von Robin Meyer-Lucht, 6.4.09
Als sich vor gut einem Monat Rundfunkräte in Köln zum Gespräch über den Drei-Stufen-Test “als Chance” trafen, verflog die erhoffte Aufbruchstimmung rasch: Die Gremien hätten in der Vergangenheit häufig versagt, erklärte der Medienjournalist Volker Lilienthal (Foto). Rundfunkräte seien nicht ohne Grund als “Abnickvereine” bekannt. Ihre Aufsicht sei intransparent, viele von ihnen hätten mangelnde Programm- und Technikkenntnisse. Sie seien ihrer Anstalt mehr verpflichtet als der Allgemeinheit (mehr hier).
Die anwesenden Gremienmitglieder reagierten auf Lilienthals Rede mit einer Mischung aus Missmut, Verlegenheit und Ablehnung. Sie vermochten Lilienthals Beispielen nicht so recht auszuweichen und wollten doch das eigene Selbstbild nicht angekratzt sehen.
Geholfen haben Lilienthals Mahnungen jedoch dem Augenschein nach wenig. Seit dieser Woche liegt die schriftliche Entscheidung zum ersten Drei-Stufen-Verfahren vor – und das Ergebnis lässt Lilienthals Urteil zu Unabhängigkeit und Aufsichtsversagen der Rundfunkräte als noch deutlich zu milde erscheinen.
Der NDR Rundfunkrat hatte darüber zu entscheiden, ob die Inhalte der NDR Mediathek bis zu einem Jahr lang abrufbar sein sollen – und nicht weitgehend nur für sieben Tage, wie dies im neuen Rundfunkstaatsvertrag vorgesehen ist. Nach Wunsch des Intendanten sollen nicht nur Regionalsendungen des NDR, sondern etwa auch allgemeine Kino-Tipps, Hörspiele oder Radio-Blödeleien entsprechend länger im Netz vorgehalten werden.
Der nordrhein-westfälische Medienminister Andreas Krautscheid hat den Drei-Stufen-Test als “Lakmustest für öffentlich-rechtliche Glaubwürdigkeit” bezeichnet. Und so war dieses erste Drei-Stufen-Verfahren auch ein Test der Aufsichtsarbeit des NDR Rundfunkrates und seiner Fähigkeit, auf die neuen gesellschaftlichen, medientechnischen und ökonomischen Rahmenbedingungen das Internets einzugehen.
Die Aufgabe des NDR Rundfunkrates wäre es gewesen, vom Intendanten eine detaillierte Auflistung der Sendungen einzufordern, welche länger im Netz stehen sollen, und für die einzelnen Angebotssegmente den öffentlich-rechtlichen Mehrwert und die Marktauswirkungen zu prüfen.
Nichts davon hat der Rundfunkrat getan: Er hat eine pauschale Angebotsbeschreibung akzeptiert, die lediglich ein paar “Richtbeispiele” vorgibt, und er hat die betroffenen Angebote und Märkte nicht konkret betrachtet.
Stattdessen hat der Rundfunkrat den Anftrag des Intendanten ohne jegliche Änderung durchgewunken. Dabei hatte ein ökonomisches Pflichtgutachten durchaus eine Zurückhaltung des NDR in jungen, werberelevanten Zielgruppen oder bei Formaten mit Zahlungsbereitschaft vorgeschlagen. Der Rundfunkrat wies dies zurück. “Der NDR würde seinen Auftrag verfehlen, wenn er die Interessen jüngerer NutzerInnen in seinen Programmen und Telemedienangeboten nicht angemessen berücksichtigt.”
Auftrag verfehlen? Nach dem neuen Rundfunkstaatsvertrag ist das Angebot eigenständiger öffentlich-rechtlicher Online-Angebote auf jene Formate begrenzt, die sich von anderen Online-Angeboten klar abheben. Es gibt für das Internet keinen allgemeinen, sondern nur einen speziellen öffentlich-rechtlichen Auftrag, einen Mehrwertauftrag.
Das aber interessiert den Rundfunkrat gar nicht, der genüsslich Verfassungsgerichtsurteile von vor 22 Jahren zitiert. Er tut so, als lebten wir weiter in der dualen Rundfundordnung der minderen Rücksichtnahme. Motto: Alles, was der NDR macht, ist gut für Vielfalt und Demokratie.
Der Beschluss des NDR Rundfunkrates ist voll von pauschalisierenden Lob-Formeln: Der NDR fördere “durch Zuwachs von Standards und Qualität die Konsumentenwohlfahrt”. Die NDR Mediathek biete “einen erheblichen publizistischen Mehrwert”. Konkret nachgewiesen wird dies in dem schmalen siebenseitigen Beschluss des Rundfunkrates nirgends. Der Rundfunkrat hat sich nicht die Mühe gemacht, einzelne Angebote zu betrachten. Dabei wäre hier, hier oder hier und an vielen Stellen ein genauer Blick nicht nur angemessen gewesen, sondern die Pflicht des Gremiums.
Wenn es um die Kosten geht, verfällt der Rundfunkrat in Appellhof-Tonfall:
“Auch eine geforderte Vollkostenberechnung ist entbehrlich und hat zu unterbleiben, da sie zu falschen Schlüssen führen würde.”
“Hat zu unterbleiben”? “Falsche Schlüsse”? Ist das der Tonfall, mit dem man mit Bürgern kommuniziert? Wäre die Sache nicht so wichtig, dieser Rückgriff auf autoritäre Posen wäre fast komisch. Der Rundfunkrat unterbietet hier in vollem Wissen die Mindeststandards von Transparenz und Rechenschaft.
Bei der NDR Mediathek mögen die Auswirkungen solchen Aufsichtsversagens überschaubar bleiben. Ein paar Hörbuchverlage, die weniger Umsatz machen, ein paar Regionalsender mit weniger Podcast-Abrufen – was macht das schon? Entscheidend ist aber die grundsätzliche Bedeutung dieser Entscheidung: Wenn demnächst Rundfunkräte im großen Stil über öffentlich-rechtliche Online-Angebote, Communities oder, yip, Blogs zu entscheiden haben, dann werden die Auswirkungen ungleich stärker ausfallen.
Dieses NDR-Verfahren genügt lediglich den formaljuristischen Anforderungen eines Drei-Stufen-Tests. Einzig die Verfahrensregeln wurden eingehalten. Der ernsthafte Versuch von Aufsicht wurde nicht unternommen; er wurde mit großer Geste ignoriert.
Der NDR Rundfunkrat hat mit seiner Entscheidung letzte Glaubwürdigkeit und jeden Anspruch, als unabhängig wahrgenommen zu werden, verspielt.
Der Drei-Stufen-Test sollte zur Befriedung des Konflikts um öffentlich-rechtliche Aufgaben im Internet beitragen. Die Medienpolitik wollte den Gremien mit ihrer Funktion eine “letzte Chance” einräumen. Diese Gremien sind auf dem besten Wege, diese zu verspielen.
- Kai Burkhardt: Dreistufiger Unsinn: Die Drei-Stufen-Tests gefährden die Glaubwürdigkeit der Medienaufsicht
- Robin Meyer-Lucht: MDR: Versuch`s mal mit Drei-Stufen-Testchen
- Robin Meyer-Lucht: BBC unterliegt im Public-Value-Test