#Freiheit

Mit seiner Freiheit muss man auch was anfangen können

von , 5.8.15

Aus liberaler Sicht sind staatliche Regulierungen oft negativ konnotiert, der Markt hingegen bedeutet Freiheit. Zu viel Staat beschränke die „Freiheit“, heißt es. Aber ist das wirklich so?

Einer der ersten Liberalen, der Philosoph Thomas Hobbes, hat eine ganz andere Argumentation vorgelegt: Hobbes glaubte, dass der Mensch von Natur aus böse sei, sich im natürlichen Zustande nehmen würde, was er wolle, und quasi ein Krieg aller gegen alle herrsche. Dieser Krieg sei nur überwindbar, wenn man untereinander einen Vertrag schließe und damit den Staat berechtige, Regeln für das Zusammenleben durchzusetzen. Infolge dessen sei zwar jeder Einzelne im Gesellschaftszustand weniger frei, gewinne aber mehr Sicherheit vor willkürlicher Verfolgung und Gewalt und könne daher auch etwas mit seiner übrig gebliebenen Freiheit anfangen.

Mit Freiheit muss man also auch etwas anfangen können. Das kann man aber nur, wenn es keinen Anarchismus gibt. Wenn jeder ein Recht auf Alles hätte, würde friedliches gesellschaftliches Leben höchstwahrscheinlich nicht funktionieren.

Auch Immanuel Kant war dieser Auffassung: Nicht, weil die Menschen moralisch sind, errichten sie das Recht, sondern umgekehrt folge Moral dem Recht. Solange es kein Recht gibt, wäre es unklug, sich moralisch zu verhalten. Der Staat nimmt seinen Bürgern zwar das Recht auf Alles, gibt ihnen aber letztlich die Freiheit der Erwartungssicherheit zurück – die Mehrheit der Menschen hält sich an Gesetze und ist somit in einem bestimmten Maß vertrauenswürdig. Zudem ist zu erwarten, dass zwischenmenschliche Konflikte gewaltfrei gelöst werden können; eben vor Gericht – auch dadurch schafft der Staat Sicherheit.

Erst durch den Rechtsstaat kann es also überhaupt Freiheit geben. Erst in einer politischen Ordnung kann der Mensch zum Bürger wachsen, und erst als Bürger ist er im wahrsten Sinne befreit zu einer Existenz als guter Mensch, der durch einen gelebten Verfassungspatriotismus die Bürgerrechte eines jeden anderen Bürgers achtet und fördert. Erst ohne allumfassende Freiheit für Einzelne wird Freiheit für alle greifbar, bestimmte Freiheitseinschränkungen sind also akzeptabel, wenn sie dem Gemeinwohl dienen.

Wenn man diese Freiheit durch den Staat grundsätzlich anerkennt, ist die Frage, was sie umfassen soll. Kann jeder wirklich etwas mit seiner Freiheit anfangen, wenn es eine große Ungleichheit zwischen den Bürgern gibt, was ihre Chancen auf ein gutes Leben angeht? Muss die Freiheit durch den Staat nicht vielmehr auch auf die soziale Frage der Lebenschancen erweitert werden? Ist der Staat in sozialer Absicht nicht sogar verpflichtet, für Chancengleichheit und soziale Mindeststandards zu sorgen?

Das impliziert dann praktisch beispielsweise eine Besteuerung der Wohlhabenden, so dass jeder Bürger zumindest rudimentär ein gutes Leben verwirklichen kann, auch die, die nicht aus eigener Kraft die Möglichkeit haben, sich auf dem Markt ausreichend zu versorgen. Und ist diese Besteuerung wirklich ein Freiheitsraub beziehungsweise eine Beschränkung von Freiheit? Oder ist diese Beschränkung nicht vielmehr erst die Ermöglichung der echten Freiheit aller?

Die Frage, die letztlich zu beantworten ist, ist Folgende: Wann und wie wird das Recht auf Freiheit für jeden Einzelnen wirklich einlösbar, und wie wird diese Frage ausgehandelt? Die Antwort hat mit der Erwartung an den Staat zu tun: Versteht man Freiheit substanziell, sind also etwa Bildung, Gesundheitsversorgung und eine ökonomische Grundsicherung notwendige Voraussetzungen einer echten Freiheit, dann bedarf es einer aktiven Vorsorge- und Förderungspolitik des Staates, der somit als Ermöglichungsinstrument für die Freiheit fungiert. Diese Vorsorgepolitik, die anerkennt, dass der Staat in Verantwortung für die Freiheit aller steht, ist allerdings mit einem schlanken Staat – wie ihn sich neoliberale Denker vorstellen – nicht realisierbar. Die echte Freiheit aller braucht vielmehr einen aktiven Staat.

Meint man es mit der Freiheit wirklich ernst, müsste der deutsche Staat also heute wachsen: Es braucht mehr Investitionen in das Bildungssystem, mehr Investitionen in eine Arbeitsmarktpolitik der zweiten und dritten Chance, mehr Investitionen in frühkindliche Förderung, mehr Investitionen in Weiterbildung. Und das ist nur finanzierbar, wenn diejenigen, die mehr als genug haben, anerkennen, dass sie die Verantwortung haben, zur Freiheit aller einen substanziellen Beitrag zu leisten. Die Steuerdebatte sollte man daher nicht scheuen – vor allem die SPD nicht. Gerade die SPD könnte zum Freiheitskämpfer werden. Denn wenn Freiheit den Staat braucht, dann ist es Aufgabe einer linksliberalen Partei, das deutlich zu machen.

 


 

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