#Emissionsreduktion

Paradigmenwechsel in der Klimapolitik

von , 31.12.12

Das Ritual ist in jedem Jahr das Gleiche. Die Enttäuschung über den im Dezember endenden Weltklimagipfel ist in der Nachweihnachtszeit noch nicht ganz verflogen. Aber schon ab Januar wird in der internationalen Klimapolitik traditionell wieder „nach vorne geschaut“. Nach dem Gipfel ist eben immer auch vor dem Gipfel. 2013 wird er in Warschau stattfinden. Doch die klimadiplomatische Tendenz zum „more of the same“ wird in den nächsten Jahren an ihre Grenzen stoßen. In der internationalen Klimapolitik bahnt sich ein tiefgreifender Wandel an. Der bisher dominierende Problemlösungsansatz wird in eine Legitimationskrise geraten.
Seit Beginn ihrer Institutionalisierung vor 20 Jahren ist die internationale Klimapolitik ein uneingelöstes Versprechen auf die Problemlösungsfähigkeit der Weltgemeinschaft. Die globalen Treibhausgasemissionen sind seit 1990 um mehr als ein Drittel gestiegen. Doch die Klimadiplomatie arbeitet, gemeinsam mit der Klimawissenschaft, unverdrossen an der ganz großen Lösung. Um einen „gefährlichen Klimawandel“ zu verhindern, hat man 2010 in Cancún nach jahrelanger Diskussion zunächst eine Temperaturobergrenze beschlossen. Gegenüber der vorindustriellen Zeit soll der globale Durchschnitt um nicht mehr als 2 Grad Celsius steigen. Aus diesem Grenzwert leiten Klimawissenschaftler im zweiten Schritt ein der Welt noch verbleibendes Emissionsbudget ab, das im Rahmen der UN-Klimaverhandlungen schließlich gerecht auf 194 Staaten aufgeteilt werden soll.

Dieser Top-Down-Ansatz folgt der strikten Logik eines „Alles oder nichts“, entweder Weltrettung oder Weltuntergang, entweder 2 Grad oder mindestens 4 Grad Temperaturanstieg, dazwischen scheint nichts zu existieren. Allenthalben diskutiert man deshalb visionäre Lösungen, pragmatische Schritte zur Emissionsreduktion werden als zu wenig ehrgeizig abgetan.

Würde man das 2-Grad-Limit tatsächlich ernst nehmen, müssten die weltweiten Emissionen weit vor 2020 ihren Gipfelpunkt erreichen und dann rasant sinken, bis zum Jahr 2050 bereits auf etwa die Hälfte des Niveaus von 1990. In Industrieländern wären bis zur Mitte des Jahrhunderts gar Reduktionsleistungen von 80 bis 95 Prozent erforderlich. Da aber die politischen Kosten einer Formulierung wohlklingender Langfristziele für alle beteiligten Regierungen sehr viel geringer ausfallen, als die Kosten entsprechender Maßnahmenpakete, herrscht in der internationalen Klimapolitik de facto Stillstand. Nichts bewegt sich voran, jeder zeigt auf den anderen und bedauert den fehlenden Weltklimavertrag.

Doch selbst der EU kommen inzwischen Zweifel. Zwar hat sie das 2-Grad-Ziel international durchgesetzt und bekennt sich als klimapolitische Vorreiterregion offiziell auch zu einer mindestens 80-prozentigen Emissionsreduktion bis 2050. Gleichzeitig scheut sie aber davor zurück, rechtsverbindliche Zwischenziele für 2030 und 2040 zu definieren. Da sie bei einer formellen Abkehr vom 2-Grad-Ziel einen klimapolitischen Imageverlust befürchten muss, begnügt sich die EU einstweilen damit, die USA und die Schwellenländer für das drohende Reißen des 2-Grad-Limits verantwortlich zu machen.

Das derzeit noch dominierende Top-Down-Paradigma ist von bestechender theoretischer Eleganz. Temperaturobergrenze definieren, Emissionsbudget kalkulieren, Verschmutzungsrechte gerecht verteilen – fertig! In einer idealen Welt würde man Probleme exakt auf diese Weise lösen. Aber in der empirisch vorfindbaren Welt braucht es schon ein Übermaß an Steuerungsoptimismus, um diesen Problemlösungsansatz für praktikabel zu halten. Nur: Realismus genießt in der Klimadebatte bislang keinen hohen Stellenwert, und er lässt sich auch nur schwer in intellektuell mitreißende Alternativkonzepte gießen. Aus diesem Grund wird ein Paradigmenwechsel in der Klimapolitik erst dann möglich sein, wenn der Top-Down-Ansatz in der Praxis endgültig gescheitert ist, auch aus Sicht seiner gegenwärtig noch zahlreichen Unterstützer. Erst, wenn die Klimaforschung an den Punkt kommt, ausschließen zu müssen, dass das 2-Grad-Ziel noch erreicht werden kann, scheitert auch der bisherige Politikansatz. Dementsprechend verbissen wird das zentrale Ziel der internationalen Klimapolitik verteidigt, mit teilweise sehr gewagten Annahmen zur „Machbarkeit“ entsprechender Emissionspfade.

Scheitert der bisher dominierende Problembearbeitungsansatz, so kommt es schlechtestenfalls zum „Ende der Klimapolitik“, weil ein über Jahrzehnte hinweg gepflegter Klima-Alarmismus schnell in Fatalismus umschlägt. Das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft erodiert rapide, die Bereitschaft zur globalen Kooperation ebenso. Pläne zur Emissionsreduktion rücken auf der politischen Agenda nach unten. Stattdessen konzentrieren sich die Nationalstaaten fast ausschließlich darauf, ihre eigene Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel zu erhöhen. Einige suchen ihr Heil zudem in riskanten Maßnahmen zur technischen Klimamanipulation, dem Geo-Engineering.

An einer solchen Entwicklung kann die EU kein Interesse haben, auch weil sie ihre Rolle als globale klimapolitische Vorreiter-Region und ihren Vorsprung bei der Entwicklung emissionsarmer Technologien nicht entwertet sehen will. Der dazu notwendige Paradigmenwechsel wird jedoch mit einigen zentralen Dogmen des bisherigen Ansatzes brechen müssen. Er markiert das »Ende der Klimapolitik, wie wir sie kannten«.

Der sich ankündigende Wandel hin zu einem Bottom-Up-Ansatz ist vor allem als mentale Wende zu begreifen, die Problemdefinition und Lösungsstrategien neu fasst. Im Zentrum eines neuen Paradigmas würde nicht mehr „alles oder nichts“, sondern das Leitmotiv „je weniger Klimawandel, desto besser“ stehen. Messbaren Fortschritten bei der Reduktion von Emissionen käme darin ein weitaus stärkeres Gewicht zu, als Verhandlungen über umfassende Weltklimaverträge.

Die Effektivität der eingesetzten Instrumente würde zum entscheidenden Faktor werden, und nicht in erster Linie ihr visionäres Potenzial. Im Bereich der erneuerbaren Energieträger käme der Windkraft in der EU zunächst eine weitaus größere Rolle zu als der Solarenergie. Das emissionsarme Erdgas würde im Stromsektor die Kohle rasch ablösen, und im Verkehrssektor ein ernsthafter Konkurrent zum Öl werden. Fortschritte bei der globalen Reduktion von Emissionen kann es nur dann geben, wenn entsprechende Politiken auch für Schlüsselstaaten wie USA, China und Indien anschlussfähig sind.

Nicht zuletzt wird ein neues Paradigma auch unsere Sicht auf den Klimawandel selbst verändern müssen. Klimawandel ist nicht das eine große Problem, das überhaupt im engeren Wortsinn „gelöst“ werden könnte. Es wäre weitaus angemessener, den Klimawandel als anhaltende Problemlage zu begreifen, mit dessen spezifischen Folgen wir besser oder schlechter umgehen können. Ob der Klimawandel gefährliche Ausmaße annimmt, hängt nicht allein vom Temperaturanstieg ab, sondern ebenso von den gesellschaftlichen Bewältigungskapazitäten in einzelnen Ländern.

 

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