von Wolfgang Michal, 19.9.10
Ausgangspunkt und Anlass unseres Streitgesprächs war eine Frotzelei beim Vorbereitungstreffen für den Kongress. Christoph Lixenfeld hatte mich angepflaumt, Journalismus sei doch auch nichts anderes als Pizza verkaufen. Wer als Journalist an eine höhere Aufgabe glaube, habe illusionäre Vorstellungen von seinem Beruf. „Dienst am Kunden“ sei deshalb auch im Journalismus das oberste Prinzip.
Diese Meinung halte ich für komplett falsch. Denn sie öffnet dem PR-„Journalismus“ Tür und Tor. Sie führt zu reiner Auftragstexterei, zu Anpassung, Liebedienerei und geistiger Korruption. Eine solche Dienstleistungsauffassung ist nichts anderes als eine Rechtfertigungs-Ideologie für die (vermutlich oft) am eigenen Leib erfahrene schwache Markt-Position freier Journalisten. Die Dienstleistungsideologie soll einen Zustand erträglicher machen und schön reden, der in Wahrheit unerträglich ist.
Worin unterscheidet sich nun der Journalismus vom Pizza verkaufen?
Zunächst mal im Belag. Wenn ich eine Pizza Quattro Stagioni bestelle, so erwarte ich als Auftraggeber oder Kunde, dass ich tatsächlich eine Pizza Quattro Stagioni bekomme. Ich weiß, wie eine solche Pizza aussehen muss, was drauf ist, wie sie schmeckt, und ich will exakt die Qualität wieder haben, die ich andernorts schon mal serviert bekommen habe. Das heißt, der Kunde bestimmt den Inhalt der Dienstleistung bis ins Detail.
Ein Journalist aber, bei dem eine (journalistische) Pizza Quattro Stagioni bestellt wird, ist in einer völlig anderen Situation. Erstens sind bei ihm Auftraggeber und Kunde nicht ein- und dieselbe Person. Der Auftraggeber (die Redaktion bzw. der Verlag) hat möglicherweise ganz andere Vorstellungen von der Pizza als der eigentliche Kunde (der Leser bzw. der Verbraucher). Und die Zutaten der Pizza (die Wirklichkeiten) stehen nicht von vornherein fest, sondern müssen erst noch ermittelt werden.
Es kann also die merkwürdige Situation eintreten, dass der Auftraggeber (der Verlag) eine Pizza Quattro Stagioni bestellt, der Kunde (der Leser) in seiner Vorfreude eine Pizza Margherita erwartet, und der Journalist eine Pizza Tonno liefert. Solche Enttäuschungen (sowohl des Auftraggebers als auch des Kunden) muss ein guter Journalist aushalten können. Ein Dienstleister würde damit garantiert Schiffbruch erleiden.
Ein guter Journalist ist deshalb (unter Umständen) ein ganz schlechter Dienstleister (im herkömmlichen Sinn). Seine Qualität besteht nämlich oft gerade darin, eigenmächtig zu handeln, dem Auftraggeber dazwischen zu quatschen, „unzuverlässig“ zu sein, alles besser zu wissen, das Thema zu verfehlen und die Wünsche der Kunden fröhlich zu ignorieren. Und das Wichtigste: Er muss sich diese bodenlose Freiheit – unter Hinnahme eventuell damit verbundener Nachteile – bewahren. Er ist in erster Linie seinem Stoff verpflichtet, und dieser Stoff ist die Wirklichkeit, die weder der Kunde noch der Auftraggeber vorher festlegen können.
Die Wirklichkeit, werden nun praktisch denkende Kollegen sofort einwenden, erteilt aber leider keine Aufträge. Ihr sind auch die Interessen der Verlage und die Vorlieben der Leser egal. Stimmt! Genau deshalb ist Journalismus mit dieser Kategorie wesensverwandt, nicht mit der vorhersehbaren, korrekten Dienstleistung.
Zweck einer guten Dienstleistung ist es, Auftraggeber und Kunden rundum zufrieden zu stellen, ihnen die Wünsche von den Lippen abzulesen, keine Fragen zu stellen, willig zu funktionieren und das Erwartete perfekt und pünktlich abzuliefern.
Eine gute Dienstleistung schätzt jeder von uns – wie gutes Handwerk. Aber mit Journalismus hat dieses wackere Ethos nichts zu tun. Journalisten sind Wirklichkeits-Vermittler, keine Pizzaverkäufer.
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