#Bürgerrechte

Quo vaditis, Piraten? · Wir sind sozialliberal

von , 3.4.14

Unter ähnlicher Prämisse gründete sich 2006 in Deutschland die Piratenpartei. Das Augenmerk lag bei der Gründung jedoch nicht nur bei der Einschränkung von Bürgerrechten in der digitalen Welt, sondern wurde sehr viel weiter gefasst: Grundsätzlich sollten alle Bürger vor den Eingriffen in ihre Privatsphäre geschützt werden. Dementsprechend wurde auch das restliche Parteiprogramm ausgebaut.

2008 wurde ich auf die Piraten aufmerksam, als die Wohnung des damaligen Pressesprechers Bayerns von der Polizei durchsucht wurde. Gesucht wurde nach der Quelle eines Leaks von Dokumenten zum später sogenannten “Bayerntrojaner” bzw. Bundestrojaner – ein weiterer Eingriff in die Privatsphäre der Bürger.

Großen Zuspruch und einen weiteren starken Mitgliederzuwachs erfuhren die Piraten während der politischen Ereignisse, die heute unter dem Begriff “Zensursula” zusammengefasst werden: als “Zensursula” von der Leyen ein weitreichendes technisches Stoppschilder-System aufstellen wollte, das der Anfang eines Zensursystems hätte werden können.

Allein diese Historie führt deutlich vor Augen: Piraten wollten von Anfang an für die Freiheit der Menschen kämpfen. Es ist also keineswegs verwegen, die Piratenpartei Deutschland als eine freiheitliche Partei anzusehen. So sah die Partei aus, in die ich 2009 eintrat.

In den Jahren danach wurde die soziale Komponente von den Piraten hinzugefügt. Dieser Bestandteil ist für eine verantwortungsvolle Politik unerlässlich.

Dass dieses Selbstverständnis weiterhin gegeben ist, haben in den letzten Wochen die Landesparteitage in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, die Landesvorstände in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sowie der frisch gewählte Vorsitzende der Piratenpartei in Berlin deutlich klargestellt: Wir sind sozialliberal.

Was heißt das für mich? Ich könnte es mir einfach machen und sagen, dass echte Liberale sich entlang der drei Grundsätze “Liberté, Egalité, Fraternité” bewegen. Doch das Leben ist nicht so einfach, nicht so schwarz/weiß.

Was bedeutet es also für mich, die Grundsätze von Freiheit, Chancengleichheit und Solidarität (wie ich die Grundsätze frei übersetze) politisch umzusetzen?

 

Freiheit

Mein wichtigster Grundsatz ist, mich für die Freiheit der Menschen einzusetzen. Lokal, global, überall. Das bedeutet, dass ich für weitgehende Rechte jedes einzelnen Menschen arbeite: für die Bürger- und Menschenrechte Aller.

Ferner bin ich kein Freund davon, überall Verbote und Bestimmungen aufzubauen. Je mehr Freiheit und Verantwortung man dem Einzelnen überlässt, desto eher werden Menschen im Allgemeinen Verantwortung übernehmen. Das muss jedoch von klein auf gelernt und gelebt werden. Zur Verantwortung gehören auch Konsequenzen für Fehler. Freiheit ohne Verantwortung führt zu nichts. Das ist selbst anarchistischen Ideologen klar.

Rosa Luxemburg sagte so treffend: “Freiheit ist immer auch Freiheit der anders Denkenden”. Ich werde mich immer für Meinungsfreiheit einsetzen. Dort, wo ich die Meinungen falsch oder gar gefährlich finde, werde ich mit Aufklärung dagegen agieren, aber nie mit Verboten, Maulkörben oder gar mit Gewalt.

 

Chancengleichheit

Bildung ist der wichtigste Hebel, um Chancengleichheit zu erlangen. Alle Menschen auf dieser Welt sollten kostenlose, lebenslange Bildung genießen. Die Marktradikalen der letzten 30 Jahre, ob in schwarzer, gelber, roter oder grüner Montur, haben stark daran gearbeitet, uns immer weiter von diesem Ideal zu entfernen.

Das beste System, um auch eine wirtschaftliche Chancengleichheit zu erlangen, ist die soziale Marktwirtschaft unter strikter Kontrolle eventueller Monopolbildungen. Dieses Wirtschaftssystem muss sozial und ökologisch ausgeglichen sein.

 

Solidarität

Solidarität bedeutet für mich, mich für die einzusetzen, denen es nicht so gut geht wie mir. Deswegen verabscheue ich das Hartz IV-System zutiefst; ein System, welches Menschen noch einen Tritt gibt, wenn sie am Boden liegen. Meine ideale Gesellschaft würde sich um diese Menschen kümmern und ihnen helfen, wieder auf die Beine zu kommen.

Dazu gehören grundsätzlich ein kostenloses Gesundheitssystem (für körperliche und psychische Gesundheit) und ein menschenwürdiges Überbrückungsgeld, und zwar so lange, bis der Mensch sich wieder selbst versorgen kann.

Zur Solidarität gehört aber auch, dass Menschen für ihre Arbeit den angemessenen Lohn erhalten, damit sie mit nur einem Job bis zum Monatsende mindestens menschenwürdig ihr Auskommen haben. Es ist inakzeptabel, dass sich Menschen in unserem Land zwei Vollzeitjobs suchen müssen, um genügend zum Überleben zu haben. Es ist für mich genau so wenig hinnehmbar, dass manche Manager sich das Tausendfache des Durchschnittsgehalts in den von ihnen geführten Unternehmen gönnen. Zuzüglich Boni, “selbstverständlich”.

 

Der Mensch ist das Maß aller Dinge

Als liberaler Mensch bin ich zutiefst humanistisch (und umgekehrt). Der Mensch ist für mich das Maß aller Dinge – der Mensch, kein Kollektiv. Ich bin kein Anhänger von kollektivistischen Ideologien (Kommunismus, Sozialismus, Faschismus, Nationalismus, Religionen…).

Insbesondere im politischen und gesellschaftlichen Leben bewegen sich meine Gedanken immer entlang der Frage, ob mein Tun und meine Entscheidungen den Menschen dienen. Im Sinne dieser Ausrichtung haben wir Piraten herrlich progressive, weitreichende Aussagen zu Gender- und Familie beschlossen, die die Probleme des 21. Jahrhunderts angehen, und haben uns klar als soziale Partei positioniert, die über die sozialen Probleme diskutiert, mit denen uns die marktradikale Ideologie der Etablierten sowie der technische Fortschritt beladen haben.

Als Humanist verabscheue ich Gewalt, Gewaltverherrlichung und Gewaltphantasien. Mir würde es nie einfallen, tote Menschen als “Kartoffelbrei” zu bezeichnen. Genauso wenig würde es mir einfallen, jemandem zu danken, der ganze Städte in Schutt und Asche gelegt hat und dem es egal war, wie viele Zivilisten dadurch umkamen.

Krieg mochte für Clausewitz die “Fortführung von Diplomatie mit anderen Mitteln” sein. Für mich ist Krieg der Zusammenbruch der Diplomatie, der Politik, des Miteinanders. Mir ist bewusst, dass Krieg manchmal notwendig ist – was im zweiten Weltkrieg gegen das Nazi-Regime selbstverständlich der Fall war. Gegenüber dem Faschismus, der Menschen in Massen morden ließ, gab es keine andere Antwort, als ihn von der Wurzel her auszutreiben. Ich sehe aber nicht, wieso Gewalt in unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung – mit all ihren Fehlern, die wir unbedingt korrigieren sollten – in irgendeiner Weise ein Mittel der Politik sein sollte. Und damit meine ich nicht nur physische, körperliche Gewalt, sondern auch die psychische Gewalt. (Dazu mein Blogartikel von 2013.)

Bei all dem Vorangegangenen sollten wir nicht vergessen, dass Liberalismus – allen voran dessen sozialliberale Tendenz – immanent systemkritisch und als solcher immer reformistisch eingestellt ist. Ausgehend von einem positiven Menschenbild, geht der Sozial-Liberale davon aus, dass die Menschheit ständig lernt und sich verbessert, und fördert die Anpassung des Systems an diese Veränderungen.

Manche dieser Reformen werden zwangsläufig revolutionär wirken. Vor allem, wenn andere Kräfte in der Gesellschaft zu lange mit Reformen gewartet haben (wie z.B. aktuell beim Urheberrechts- und Patentwesen), oder die Reformen in die falsche Richtung gegangen sind (wie aktuell bei den kontinuierlichen Einschränkungen der Bürgerrechte und der Hartz IV-Gesetzgebung).

Da wir Piraten den Menschen als das Maß aller Dinge nehmen – jeden Einzelnen – sind wir zwangsläufig vom Kollektivismus weit entfernt, kämpfen für deren Freiheit, auch und besonders im Persönlichen, für Chancengleichheit und für gerechte Gleichbehandlung aller. Dass man den Menschen gewaltlos entgegentreten soll, sollte für uns selbstverständlich sein. Dass wir uns denjenigen entgegenstellen, die Hass und Gewalt predigen, genauso.

Die Piraten sollten wieder eine Partei werden, die jeden einzelnen Menschen als handelndes, denkendes Individuum versteht, welches aus freien Stücken entscheidet, dass die Zugehörigkeit zu diesem Staatsgebilde die bessere der möglichen Lösungen ist, trotz oder gerade wegen aller nötigen Anpassung des Systems. Eine Partei, die für Freiheit, Menschenrechte und Chancengleichheit kämpft: Eine Partei für Menschen.
 
Ungekürzte Fassung eines Artikels in der Flaschenpost. Der Autor bloggt auf Aleks Lessmann und ist im Vorstand des Frankfurter Kollegiums.

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