von Robin Meyer-Lucht, 11.3.09
Es wird nicht mehr über die Zukunft des Privatfernsehens gesprochen — es geht nur noch ums “Überleben”. Das Motto des diesjährigen Gipfeltreffens der Landesmedienanstalten lautete: “Lost in Transition — Überlebensstrategien für das private Fernsehen”.
Es steht tatsächlich atemberaubend, wie schlecht es um das Privatfernsehen in diesem Land bestellt ist. Nicht nur das Programm ist weitgehend belanglos. Auch erhebliche Teile seines Führungspersonals geben auf Podien nur noch eine beschämende Figur ab. Die ganze Not der Branche manifestiert sich im Aktienkurs der ProSiebenSat.1-Aktie: Das Unternehmen ist heute bei einem Aktienkurs von 95 Eurocent gerade noch 104 Millionen Euro wert. Im Juli 2007 waren es noch 3,3 Milliarden Euro. ProSiebenStat.1 hat damit in weniger als zwei Jahren fast 97 Prozent seines Unternehmenswertes verloren. Die Branche ist am Anschlag — auch hier wächst die Angst vor dem Internet täglich.
Symposien von Landesmedienanstalten sind eine ganz spezielle Gattung von Veranstaltung für eine ganz spezielle Gattung Mensch: die Schar der Medienpolitik-Diplomaten. Diese Menschen besuchen gefühlt jede Woche eine Veranstaltung, auf der es scheinbar um exakt dieselben Themen geht und auf denen scheinbar die exakt gleichen Sachen gesagt werden. Doch die Medienpolitik-Diplomaten können dieses Symposien-Sprech für sich entschlüsseln — und nehmen selbst kleinste Nuancen-Verschiebungen war.
Dabei könnte man zu dem Schluss kommen: Auf derartigen Symposien treffen sich Hundertschaften gut bezahlter Menschen, um nahezu nichts zu erreichen, während Google zugleich munter Fakten schafft. Das würden Medienpolitik-Diplomaten aber so nie akzeptieren. Und wir wollen dem hier auch mal folgen.
So ist zu berichten, dass Kurt Becks Staatskanzlei-Chef — und damit zentrale Schaltperson der Medienpolitik — Martin Stadelmaier verkündete, dass Sponsoring im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nach 20 Uhr ab dem Jahr 2013 untersagt sein wird. In dreieinhalb Jahren wird es den Tatort also wieder ohne Krombacher & Co geben: Ein kleiner Schritt für den Zuschauer und eine kleine Stärkung des öffentlich-rechtlichen Profils — aber ein großer Schritt für die häufig zaudernde Medienpolitik.
Bemerkenswert ist auch, dass auf der gesamten Veranstaltung immer wieder vom “Dualen System” gesprochen wurde — dabei ist die duale Medienordnung mit dem Internet tot. Im Netz gibt es nicht mehr nur öffentlich-rechtliche und private Anbieter, sondern ein ganzes Biotop von Anbietertypen. Aber dessen mag sich die Medienpolitik noch nicht vergegenwärtigen. Sie klammert sich an die klaren Ansprechpartner.
Zum Internet erklärte Stadelmaier: “Es soll zukünftig keine anonymen Einstellungen im Internet mehr geben.” Was genau er damit meinte, blieb zunächst unklar. Eine Impressumspflicht für Websites gibt es bekanntlich hierzulande schon. Will Stadelmaier etwa jeden Kommentar auf einer Website mit vollem Namen gekennzeichnet sehen? Ist das der Beitrag der sozialdemokratischen Medienpolitik zur Förderung von Online-Meinungsvielfalt und Verhinderung von dominanter Meinungsmacht? Der Fachdienst epd medien zumindest schickte das Zitat gleich einmal in die Zeitungsredaktionen der Republik.
Auf Nachfrage erklärte Stadelmaier diesem Blog: Es solle in Zukunft nicht mehr möglich sein, sich im Internet zu äußern, ohne dass dafür jemand die Verantwortung übernehme. Es sei durchaus denkbar, dass Kommentare weiterhin anonym etwa auf Blogs abgegeben werden, wenn der Betreiber der Seite dafür die Verantwortung übernehme. Ihm seien vor allem Angebote nach dem Muster von “Rotten Neighbor” ein Dorn im Auge. Er sei zudem optimistisch, dass sich ein solches Verbot anonymer Online-Äußerungen auch international durchsetzen lasse.
Im Gegenzug zeigte sich Stadelmaier offen für die Idee, bei Streitigkeiten über Online-Inhalte und Kommentare zunächst eine Mitteilung der Betroffenen an die Betreiber der Site vorzuschreiben und erst im zweiten Schritt eine Abmahnung zu ermöglichen.
Dennoch bleibt ein zwiespältiger Eindruck: Warum macht sich die Medienpolitik ausgerechnet darüber Gedanken, wie sie anonyme Meinungsäußerungen im Internet verhindern kann? Die Angelegenheit scheint eher kein Kernproblem der digitalen Öffentlichkeit zu sein. Im Gegenteil gehört es zu den Vorteilen des Internets, dass sich jeder äußern kann, auch ohne gleich per Suchmaschinen-Abfrage auf alle Ewigkeit für sein Zitat einstehen zu müssen. Wäre eine solche Pflicht überhaupt mit dem Datenschutz vereinbar?
An solchen Stellen verfestigt sich der Eindruck, dass der Kern aller Medienpolitik nicht die Sicherung von Vielfalt, sondern die Sicherung der Kontrolle über die Kommunikation ist. Die Politik möchte Kommunikation und Meinungsbildung in Armlänge erreichen können. Und genau deshalb hat sie Dinge wie das ZDF erfunden. Dass es nun mit dem Internet zu einem Kontrollverlust darüber kommt, wer und was kommuniziert, kann die Politik augenscheinlich nur schwer ertragen. Deswegen erscheint der klassischen Medienpolitik das Internet vor allem immer noch als Verlust, nicht als Gewinn.
Das Internet kann selbstredend kein rechtsfreier Raum sein, aber im Sinne einer abgestuften Regulierung sollte sich Politik überlegen, wo ein Eingreifen sinnvoll – und wo es mehr Flurschaden als Segen ist.