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Ohne Pressefreiheit kein Kapitalismus

von , 27.9.16

Die größte Schwäche der aktuellen Debatte um die Zukunft der Journalismusfinanzierung ist ihr Mangel an Radikalität. Die Wucht, mit der Geschäftsmodelle, Organisationsformen und berufliche Biografien, in Frage gestellt werden, wird unterschätzt.

Bei der Diskussion um Journalismusfinanzierung muss es um die Finanzierung von Redaktionen gehen, nicht von Journalisten. Ich glaube an die Redaktion, also an die vernunftbringende Kraft des Diskurses von verschiedenen Menschen, die sich regelmäßig sehen und mit Argumenten aneinander reiben. Ich wünsche mir kein neoliberales System, wo jeder Journalist zum eigenen Unternehmer wird, alle Risiken auf die Personen übertragen werden, als Uber-Journalismus.

Zwei Klarstellungen dazu: Erstens. Der Name einer Medienmarke kann durchaus der Name eines Journalisten sein, zum Beispiel Anne Will. Aber wir diskutieren dann über die Finanzierung der Anne Will Redaktion und nicht, wovon Anne Will selbst lebt. Zweitens. Ich will auch nicht am Berufsbild der freien Journalisten rütteln, bloß brauchen diese Auftraggeber, und das sind Institutionen oder Organisationen.

Crowdfunding höchstens als Ergänzung

Crowdfunding im engeren Sinne spielt höchstens eine ergänzende Rolle bei der zukünftigen Journalismusfinanzierung, also eine Person sammelt Geld für eine Recherche oder Publikation. Crowdfunding ist stark auf das eigene soziale Netzwerk angewiesen und sichert keine dauerhafte institutionelle Einnahmensquelle in hinreichendem Umfang. Ich finde Crowdfunding eine tolle Ergänzung bestehender Angebote und glaube, dass dadurch Neues, Innovatives möglich wird.

Auf der institutionellen Ebene haben wir die zwei großen Säulen, die Verlage und privaten Radio- und Fernsehsender auf der einen Seite und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf der anderen Seite.

Die privaten Radio- und Fernsehsender erscheinen mir etwas besser aufgestellt, was die zukünftige Finanzierung angeht, vermutlich auch, weil das Bewegtbild, als wichtiges Format der Zukunft noch viel jünger ist als der Druck von Text und Bildern auf Papier.

Große Probleme haben die Verlage. Ich will nicht die Statistiken zitieren, wie fast auf der gesamten Front von Tageszeitungen, über Wochenmagazine bis zu Zeitschriften die verkaufte Printauflage massiv zurückgeht bei gleichzeitiger Abwanderung von Anzeigen. ZEIT und Spiegel sind besser aufgestellt als Süddeutsche und FAZ, denn irgendwann wird nicht mehr täglich, sondern nur noch wöchentlich auf totes Holz gedruckt. Wenn überhaupt.

Nutzerfreundliche Paywalls sind das Ziel

Der Kampf um das Leistungsschutzrecht war Zeitverschwendung anstatt in nutzerfreundliche Paywalls zu investieren. Die Bezahlung über Paywalls ist mit 7% zu besteuern, wie bei Büchern oder Zeitungen.

Es ist die Crux einer Branche in Abwärtsspirale: Es wird schwierig, das Personal zu rekrutieren, das man braucht, um aus dieser Abwärtsspirale herauszukommen. Journalisten, die multimedial denken und arbeiten. Developer, die neue Konsum- und Finanzierungsformen zügig und schön umsetzen. Verlagsmanager, die im Netz leben.

Katastrophal aufgestellt sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Dysfunktionale Aufsichtsgremien; parteipolitische Vetternwirtschaft in Führungspositionen; Zweiteilung des Programms in die eine Sparte Sport und Seicht und die andere Sparte Bildungsbürgertum; überkommene Strukturierung nach Distributionskanälen; Zersplitterung des Angebots zur Befriedigung von Einzelinteressen; Durchschnittsalter bei TV-Zuschauern von um die 60; eine ganze Generation wird von den Medienmarken ARD und ZDF abgehängt. Sicher, auch hier passiert einiges. Es gibt engagierte Journalisten, die sich sehr reinhängen.

Rundfunkbeitrag breiter verteilen

Aber das Tempo der Veränderung in den Organisationen hält überhaupt nicht Schritt mit dem Tempo der Veränderung in der Welt da draußen. Wenn es nicht radikale Änderungen gibt, droht eine Debatte, wie wir sie in Großbritannien erleben: 50 Prozent Kürzung bei der BBC oder Abschaffung. Der Rechtspopulist Seehofer hat mit der Forderung nach einer Zusammenlegung von ARD und ZDF einen ersten Vorgeschmack geboten. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssen radikal modernisiert werden und das Gebührenaufkommen muss breiter gestreut werden.

Neben den zwei großen Säulen etabliert sich langsam eine dritte Säule, der Nonprofit-Journalismus. Der gemeinnützige Journalismus wird niemals die Bedeutung der anderen beiden Säulen erreichen, geschweige denn diese ersetzen können. Ich sehe die Bedeutung des Nonprofit-Journalismus gerade auf lokaler Ebene, wo es keine Lokalberichterstattung mehr gibt. So können Menschen gestärkt werden, die berichten, was Gemeinderat, Bürgermeister oder lokaler Bauunternehmer vorhaben. Auf lokaler Ebene bestehen auch die größten Sorgen, was zukünftige Berichterstattung angeht.

Gemeinnütziger Journalismus? Legalize it!

Nordrhein-Westfalen hat hier bereits reagiert, mit der Gründung von „Vor Ort NRW – LfM-Stiftung für Lokaljournalismus“. Beim Nonprofit- oder gemeinnützigen Journalismus hat Nordrhein-Westfalen gute Chancen, Vorreiter zu werden. Nach Informationen aus dem Landtag soll hoffentlich bald durch Erlass des Landesfinanzministers geregelt werden, dass Journalismus auch unter einen der gemeinnützigen Zwecke, vermutlich Bildung, fallen wird. Damit wäre Nordrhein-Westfalen das erste Bundesland, das explizit gemeinnützigen Journalismus unterstützt. Gemeinnütziger Journalismus muss zum förderungswürdigen Zweck werden, und damit steuerbefreit.

CORRECTIV gibt es jetzt seit etwas mehr als zwei Jahren, und ist das erste Nonprofit-Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum. Die Finanzierung in den ersten Jahren wird von Stiftungen dominiert, allen voran die Brost Stiftung. Auch Stiftungen können bei der Gestaltung neuer, innovater Organisations- und Geschäftsmodelle wichtige inhaltliche und finanzielle Impulse geben. Ich bin verblüfft, wenn ich sehe, wie viel Geld Stiftungen zur Produktion von Studien stecken und wie wenig in journalistische Recherchen. Eine gute Studie ist teuer, wird bei einer Pressekonferenz vorgestellt und dann erfreut man sich an zwei Schnipseln des Pressespiegels. Lange, tiefe Recherchen und ihre Veröffentlichung haben eine vielfach höhere Kraft, gesellschaftliche Debatten zu verändern. Stiftungen müssen verstärkt Medienprojekte fördern, denn lange, tiefe Recherchen haben eine große Kraft, gesellschaftliche Debatten anzustoßen.

Google und Facebook wie Medienkonzerne behandeln

Aber es gibt nicht nur diese drei Säulen, wenn wir über Medieninstitutionen und ihre Finanzierung reden, sondern auch die sogenannten Plattformen. Wenn Youtube Videos löscht, sind das inhaltliche, also redaktionelle Entscheidungen. Wir müssen lernen, die Plattformen als Medienkonzerne zu betrachten, denn sie sind definitiv keine Technikkonzerne. Der Markt hinsichtlich der Datenbestände über Nutzungsverhalten im Internet funktioniert nicht, wir haben nur wenige dominante Anbieter.

Es ist eine alte Frage der Wirtschaftspolitik, wie Monopole und Oligopole aufgebrochen und zerstört werden. Ich glaube nicht an das Argument der zeitlich befristeten Monopole, wie IBM, Microsoft und AOL , also dass wir neue Konzerne erleben werden und Google und Facebook wieder an Marktmacht verlieren, denn die erstgenannten waren Technologiekonzerne, aber nicht Medien- und Datenkonzerne.

Datenkonzerne müssen zerschlagen werden

Die Medien- und Datenkonzerne sind so mächtig, dass sie die Bedingungen definieren, was Erlösaufteilungen angeht: Bei der Google-Tochter Youtube gehen nur 55 Prozent an die Creators, aber stolze 45 Prozent an die Plattform. Michael Seemann hat in seinem lesenswerten Buch „Kontrollverlust“ vom Plattformkapitalismus gesprochen. Sobald die Marktmacht der Datenkonzerne gebrochen ist, wird die strategische Position der creators besser und das Geld wird vielfältiger fließen und nicht nur in die Taschen weniger globaler Größen. Durch vernünftige Wettbewerbspolitik müssen die Datenkonzerne zerschlagen werden, so dass sich die Erlöse zu Gunsten der Creators auf mehr Schultern verteilen.

Überhaupt ist für mich das Thema wirtschaftspolitisch zu diskutieren. Oft heißt es, Journalismus sei für eine Demokratie unverzichtbar. Das ist zweifelsohne richtig. Es wird viel zu sehr unterschätzt, dass Journalismus auch für das Funktionieren der Marktwirtschaft unverzichtbar ist.

Ohne Pressefreiheit kein Kapitalismus

Wenn nicht über unverantwortliche Unternehmen, über schlechte Produkte, über katastrophalen Kundenservice berichtet wird, dann hat es die beste Produkt/Preiskombination auch viel schwieriger, sich am Markt durchzusetzen zum Schaden aller. Journalismus ist nicht nur für eine Demokratie, sondern auch für das Funktionieren einer Marktwirtschaft unverzichtbar. Wir sind nicht nur Wähler und Staatsbürger, sondern wir sind auch Verbraucher oder Patienten. In jeder der Rollen, die wir haben, sind wir auf qualitativ hochwertige, unabhängige Informationen angewiesen.

Allgemein gilt für mich als wichtigste Grundregel: Je diverser die Finanzierungsformen des Journalismus und je bunter die vielfältigen Medieninstitutionen sind, desto besser für Demokratie und Marktwirtschaft.

 

Dieser Text erschien auch bei CORRECTIV und basiert auf einem Vortrag von CORRECTIV-Geschäftsführer Christian Humborg bei der Veranstaltung „Kassensturz – Wie steht es um die Finanzierung des Journalismus?“ der Friedrich-Ebert-Stiftung am 15.9.2016 in Köln (überarbeitet und leicht gekürzt).

 

 


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