von Anatol Stefanowitsch, 13.9.12
Das Bild der Piratenpartei in der Öffentlichkeit ist, trotz großer Anstrengungen in der parteiinternen wie externen Diskussion, nach wie vor stark vom Stereotyp des männlichen „Nerds“ jüngeren bis mittleren Alters geprägt. Und die Bilder, die von Parteitagen oder Landesmitgliederversammlungen in die Medien geraten, oder die man sich durch den Besuch von Piratenstammtischen selbst machen kann, legen nahe, dass dieses Stereotyp zwar stark vereinfacht, aber nicht völlig ungerechtfertigt ist.
Sieht man sich jedoch statt der Mitglieder die Wähler/innen der Piratenpartei an, wie es eine gerade veröffentlichte Studie der Universität Leipzig tut, ergibt sich ein Bild, das an einigen entscheidenden Punkten drastisch von diesem Klischee abweicht. Zu einer Zeit, in der die Piratenpartei einerseits unter den Bedingungen eines massiven Mitgliederzuwachses ihr Selbstbild überdenken und weiterentwickeln und sich andererseits auf den für die Zukunft der Partei wichtigen Bundestagswahlkampf vorbereiten muss, scheint es lohnenswert, sich die Ergebnisse dieser Studie genauer anzusehen, was ich im Folgenden kurz tun möchte.
Dass die Piratenpartei die mit Abstand jüngste Wählerschaft hat, überrascht wohl nicht: Mit einem Durchschnittsalter von 33,9 Jahren liegt sie deutlich unter dem der Grünen (41,6 Jahre) und erst recht der anderen Parteien, deren Wählerschaft im Schnitt zwischen 48 und 58 Jahre alt ist.
Auch bei der Mediennutzung gibt es keine Überraschungen: Bei der Nutzung klassischer Medien berichtet die Wählerschaft der Piratenpartei mit 13,07 von 16 Punkten den geringsten, bei den neuen Medien mit 10,56 von 12 Punkten den höchsten Wert. Speziell bei der Nutzung von Online-Angeboten erreichen sie mit 14,07 von 30 Punkten ebenfalls den mit Abstand höchsten Wert.
Das relativ junge Durchschnittsalter dürfte auch erklären, warum die Wählerschaft der Piratenpartei den besten subjektiven Gesundheitszustand (88,47 von 100 Punkten) und die geringste Depressivität (1,78 von 27 Punkten) berichtet.
Bei der Selbsteinschätzung ihrer Ängstlichkeit liegt die Wählerschaft der Piratenpartei mit 0,44 von 6 Punkten im Mittelfeld. Bei der Sorge um den eigenen Arbeitsplatz liegt sie dagegen mit 3,03 vom 5 Punkten klar vor allen anderen Parteien, was möglicherweise auf eine hohe Anzahl prekärer Arbeitsverhältnisse zurückzuführen ist.
Ein genauerer Blick auf die ökonomischen Verhältnisse der Piratenwählerschaft zeigt, dass 10,8 Prozent von ihnen eine monatliches Haushaltseinkommen von unter 1000 Euro haben – das ist der höchste Anteil aller demokratischen Parteien. Dagegen liegt der Anteil von Wähler/innen mit einem Haushaltseinkommen von mehr als 2500 Euro mit 31,8 Prozent im Mittelfeld. Die übrigen 57,4 Prozent müssten (obwohl die Studie das nicht erwähnt) Haushaltseinkommen zwischen 1000 und 2500 Euro haben, was bedeutet, dass immerhin fast zwei Drittel der Piratenwählerschaft mit unter 2500 Euro ein Haushaltseinkommen haben, das unter dem deutschen Durchschnitt liegt. Beim Arbeitslosenanteil liegen die Anhänger der Piraten dagegen mit 9,5 Prozent im Mittelfeld.
Bei der Bildung liegt die Wählerschaft der Piratenpartei klar an der Spitze: 29 Prozent haben Abitur, womit sie knapp hinter der Wählerschaft der Grünen (29,5 Prozent) und deutlich vor den anderen Parteien liegen. Schließlich erreicht die Piratenpartei unter Konfessionslosen bessere Zustimmungswerte (6,1 Prozent) als unter Katholiken und Protestanten (4,1 Prozent).
Bis zu diesem Punkt entspricht das Bild der Wählerschaft wohl ungefähr dem der Mitglieder: Jung, gebildet, säkular, mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen, in prekären Arbeitsverhältnissen.
Darüber hinaus hält die Studie aber eine Reihe von Überraschungen bereit.
Am überraschendsten ist vielleicht die Geschlechterverteilung in der Wählerschaft der Piratenpartei: mit 55,1 Prozent Männern und 44,9 Prozent Frauen ist diese nämlich, anders als bei den Mitgliedern, beinahe ausgewogen. Die Piratenpartei liegt mit diesem Geschlechterverhältnis im Mittelfeld der deutschen Parteienlandschaft (von den demokratischen Parteien hat die FDP mit 58,6 Prozent den höchsten Männeranteil, die Grünen haben mit 29,9 Prozent den niedrigsten).
Ebenfalls überraschen dürfte die Tatsache, dass die Piratenpartei bei Deutschen mit Migrationshintergrund einen 3,3 Prozent höheren Anteil an Anhänger/innen hat als bei Deutschen ohne Migrationshintergrund. Das könnte mit der großen Weltoffenheit der Piratenwählerschaft zu tun haben: 93,5 Prozent geben an, regelmäßige Kontakte zu in Deutschland lebenden Ausländern zu pflegen – das ist unter allen Parteien der höchste Anteil, mit deutlichem Abstand folgen an zweiter Stelle mit 83,5 Prozent die Grünen.
Dass die Piratenpartei bei Stadt- und Landbevölkerung nahezu gleichermaßen beliebt ist, überrascht nach den Wahlerfolgen in mehreren Flächenstaaten vielleicht nicht mehr so sehr (der Anteil an Unterstützer/innen ist in den Städten nur 0,4 Prozent höher als auf dem Land). Schließlich sind die Piraten in den alten Bundesländern im Schnitt etwas beliebter als in den neuen Bundesländern: sie erreichen dort eine um 2,2 Prozent höhere Zustimmungsrate.
Wahlstrategische Erkenntnisse
Aus den Ergebnissen dieser Studie lassen sich einerseits sicher wahlstrategische Erkenntnisse ableiten. Ich will das hier nicht im Detail tun, aber das ökonomische Profil der Piratenwählerschaft lässt es sicher sinnvoll erscheinen, das soziale Profil der Piratenpartei weiterzuentwickeln und in der öffentlichen Wahrnehmung zu schärfen.
Andererseits lassen sich aber auch Erkenntnisse über wünschenswerte Veränderungen in der Mitgliederstruktur und der Zusammensetzung von Amts- und Mandatsträger/innen gewinnen. So ist es trotz der Tatsache, dass die Piratenpartei das Geschlecht ihrer Mitglieder nicht erhebt, kein Geheimnis, dass die Mitglieder überwiegend männlich sind (pessimistisch wird der Frauenanteil oft auf etwa 10 Prozent, optimistisch auf maximal 20 Prozent geschätzt). Dieser Anteil, der sich auch in dem extrem niedrigen Frauenanteil unter den Mandatsträger/innen in den Landtagen in Berlin, dem Saarland, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sowie in der Liste zur Wahl in Niedersachsen widerspiegelt, wird häufig damit erklärt, dass die Themen der Piratenpartei eben „Männerthemen“ seien. Die Tatsache, dass unter den Wähler/innen der Piratenpartei fast ebenso viele Frauen wie Männer sind, lässt diese Erklärung nicht mehr zu; die Gründe müssen an anderen Stellen gesucht und gefunden werden.
Ebenso scheint mir, dass unter den Mitgliedern der Piratenpartei Deutsche mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert sind. Dass sich dies bei der Wählerschaft umgekehrt verhält, sollte Anlass sein, darüber nachzudenken, wo die programmatische Attraktivität der Piratenpartei für diese Gruppe liegt und wie sich diese so schärfen ließe, dass diese Gruppe für eine aktivere Mitarbeit in der Piratenpartei gewonnen werden könnte.
Insgesamt scheint die Wählerschaft der Piratenpartei repräsentativer für die Gesellschaft zu sein, als die Piratenpartei selbst. Das sollte nicht als implizite Kritik an den bisherigen Strukturen und Themensetzungen der Piratenpartei verstanden werden, sondern als große Chance, sich auf der Grundlage dieser breit gefächert Zustimmung in der Bevölkerung inhaltlich selbstbewusster in der Breite aufzustellen und die Prinzipien der Transparenz und der Teilhabe über alle gesellschaftlichen Themenbereiche hinweg auszuarbeiten.
Literatur:
Brähler, Elmar und Oliver Decker (2012): Die Parteien und das Wählerherz. Universität Leipzig.
Link: http://medpsy.uniklinikum-leipzig.de/red_tools/dl_document.php?id=282
Crosspost von MartinDelius.de
Anatol Stefanowitsch ist Mitglied der Piratenpartei.