von Christoph Tometten, 18.11.13
Bei genauer Lektüre des Gesetzes muss die Antwort differenzierter ausfallen. Im Asylverfahren wird geprüft, ob der Antragsteller asylberechtigt im grundrechtlichen Sinne oder Flüchtling im völkerrechtlichen Sinne ist und ob seiner Abschiebung Hindernisse i.S.d § 60 AufenthG entgegenstehen (sog. subsidiärer Schutz).
Da Snowden nicht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt wird, unterscheidet sich die Anerkennung als Asylberechtigter in seinem Fall nicht von der Anerkennung als Flüchtling. Maßgeblich für den Erfolg eines Asylantrags Snowdens ist mithin lediglich, ob er politisch verfolgt wird oder eine begründete Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen hat.
Zuweilen entsteht der Eindruck, dass der Exekutive bei der Beurteilung der politischen Verfolgung ein geradezu unbeschränkter Spielraum zusteht. Anders ist die Befürchtung bestimmter Politiker_innen, dass Asyl für Snowden die transatlantischen Beziehungen schädigen könnte, nicht zu deuten.
Diese Auffassung war in früheren Jahrhunderten auch zutreffend. Das moderne Asylrecht jedoch ist ein ebenso justiziables Rechtsgebiet wie viele andere. Ob jemand politisch verfolgt ist oder nicht, hängt daher keineswegs vom Gutdünken der jeweils herrschenden politischen Auffassungen ab, sondern unterliegt gerichtlicher Kontrolle.
Droht Snowden politische Verfolgung?
Das Bundesverfassungsgericht versteht unter politischer Verfolgung, dass der Staat dem Einzelnen wegen dessen politischer Überzeugung gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen, ihn aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen und in eine ausweglose Lage bringen (s. BVerfGE 80, 315, 334 ff.).
Artikel 9(1)(b) der Qualifikationsrichtlinie bestimmt, dass eine Handlung dann als Verfolgung gilt, wenn sie aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie grundlegende Menschenrechte schwerwiegend verletzt. Als Beispiel führt Artikel 9(2)(c) der Richtlinie ausdrücklich unverhältnismäßige Strafverfolgung oder Bestrafung auf.
Sind Snowdens Handlungen, für die er verfolgt wird, Ausdruck einer politischen Überzeugung? Und drohen die USA damit, seine Rechte schwerwiegend zu verletzen?
Die Antwort auf die erste Frage liegt auf der Hand: Weshalb, wenn nicht aus politischer Überzeugung, soll Snowden denn die Überwachungs- und Spionagetätigkeiten der NSA aufgedeckt haben? Politische Überzeugung ist weit zu verstehen. Der Begriff knüpft weder an Parteizugehörigkeit noch an die Kohärenz eines politischen Programms an. Vielmehr dient er dem Schutz jeder Meinung, die das Handeln des Staates und seiner Organe betrifft (s. G. Goodwin-Gill/J. McAdam, The Refugee in International Law, 3. Aufl. 2007, Oxford/New York, S. 87).
Mit seinem Handeln äußert Snowden implizit die Meinung, dass ein solches Gebaren dem Staat verwehrt sein soll. Diese Meinung betrifft das Handeln der amerikanischen Staatsorgane unmittelbar und ist daher politisch.
Hat aber die drohende Strafverfolgung und Verurteilung Snowdens Verfolgungscharakter? Das ist schwerer zu beantworten, denn Asyl soll nicht vor legitimer Strafverfolgung schützen, auch nicht vor der Verfolgung politischer Straftaten. Nach der Qualifikationsrichtlinie dürfen aber weder Strafverfolgung noch drohende Strafe unverhältnismäßig sein.
Nichts hindert Deutschland, die Verhältnismäßigkeit nach eigenen Maßstäben zu prüfen. Denn das internationale Flüchtlingsrecht zwingt den Staat lediglich, bestimmte Mindeststandards einzuhalten; jeder Staat kann dabei aber auch weitergehenden Schutz gewähren.
Die Verurteilung zu einer möglicherweise lebenslangen Freiheitsstrafe wegen eines Verhaltens, das den systematischen Missbrauch staatlicher Macht aufzudecken bezweckt und damit einen Beitrag für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit leisten will, dürfte einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Maßstab des deutschen Rechts nicht standhalten. Denn sie ließe in der Abwägung zwischen staatlichen Interessen und den Grundrechten des Einzelnen die Meinungsfreiheit, die ihren Ausdruck in Snowdens Verhalten findet, nicht zur Geltung kommen.
Doch die Anwendung dieses Maßstabs ist nicht zwingend. Was aber dann? Orientierung gibt eine Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 12. März 1984 (Altun ./. Deutschland). Die Kommission hielt die Auslieferung eines türkischen Staatsangehörigen, dem in der Türkei ein Strafverfahren wegen eines Tötungsdelikts drohte, für unzulässig. Denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ihm aufgrund des politischen Tatmotivs eine unverhältnismäßig hohe Strafe drohe.
Es kommt also darauf an, ob die politische Motivation einer Tat möglicherweise einen ungünstigen Einfluss auf die drohende Strafe hat. Weil Snowden wegen Spionage angeklagt werden soll, ist dies nicht auszuschließen. Denn die Strafbarkeit der Spionage soll davor schützen, dass Dritte Informationen erlangen und sie zum Nachteil des Staates verwenden.
Snowden aber beabsichtigt nicht, die USA zu schädigen. Vielmehr sollen seine Enthüllungen die amerikanische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stärken. Wenn der Straftatbestand der Spionage auch unter diesen Umständen angewendet wird, liegt die Vermutung nahe, dass die USA das Strafrecht zur Unterdrückung politisch unliebsamen Verhaltens verwenden, sich mithin die politische Motivation Snowdens ungünstig auf die drohende Strafe auswirkt.
Aber auch ohne ein Recht auf Asyl könnte Snowden Anspruch haben, nicht in die USA abgeschoben zu werden. Auch die Voraussetzungen dieses subsidiären Schutzes sind gerichtlich voll überprüfbar.
Angenommen, Snowden drohen tatsächlich weder Todesstrafe noch Folter, so wäre seine Abschiebung dennoch unverhältnismäßig, und damit nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention unzulässig. Denn auch die Konvention kennt das Verhältnismäßigkeitsgebot.
Es stellt sich zwar wiederum die Frage, welche Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung gestellt werden sollen. Doch jedenfalls gilt auch hier: die Verurteilung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe unter Anwendung eines Straftatbestands, der zur Abwehr ganz anders gearteter Gefahren geschaffen wurde, ist unverhältnismäßig, wenn nicht auszuschließen ist, dass sie die Unterdrückung politisch unliebsamen Verhaltens bezweckt.
Einen gewaltigen Haken hat jedoch das Asylverfahren: Asyl kann nur auf deutschem Boden beantragt werden. Bedeutet dies, dass Snowdens Aufenthalt in Deutschland zum Scheitern verurteilt ist? Das hängt im Wesentlichen vom politischen Willen Deutschlands ab.
Aufnahme aus dem Ausland
Theoretisch kann Snowden auch von Russland aus seine Aufnahme in Deutschland betreiben, denn nach § 22 S. 1 AufenthG kann ein Ausländer aus dringenden humanitären Gründen aus dem Ausland aufgenommen werden. Das kommt hier durchaus in Betracht, denn Snowden ist nach deutschem Recht asylberechtigt, und sein Aufenthalt in Russland ist zeitlich begrenzt, ohne dass sich bislang ein anderes Land ernsthaft bereit erklärt hat, ihn aufzunehmen.
Damit er auf dieser Grundlage nach Deutschland kommen kann, müssten aber sowohl der Bund als auch ein aufnahmebereites Land dies als dringenden humanitären Grund anerkennen. Denn im Visumsverfahren bei der Auslandsvertretung ist die örtliche Ausländerbehörde zu beteiligen (AufenthG-VwV Nr. 22.1.2.), und beide Behörden können Ermessen ausüben.
Anders verhält es sich, wenn der Bundesinnenminister die Aufnahme zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik erklärt. Das würde sowohl die Bundes- als auch die Landesbehören binden (§ 22 S. 2 AufenthG). Man sollte meinen, dass diese Vorschrift für Snowden wie maßgeschneidert ist, denn wessen Aufnahme soll den politischen Interessen der Bundesrepublik mehr nützen als die Aufnahme desjenigen, der die Aufdeckung systematischer Grundrechtsverletzungen und potenziell schwerwiegender Staatsschutzverbrechen ermöglicht hat?
Kein Anspruch auf Aufnahme
Der Bundesinnenminister scheint das indessen anders zu sehen, und seine Sicht ist es, auf die es hier ankommt: Denn was die politischen Interessen der Bundesrepublik wahrt, kann der Bundesinnenminister frei beurteilen. Auf Verpflichtung zur Aufnahme in Deutschland kann Snowden daher nicht erfolgreich klagen.
Alles aussichtslos also? Nicht unbedingt. Dass die Entscheidung letztlich politisch ist, mag den Juristen befremden. Doch liegt darin nicht auch die Aufforderung, Demokratie aktiver zu gestalten?
Wer Snowden schützen will, muss die Regierung zum Handeln zwingen – und wer Regierungen an ihre Verantwortung für den Schutz von Verfolgten erinnert, handelt durchaus in einer Linie mit den Zielen, die Snowden selbst verfolgt.
Crosspost vom Verfassungsblog
Unmittelbar vor Beginn der Sondersitzung, in der der Bundestag die Einberufung eines Untersuchungsausschusses zur NSA-Abhöraffäre diskutiert, haben heute das Kampagnennetzwerk Campact, das Whistleblower-Netzwerk und Digitalcourage für die Aufnahme von Edward Snowden und einen effektiven gesetzlichen Schutz für Whistleblower in Deutschland demonstriert.
Auf einem Transparent war zu lesen: „Welcome to Germany, Mr Snowden!“ Darsteller mit Großmasken von Angela Merkel und Sigmar Gabriel versuchten, sich an einer riesigen, dampfenden „heißen Kartoffel“ nicht die Finger zu verbrennen. Demonstrant/innen hielten Schilder mit einem dem legendären Obama-Wahlplakat nachempfundenen Snowden-Porträt und dem Slogan „Whistleblower schützen – yes you can!“
Während der Aktion wurden über 167.000 Unterschriften unter den Appell „Schutz für Edward Snowden in Deutschland“ an die Fraktionsvorsitzenden übergeben.