wahlparty gezeigt. Dort waren von Anhängern Worte wie Schnauze voll“ und „Multikulti-Rotz“ zu vernehmen. Ebenfalls kann man selbigen Ortes nachlesen, dass auch Landeschef Uwe Junge mitunter „auf Wahlkampfveranstaltungen gegen den Islam (hetzt) und zum Beispiel (sagt), Muslime gäben sich nur so lange tolerant, wie sie in der Minderheit seien.“

Kubitschek und Elsässer zu Gast auf der AfD-Wahlparty in Magdeburg

Wer die Entwicklung und das immer radikaler werdende Auftreten Björn Höckes seit seinem Wahlerfolg im Spätsommer 2014 verfolgt hat, konnte dabei zusehen, wie seine Macht in der Partei stetig angewachsen ist. Auch im baden-württembergischen Wahlkampf hat er umjubelte Reden gehalten. Sein Mitstreiter André Poggenburg, der nun die Fraktion in Sachsen-Anhalt mit ihren zum Teil wirklich sehr fragwürdigen Mitgliedern anführen wird, verbirgt seine Haltung ebenfalls nicht, nennt die AfD eine „deutschnationale Partei“ und trat letzten Donnerstag bei einer Wahlkampfabschlussveranstaltung von Jürgen Elsässers „Compact Magazin“ auf. Auf der Wahlparty in Magdeburg war „Compact“ sogar mit einem eigenen Live-TV-Studio vertreten. Inklusive Türstehern. Dort fanden sich sodann nicht nur Höcke und Poggenburg, sondern auch Götz Kubitschek, die Zentralfigur der Neuen Rechten ein. Kubitschek und Elsässer, so wiederum in der FAZ nachzulesen, „warben auf der AfD-Wahlparty offen um Unterstützung und feierten das AfD-Ergebnis auch als ihren Erfolg“. Insbesondere promoteten sie ihr Projekt „einprozent.de“, mit dem sie Gelder sammeln und den „Widerstand“ zur Veränderung des gesellschaftlichen Klimas organisieren wollen.

Kubitschek, daran besteht kein Zweifel, meint es ernst mit seinen Aufrufen zum „Widerstand“, also zum zivilen Ungehorsam im Sinne von Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes. In seinem Online-Magazin „Sezession.de“ werden schon seit dem letzten Herbst Busblockaden und die Kappung von Heiz- und Stromleitungen propagiert, um „Illegale“, wie es im Szenesprech heißt, von der Unterbringung in Aslybewerberheimen abzuhalten. Martin Sellner, der Kopf des österreichischen Teils der „Identitäten Bewegung“ (die in Hessen vom Verfassungsschutz beobachtet wird) war gerade drei Wochen auf Kubitscheks Rittergut Schnellroda zu Gast, nennt sich selbst einen „regime change agent“ und berichtet von der „politische(n) „Kampagne“ des rechten Lagers in Deutschland“, die mit der Landtagswahl 2016 zu Ende ging. Man habe „neue Kommunikationskanäle (…) gegraben und wichtige metapolitische Reaktionsmuster eingeübt, die bald reflexartig funktionieren könnten. Kurz: das patriotische Lager in Deutschland (werde) kampagnenfähig.“

Dazu passen die euphorischen Worte Götz Kubitscheks in der Sendung „3sat Kulturzeit“: „Es ist am Horizont eine neue Möglichkeit aufgegangen, eine politische Morgenröte. Und es ist eine Lust, zornig zu sein. Es gibt Dinge, die muss man tun, selbst wenn sie gefährlich sind.“. Wie sehr die Neue Rechte Morgenluft wittert und ihren Aktionsradius ausweiten will, führt auch Sellner aus: „Wo Montagaufmärsche und -umzüge allmählich zum Straßenbild gewisser Deutscher Städte gehören, muss der Rahmen des Machbaren ausgeweitet werden. Über die rein symbolische Konfrontation hinaus müssen dem Rechtsbruch und dem Großen Austausch echte, physische Grenzen gesetzt werden.“.

Auch Jürgen Elsässer hegt Pläne und will auf die Straße: “Nach dem Urnengang am 13. März wird Merkel angeschlagen, die SPD schon am Boden sein. Dann Heraus zum außerparlamentarischen Protest!!“. Kein Wunder, dass für den 21. März ein Auftritt von ihm bei der Münchner Pegida-Demonstration angekündigt ist.

Kubitschek und Elsässer prägen die AfD längst. Wer diesen Befund für alarmistisch hält, sollte sich Kubitscheks eigene Worte dazu anhören, die er Freitagabend in der ZDF-Sendung „Aspekte“ äußerte (Beitrag ab Minute 7:10). Und spätestens danach aufhören, die AfD zu verharmlosen: „Die AfD hat zum Teil Inhalte, Begriffe, Elemente, die wir vorgedacht haben, umgesetzt, setzt sie immer weiter um auch. Da gibt es eine eindeutige Nähe, auch eine Befruchtung von unserer Seite Richtung AfD.“

 


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