#Buchbesprechung

Die Welt als Datenbank: David Gugerli über Suchmaschinen

von , 7.8.09

Dass Google dieser Tage zum neuen Lieblingsfeindbild von Verlegern, Politikern und Datenschützern geworden ist, hat kürzlich Konrad Lischka in seinem Artikel bei Spiegel Online beschrieben:

“Wo auch immer der Name Google auftaucht – fast immer wird jemand einen so reflexartig, penetrant wie unreflektiert vorgetragenen Common Senf dazugeben: Google sei ein Monopolist, ein Datenkraken, eine Gefahr.”

Aktueller Anlass war die Diskussion um die jüngsten Forderungen der Verleger. Augenscheinlich ist deren Rhetorik von jener Ratlosigkeit diktiert, mit der in den Content-Industrien auf das Versagen der klassischen Geschäftsmodelle reagiert wird.

Vielleicht berührt diese Auseinandersetzung aber auch einen weiteren Punkt, den man leicht übersieht. Suchmaschinen haben eine gesellschaftliche Veränderung in Gang gesetzt, die ein wenig im Schatten des Erfolgs von Google steht: Die herrliche Übersicht, die Suchmaschinen uns liefern, erscheint uns ganz selbstverständlich, wenn wir mit einer Suchanfrage mal wieder etwas gesucht und gefunden haben. Hier setzt die Argumentation des neuen Buchs von David Gugerli, Professor für Technikgeschichte an der ETH Zürich, ein: Hinter der Sebstverständlichkeit liegen eine Reihe von Vorraussetzungen verborgen.

Ob nun Google, Bing oder Wolfram Alpha – Suchmaschinen sind, so Gugerli

“stets in Auseinandersetzungen verwickelt zwischen jenen, die sie einsetzen, und jenen, auf die sie angesetzt werden.”

Die Auseinandersetzung der Verlage mit Google berührt von daher eine Konfliktlinie, die sich immer auftun kann, wo Suchprozeduren etwas in den Blick nehmen. Suchmaschinen können daher zum einen die Hoffnung auf Demokratisierung beflügeln – dank ungehindertem Zugang zu Information. Sie können aber ebenso in einem orwellschen Schreckensszenario der Kontrolle ihren Platz haben.

Gugerlis Begriff einer Suchmaschine ist allerdings nicht auf webgestützte Suchprogramme beschränkt. Es gibt viele Prozeduren des Suchens: Satelliten suchen Sturmtiefs, Sensoren suchen Erdbebenstationen, Fernsehstationen suchen Skandale und Superstars. Das alles als Suchmaschinen zu bezeichen, verwundert auf den ersten Blick. Es lädt aber dazu ein, durch Verfremdung eine schärfere Sichtweise auf das Vertraute zu entwickeln. An vier Beispielen für solche ‘Suchmaschinen’ entfaltet Gugerli sein Argument.

Beim ersten Beispiel, Robert Lembkes Rateshow “Was bin ich?“, ging es darum, den Beruf des Gastes nach einem bestimmten Suchalgorithmus – Ja/Nein-Fragen – herauszufinden. Das Ergebnis der Suche war nicht nur eine Antwort wie “Kupferschmied”, “Metzger” oder Modelleisenbahn-Bauer. Den Grund für die durchschlagende Beliebtheit der Sendung sieht Gugerli darin, dass sie in Zeiten dramatischer Veränderungen in der Berufswelt daran festhielt, dass sich die Frage “Was bin ich” durch den Beruf als dem wichtigsten und stabilen Merkmal einer Person beantworten lasse. Die über Jahrzehnte mit unverändertem Programm laufende Sendung kompensierte damit gewissermaßen die seit den 60er und 70er Jahren entstandene Unübersichtlichkeit: zunehmende Flexibilisierung der Berufswelt und das Ende der sogenannten “Normalarbeitsbiographie”. Das Ergebnis der Suchprozedur war Erwartungssicherheit gegenüber dem Normalen inmitten des Wandels.

Ähnlich untersucht Gugerli auch die anderen Beispiele. Eduard Zimmermanns “Aktenzeichen XY ungelöst” (1. Sendung hier) war nicht auf der Suche nach Normalität, sondern auf Verbrecherjagd. Der “Suchalgorithmus” der Sendung zielte darauf, zu einem gegebenen Täterprofil den wirklichen Täter zu finden, indem der “lebende Computer Fernsehgemeinde” (Eduard Zimmermann) in die Suche eingeschaltet wurde.

Horst Herold, der “Kommissar Computer” (Spiegel über Herold) wiederum stellte das Bundeskriminalamt auf rechnergestützte Datenverarbeitung um. Sein Name steht für das Konzept einer “kybernetischen Polizei”. Damit war die Hoffnung auf eine effizientere und transparentere Polizeiarbeit verbunden, letzten Endes zeigte es aber auch die Gefahr, dass das pattern recognition der “negativen Rasterfahndung” dazu führte, die rechtstaatliche Unschuldsvermutung umzukehren.

Den entscheidenden weiteren Schritt bei der Entwicklung von Suchprozeduren lieferte dann die relationale Datenbank, wie sie vom Mathematiker Edgar F. Codd konzipiert wurde. Dabei ging es darum, die Schnittstelle zwischen den Daten und den Nutzern so zu gestalten, dass der Nutzer sich um die interne Organisation der Daten nicht kümmern musste. Dadurch konnten Suchabfragen auch von Nutzern vorgenommen werden, die keine ausgefeilten Programmierkenntnisse besaßen. Und schließlich wurden damit auch Suchabfragen möglich, die nicht schon von den Konstrukteuren antizipiert waren.

Diese vier Suchmaschinen erfüllten ganz unterschiedliche Aufgaben; sie wurden mit unterschiedlichen Motivationen installiert und hatten unterschiedliche Folgen. Den gemeinsamen Hintergrund bildet ein gesellschaftlicher Wandel, der als situative Rekombination beschrieben wird. Kunden und Güter, Investoren und Kreditnehmer, Verbrechen und Täter, Arbeitskräfte und Jobs werden in jederzeit wechselnden, flexiblen Kombinationen verbunden, statt in dauerhaften und hierarchisch-stabilen. Dafür werden ausgefeilte Prozeduren des Suchens benötigt.

Gugerli verlängert diese vier Geschichten nicht bis in die Gegenwart. Wer etwas über Google und heutige Suchmaschinen wissen will, wird auf den ersten Blick nicht sofort fündig. Das kann man als Manko des Buches ansehen – oder als Aufforderung, den Faden aufzunehmen und weiterzuspinnen. Fazit: Unterhaltsam und lehrreich, ein Suhrkamp-Bändchen, dass nicht nur für den Schreibtisch, sondern auch für Badewanne oder Liegestuhl geeignet ist.

gugerliDavid Gugerli: Suchmaschinen. Die Welt als Datenbank. edition unseld/ Suhrkamp Verlag 2009, ISBN 978-3-518-26019-7

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