von Michael Hörz, 22.2.10
Am Freitag ist ein Entwurf des Internetkapitels aus dem geplanten Handelsabkommen ACTA bekannt geworden. Michael Geist, Professor für Internetrecht und E-Commerce an der Universität Ottawa, setzt sich seit Beginn der Aushandlungsprozesse für deren Transparenz ein. Beim ACTA-Abkommen verhandeln inzwischen rund 40 Nationen unter anderem über nachgeahmte Produkte, Urheberrecht und mögliche Internetsperren. Details kamen bislang nur über solche durchgesickerten Dokumente oder Klagen von Bürgerrechtlern ans Licht.
Auf seinem Blog dokumentiert Michael Geist jedes durchgesickerte Dokument und stellt es den spärlichen offiziellen Informationen gegenüber. Es ist inzwischen so umfangreich, dass der kanadische Industrieminister im Dezember 2009 entnervt einem Parlamentarier antwortete: „Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, können Sie auf Michael Geists Website gehen.“
Herr Geist, wie sind Sie eigentlich auf das Thema ACTA gekommen?
Ich bekam es im Oktober 2007 mit, als die damaligen ACTA-Länder koordiniert an die Öffentlichkeit gingen und erklärten, sie würden ab nun verhandeln. Nach und nach kam ans Licht, dass sie schon einige Jahre miteinander diskutiert hatten. An jenem Tag schrieb ich in meinem Blog, das Ganze sehe nach einem Versuch aus, die internationale Urheberrechtsorganisation WIPO zu umgehen. Damals wusste man auch noch nicht, dass die Verhandlungen derart heimlich ablaufen würden. Das ganze Vorgehen erschien problematisch: Eine sehr kleine Gruppe von Ländern, die jene Länder ausschloss, die als größte Quelle von Produktfälschungen angesehen wurden.
Was ist Ihrer Meinung nach der Hauptgrund für die Verhandlungen?
Für meine Begriffe ist es ein ziemlich klarer Versuch, die Messlatte für den Schutz von geistigem Eigentum hochzuschrauben. Es hat zweierlei Ziele: Zum einen wären in einigen Ländern, die ACTA mitverhandeln, drastische Gesetzesänderungen nötig. Das soll das Abkommen wohl erreichen. Zum anderen zielt es wohl ebenso stark auf Länder, die nicht daran beteiligt sind. Wenn ACTA abgeschlossen ist, scheint die Hoffnung zu sein, können die beteiligten Länder sich bei Handelsgesprächen an andere Länder wenden, insbesondere Entwicklungsländer, und sagen: Das ist der neue Standard, das erwarten wir nun auch von euch.
Besonders das sogenannte Internet-Kapitel von ACTA wird stark diskutiert. Welche Auswirkungen könnte es Ihrem Wissensstand nach haben?
Das Internet-Kapitel hat enorme Auswirkungen. Vor allem macht es klar, dass wir nicht über ein Fälschungsschutz-Abkommen reden, sondern über weit mehr als das. Das Kapitel befasst sich überhaupt nicht mit Fälschungen, es ist ein Urheberrechts-Kapitel. Der Vertrag enthält Dinge wie Schadensersatz für mutmaßliche Urheberrechtsverletzungen, Camcorder-Verbote in Kinos oder neue Durchsuchungen bei der Einreise. Die Auswirkungen des gesamten Vertrags werden je nach Land recht unterschiedlich sein. Die Internet-Bestimmungen werden sich klar auf Länder auswirken, die gerade Standards wie den amerikanischen DMCA oder drastischere anstreben.
Darüber hinaus sollen zum Beispiel Internet-Provider dazu gebracht werden, bei der Durchsetzung von Rechten eine aggressivere Rolle zu spielen. Insbesondere soll der Boden für ein „Three Strikes and you’re out“-System bereitet werden.
Manche argumentieren, ACTA sei unnötig, schließlich sei alles schon in mehrere Verträge der internationalen Organisation WIPO geregelt.
Nun, Funktionäre haben schon mehrmals zugegeben, dass ACTA ein ausdrücklicher Versuch sei, die WIPO zu umgehen. Zur WIPO gehören zwangsläufig Konsens und Kompromisse. In der Organisation bekommen Entwicklungsländer derzeit besonders Gehör für ihre Bedürfnisse in Sachen Urheberrecht. Stattdessen tut sich eine Art Koalition der Willigen zusammen, ignoriert die internationale Institution mit ihren klaren Regeln und ihrer Transparenz und spielt ihr eigenes Spiel.
Darüber hinaus sagen viele Länder, die EU eingeschlossen, immer wieder, dass ACTA keine bestehenden Gesetze ändern werde. Alles bewege sich innerhalb der jetzigen Gesetze. Wofür wird das dann alles verhandelt? Natürlich wird ACTA in bestehende Gesetze eingreifen! Vielleicht wird es in einigen Ländern recht wenig ändern, aber die Beschwörungsformel „Es wird schon nichts ändern, also vertraut uns!“ leuchtet überhaupt nicht ein. Vor allem, wenn man den erheblichen Aufwand und den aggressiven Verhandlungszeitplan in Betracht zieht.
Wer würde vor allem von dem Abkommen profitieren?
Es ist recht klar, dass die USA die treibende Kraft hinter dem Ganzen sind, und sie haben auf jeden Fall erste Entwürfe bei einer Reihe von Kapiteln vorgelegt. Bemerkenswert an den jüngsten Verhandlungen in Mexiko (25.-29. Januar 2010) bleibt, dass wir nun wissen, dass es mehrere Entwürfe für das Internet-Kapitel gibt. Zwar hat der US-Entwurf bislang die meiste Aufmerksamkeit bekommen, und davon ist auch am meisten durchgesickert. Aber es gibt wohl keine weltweite Zustimmung dafür, in der Tat wurden weitere Entwürfe vorgelegt. Ich sehe das als eine positive Entwicklung an, noch ist nicht alles ausgehandelt. Und doch beleuchtet es wieder, dass wir dringend mehr Transparenz brauchen, damit die Öffentlichkeit sich besser beteiligen und diese Themen kommentieren kann.
Damit kommen wir zur Kernfrage: Warum wird ACTA so heimlich verhandelt?
Im britischen Unterhaus sagte der zuständige Minister am 4. Februar, dass es britische Politik sei, bei ACTA die Zustimmung dafür zu bekommen, den Text zu veröffentlichen. Neuseeland will den Text veröffentlichen, genauso wie Kanada. Australien fordert mehr Transparenz. Es ist schwer zu verstehen, wo die Ursache des Problems liegt – es könnte an einigen asiatischen und europäischen Ländern liegen. Und anscheinend fürchten manche, dass die Sorge und die Aufregung über ACTA noch viel größer wären, wenn sich die Öffentlichkeit voll über die Vorgänge im Klaren wäre. Also über etwas, das in gewisser Weise hinter ihrem Rücken vorangetrieben wird.
Drastisch gefragt: Sehen Sie irgendwelche Vorteile in der Heimlichkeit, wie sie derzeit praktiziert wird?
Nein, mir fallen keine ein. Selbst Unterstützer von ACTA fangen an einzusehen, dass größere Transparenz vonnöten ist. Sie stellen fest, dass die Heimlichkeit richtiggehende Schäden anrichtet. Ein heimlicher Urheberrechtsvertrag ist nicht direkt etwas, das die Öffentlichkeit schätzt. Und die Befürworter von ACTA erkennen, dass dieser Vertrag sich am Ende als Totgeburt herausstellen könnte. Zumindest in den Augen der Öffentlichkeit, die von ihm nichts außer durchgesickerte Dokumente und Bedenken zur Heimlichkeit mitbekommen hat. Die EU-Kommission sagte am 4. Februar sinngemäß: Dies ist alles übertrieben, Sie müssen sich keine Sorgen machen! – Trotzdem stellen sie den Text nicht zur Verfügung.
Die Informationskette bei dem Vertrag scheint genau kontrolliert zu sein: Jeder, der Zugang erhält, muss eine Schweigeerklärung unterschreiben. Wozu das?
Unter solchen Bedingungen kann eine Regierung völlig frei auswählen, wem sie Zugang gewährt und wem nicht [In den USA musste erst die Bürgerrechtsorganisation KEI eine Offenlegung der 42 Personen erzwingen, denen die US-Delegation Zugang gewährt hatte – M.H.]. Diejenigen, die Einblick bekommen, dürfen es nicht sagen. Wenn also eine Bürgerrechtsgruppe Einblick erhalten will, muss sie die Erklärung unterschreiben. In den USA haben das einige Gruppen getan, aber was bringt ihnen das? Genau jene, die sonst den Mund aufmachen würden, sind damit zum Schweigen verdammt.
Sind die USA auch die treibende Kraft hinter der Heimlichkeit?
Das ist nicht eindeutig. Es gibt Anzeichen dafür, dass manche in den USA die Verhandlungen offener gestalten wollen. Da aber manche Länder, vor allem einige asiatische Länder, noch gar nichts zu dem Thema gesagt haben, dürfte ihr Schweigen in diesem Fall Bände sprechen. Es legt nahe, dass sie den derzeitigen Weg ohne die Veröffentlichung von Zwischenergebnissen unterstützen.
Wie lange werden die Verhandlungen noch laufen?
Die nächste Runde wird im April in Neuseeland stattfinden, danach sind wohl noch mindestens drei Gesprächsrunden geplant. Das könnte alles noch dieses Jahr passieren. Ein aggressiver Zeitplan, aber er ist möglich. Also ein Treffen im späten Frühjahr oder Frühsommer, eins im frühen Herbst, und eines kurz vor Jahresende. Die Verantwortlichen würden es wohl gerne dieses Jahr über die Bühne bringen, aber ein australischer Funktionär räumte ein, dass es auch 2011 werden könnte.