#Fachmagazine

Scheiß auf Unabhängigkeit! Über die große Koalition aus Google, Piraten und Marketing

von , 16.5.12

Als gelernter Journalist und bekannter Suchmaschinenoptimierer bin ich gern gesehener Autor von Fachmagazinen. Auf unserer Agentur-Seite dokumentieren wir seit einigen Monaten unsere Veröffentlichungen in Offline- und Online-Medien. Darunter Technik-Magazine wie t3n und Screenguide – aber auch ulkige Formate wie das PDF-Format unternehmer.de.

 

Deal: Wie sich Fachmagazine und Autoren gerne einigen

Wie geht das vor sich? Ich bekomme hin und wieder eine Anfrage für einen Artikel. Grund dafür kann die Empfehlung eines Kollegen sein oder ein Chefredakteur hat in unserem Blog “seo-book.de” einen Artikel gelesen, der auch in sein Heftchen passt. Meist sage ich gerne zu und dann geht die redaktionelle Arbeit los. Manchmal muss ich nur den Blogbeitrag ein wenig umschreiben – aber häufig geht es um richtige Arbeit wie Recherche, Strukturieren und Schreiben. Wohlgemerkt: Wir reden von den Redaktionen “richtiger” Zeitschriften mit “Copypreis” am Kiosk und Anzeigenpreislisten. Anscheinend unabhängigen Redaktionen mit gutem Namen.

Beim ersten Mal hatte ich als ehemaliger freier Journalist natürlich nach dem Honorar gefragt – was mit Ratlosigkeit beantwortet wurde. “Wir bezahlen unsere Autoren in der Regel nicht”, meinte der Chefredakteur. Ich habe mir dann einen Link rausgehandelt – der ist ja auch was wert. Die eigentliche Währung aber ist: Aufmerksamkeit. Dafür, dass ich als Autor genannt werde, mache ich die redaktionelle Arbeit.

Warum tue ich mir das an? Nun, erstens bin ich eitel und freue mich über solche Anfragen und darüber, meinen Namen auf gedrucktem Papier zu lesen. Und zweitens verspreche ich mir davon einen Werbe-Effekt für unsere CONTENTmanufaktur.

 

Meins: Bloggen als Visitenkarte

Aber auch ohne diese Fremdbeiträge publiziere ich derzeit mehr, als ich es vor über zehn Jahren als freier Journalist jemals hätte tun können. Der Grund ist natürlich die Bloggerei. Nicht auf kubitz.net, meinem privaten Blog mit nur stockendem Input, sondern auf SEO-Book, unserem Alpha-Blog in der SEO-Szene. Dort schreiben wir unabhängig, wir schreiben viel und zwar so, dass es dem Leser offenbar gefällt. Das jedenfalls legen Besucherzahlen, die Kommentare und Social Media-Reaktionen nahe. Auch dort haben wir Gastautoren – die meist einen großartigen, aber unbezahlten Job machen.

Übrigens: Die Werbeeinnahmen belaufen sich auf wenige Euro pro Monat. Die Banner haben wir lediglich testweise im SEO-Book.

 

Wer braucht schon hauptberufliche Journalisten?

Als Inhaber einer SEO-Agentur kann ich mir diese Veröffentlicherei leisten. Erstens weil ich es als gelernter Journalist kann. Und zweitens, weil ich damit gar kein Geld verdienen MUSS. Meine Artikel, der Blog und die Auftritte auf Konferenzen sind einzig Marketing, das wir uns gönnen. Bräuchte ich mehr Zeit für die Artikel oder wäre unser Fachbereich nicht so erklärungsbedürftig wie die Suchmaschinenoptmierung, müssten wir wohl Anzeigen schalten oder auf Messeständen stehen. So kann ich aber den Autoren raushängen.

Ob die Leser Ihre Informationen lieber von einem hauptberuflichen Journalisten, als von dem Chef eine SEO-Agentur hätten, hinterfrage ich selten. Aber ich wundere mich manchmal, wer alles wo und mit welcher Färbung schreiben darf.

Nur selten wird reguliert: Bei einem Artikel über SEO-Tools in einem größeren Magazin beschwerte sich ein Anzeigenkunde, als ich ihm als Autor genannt wurde. Ich denke nicht, dass er meine Kompetenz anzweifelte – aber er monierte zu Recht, dass meine CONTENTmanufaktur einen Partnervertrag mit seiner Konkurrenz hat. Rein vertraglich war ich nicht unabhängig. Wir konnten das dank der Hilfe eines unabhängigen Dritten klären. Trotzdem: Es bleibt ein schaler Geschmack im Mund, wenn ein Anzeigenkunde für die Unabhängigkeit eines Fachmagazins sorgen muss. Oder?

 

Content-Marketing: Ich schenke dir Qualität, du bezahlst mit Aufmerksamkeit

Dieser Umgang mit redaktionellen Inhalten hat sogar schon einen guten Namen: Content-Marketing. So nennt man es, wenn gute Inhalte für verschiedene Zielgruppen erstellt  und auch über “traditionelle” Medien (und deren Webseiten) verteilt werden. Völlig frei von Urheberrecht. Gerne werden noch tolle Fotos besorgt, die das Magazin kostenlos mitverwenden kann und keine Abmahnung von Getty fürchten muss. Das ist derzeit eine sehr moderne Strategie des Linkaufbaus: Der Content-Marketer wartet nicht, bis er von Chefredakteuren angerufen wird, sondern bietet ihnen gut recherchierte und ausführliche Inhalte an – in einer Qualität, die die Redaktion niemals bezahlen könnte. Dafür gibt es die Nennung der Quelle und einen Link. Selbstverständlich achten Redaktionen und Content-Marketer auch auf die Unabhängigkeit der Informationen – so gut es halt geht.

Ein fairer Deal – wenn man davon ausgeht, dass das Publikum damit einverstanden ist.

 

Wirtschaftsnews aus der Redaktion der Deutschen Bank?

Man sieht: Die Verlage sind gar nicht so einfallslos, wie man ihnen immer vorwirft. Zumindest die Fachpresse hat sich offenbar schon auf das Internet eingestellt und senkt so die Einkaufspreise für ihren Inhalt. Es werden keine Journalisten mehr für Artikel bezahlt, sondern Eigenmarketing-Fachleute bekommen eine Bühne geboten.

Nun, das mag in technischen Themen sogar sehr gut funktionieren. Aber: Werden in Zukunft die Wirtschafts-Teile der Zeitungen von den Presseabteilungen von BASF und Deutsche Bank dominiert? Bewerten die Hersteller zukünftig die Wirksamkeit von Diätpillen in Frauenmagazinen selbst? Kommt die Kinofilm-Rezension demnächst aus der Tastatur des Filmstudios?

Und was bedeutet das für andere Medien? Werden wir demnächst in Videos pausenlos Product-Placement sehen (oder sehen wir das schon)? Stammen die wirklich reichweitenstarken Produktionen für YouTube & Co nicht jetzt schon aus den Marketing-Abteilungen cleverer Konzerne? Kommt irgendwann ein Musik-Titel tatsächlich nur noch mit dem Rückenwind von Konfekt-Werbung in die Charts?

Noch können wir uns auf viele klassische Medien verlassen. Noch.

 

Ein Urheber kann auch in Zukunft Geld verdienen. Wenn er…

Es funktioniert also, das Geschäft mit dem Content. Teilweise viel besser, als es Piraten oder Künstler ahnen. Ich befürchte aber, speziell die Piraten gestehen sich selbst nicht ein, dass sie mit ihrer Position weniger den Ins-Internet-Schreibern helfen als den Konzernen, die gerne mal ein paar tausend Euro springen lassen, um guten, genehmen Content zu verbreiten.

Inhalte produzieren werden in Zukunft nur noch:

  • Marketing-Piraten, die ihre Werke als Werbung für ihre Firmen oder für ihre Credibility erschaffen. Ihr Lohn ist die Aufmerksamkeit.
  • Profi-Künstler, die von Unternehmen dafür beauftragt werden, im Sinne der Marke kreativ zu sein.
  • Hobby-Künstler, die durch Ehe, Erbschaft oder sonstwie durchfinanziert sind und eigentlich nur das machen, wozu sie Spaß haben.

Bei den einen macht man sich Sorgen um die Unabhängigkeit und die Werbefreiheit ihrer Ergebnisse, und bei den anderen zweifelt man an Professionalität bzw. Qualität.

Der Musiker, der von seiner Musik leben möchte, wird es in Zukunft noch schwerer haben. Ebenso der Journalist, der seine Autorschaft nicht querfinanzieren kann oder der nicht reich verheiratet ist. Fotografen, die früher für professionelle Reiseführer wie Marco Polo gearbeitet haben, sehen darin fast nur noch Bilder von Hobby-Fotografen, die dank toller Kameratechnik “gut genug” sind und deren Urheber stolz wie Bolle sind und die alle denkbaren Rechte für den Abdruck honorarfrei verschenken.

 

Und nun?

Ich habe keine Idee, wohin uns das führen wird. Wenn die Redaktionen als Kontrollinstanz für Inhalte ausfallen, stehen möglicherweise irgendwann kritische Leser dafür bereit. Allerdings werden sie erst dann intervenieren, wenn sie erfahren, wie der tolle Artikel, den sie gerade gelesen haben, finanziert wurde. Aber vielleicht wird dann alles gut…

Was mich vor allem stört, ist diese verschwommene Große Koalition aus starken Rechteverwertern wie Google, den planlosen Piraten und finanzstarken Marketing-Abteilungen, die irgendwann die einzigen sein werden, die noch aufwändige Inhalte erstellen können. Diese Koalition ist ein ärgerliches Zukunftsmodell: Piraten wünschen sich freies Downloaden, die Marketing-Abteilungen liefern diese Downloads gerne und Google verdient mit der Auslieferung Geld.

Die Opposition dieser starken Koalition ist viel schlechter organisiert und teilweise nicht minder suspekt: Zwar verbünden sich nun Künstler wie Mario Adorf und Frank Schätzing öffentlichkeitswirksam und stellen sich demonstrativ vor Gema und ihre Verlage. Aber das tun sie auch nur zum Eigenmarketing und auch erst, nachdem Sven Regener in einen Heldenstatus geprügelt wurde und es nun schick ist, mit ihm auf einer Liste zu stehen.

Der großen Masse der Urheber hilft das alles nichts. Schon gar nicht hilft  die Diskussion über das Urheberrecht. Journalisten, Musiker und Schauspieler ohne dickes Bankkonto sollten sich schon jetzt einen anderen, gut bezahlten Job suchen und ihre Kunst fortan zum Hobby machen. Oder sie suchen nach einem Firmensponsor. Scheiß auf die Unabhängigkeit!

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