von Robin Meyer-Lucht, 14.12.09
Im letzten Jahr haben wir ein Gesetz mit dem merkwürdigen Namen “12. Rundfunkstaatsvertrag” (PDF) bekommen. Ein Gesetz: unklar, missverständlich, widersprüchlich, fast unlesbar. Ein Gesetz, das kaum einer versteht und das damit vor allem den politischen Vorteil zu haben scheint, dass es schier unendlichen weit interpretiert werden kann. Man muss diese Konstruktion nicht für einen Zufall halten, wenn man nun sieht, wie die Betroffenen das Gesetz in sein Gegenteil verkehren. Wie Markus Schächter zum Beispiel.
Der 12. Rundfunkstaatsvertrag soll den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten für das Internet regeln. Für eigenständige Online-Angebote der Rundfunkanstalten führt das Gesetz eine gesonderte Begründungspflicht ein. Hintergrund ist das Subsidiaritätsprinzip, wonach mit quasi-staatlichen Gebührenmitteln im Netz insbesondere solche Angebote finanziert werden sollen, die sich vom Bestehenden qualitativ abheben. Anders als im Fernsehen sollen sich die Rundfunkanstalten im eigenständigen Netz-Angeboten nicht als Me-too-Anbieter gerieren. Sie sollen nicht Grundversorger sein, sondern Mehrwertversorger.
Der Gesetzgeber hat dies – angesichts verfassungsrechtlich verminten Terrains – sehr vorsichtig in das Gesetz geschrieben. Ein allgemein gehaltender Auftrag wird für eigenständige Anstaltsangebote in einem Zulassungsverfahren konkretisiert. Dabei mag man über Ausgestaltung und Ausmaß der Subsidiarität heftig streiten, wohl aber nicht über das Prinzip an sich. Es gibt a) keinen gesellschaftlichen Bedarf an gebührenfinanzierter Angebotsverdopplung und es gibt b) den Grundsatz, dass der Staat nur in begründeten Fällen als Anbieter in teilliberalisierten Märkten auftreten soll.
In der Gesetzesbegründung zum 12. Rundfunkstaatsvertrag heißt es verhältnismäßig klar (Seite 16, PDF): Die öffentlich-rechtlichen Onlineangebote “müssen sich … von kommerziellen Angeboten unterscheiden, die nicht nur von den privaten Rundfunkveranstaltern, sondern einer Vielzahl weiterer Marktakakteure über das Internet zur Verfügung gestellt werden.” Deutschlands Chefrundfunkpolitiker Kurt Beck (SPD) erklärte zum Gesetz: Die Rundfunkanstalten hätten “eine klare Beauftragung für Angebote im Internet. Dieser Bereich ist jedoch nicht gleichberechtigt neben dem Hörfunk und dem Fernsehen.”
Wie erläutert nun ZDF-Intendant Markus Schächter seinem Fernsehrat die Rechtslage? Das ZDF hat hierzu dankenswerterweise eine Pressemitteilung herausgegeben, die zeigt, wie intern über die Anforderungen des “Amsterdam-Tests”* gesprochen wird (von der ARD erfährt man nicht einmal dies).
Schächter: Der von den Ländern im Rundfunkstaatsvertrag gegebene Auftrag für die Online-Angebote habe die gleiche Breite wie der Rundfunkauftrag.
Diese Aussage mag formaljuristisch gerade noch haltbar sein. Bezogen auf die Prüfaufgabe der Fernsehrates für das ZDF-Online-Angebot ist sie irreführend und falsch. Ein Gesetz, dass für eigenständige Online-Angebote der Rundfunkanstalten das Subsidiaritätsprinzip stärken soll, deutet Schächter zur Vollermächtigung des ZDFs um.
Und Schächter (Foto mit Fernsehratsvorsitzendem, CDU) geht noch weiter:
Ein anderes, falsches Verständnis des Maßstabs betreffe die Forderung, die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssten einen “Mehrwert” im Sinn einer Exklusivität oder Einzigartigkeit darstellen. Der Begriff des “Mehrwerts” beziehe sich vielmehr auf den Beitrag zum publizistischen Wettbewerb. Kennzeichen eines funktionierenden publizistischen Wettbewerbs seien zum einen die Vielfalt der unterschiedlichen Meinungen und zum anderen die Qualität und die Relevanz der Angebote. Nach diesem Wettbewerbsverständnis wirke sich jedes neue qualitativ hochwertige Angebot positiv auf den publizistischen Wettbewerb aus. Schächter: “Die ZDF-Onlineangebote haben Maßstäbe der Qualität zu erfüllen, um einen qualitätsvollen Beitrag zum publizistischen Wettbewerb leisten zu können. Darin liegt ihr Mehrwert.”
Im Klartext: Mehrwert ist für Markus Schächter, wenn das ZDF ein zusätzliches Angebot macht. Dabei steht in der Gesetzesbegründung klar, dass sich die ZDF-Angebote vom anderen Online-Angeboten (auch von ARD-Angeboten übrigens) unterscheiden müssen. Es wird in der Gesetzeserläuterung keine Einzigartigkeit, sondern eine Unterscheidbarkeit gefordert. Selbst Kurt Beck auf den anderen Charakter des Auftrags hingewiesen. Schächter aber möchte, dass das ZDF auch im Netz Me-Too-Anbieter bleiben darf. Das Leute-heute-Fernseh-ZDF soll auch ins Netz übersiedeln dürfen. Schächter macht sich in intendantenmanier zum autentischen Interpreten eines Gesetzes, das ihm nicht nur gefällt.
Schächters Ausführungen zeigen, dass die Rundfunkanstalten wenig geneigt sind, für die eigenständigen Online-Angebote einen fokussierteren Auftrag als im Fernsehen zu akzeptieren. Schächter handelt im Etaterhaltungsinteresse seiner Anstalt – nicht im Interesse der gebührenzahlenden Zuschauer.
Genau diese Weigerung, den Paradigmenwechsel im öffentlich-rechtlichen Online-Auftrag unzusetzen, entwickelt sich zum Kernproblem der derzeit laufenden Amsterdam-Überprüfungsverfahren. Dabei wird der interpretatorisch freihändige Umgang mit dem Staatsvertrag immer mehr zu einem Aufsichtsproblem: Ausgerechnet das ZDF-interne Gremium Fernsehrat müsste hier nun ein Umdenken einfordern. Welche Motivation dazu hätte er? Zuletzt könnten auch die Länder, die bekanntlich über die Gremien ebenfalls eng an das ZDF angebunden sind, im Zuge der Rechtsaufsicht eingreifen. Doch welche Motivation hätten sie? So wird der Amsterdam-Test zu einem nicht gerade appetitlichen Schauspiel, dessen Ergebnis von vorne herein feststeht.
Wie im Fall Brender zeigt sich hier: Das Agieren des Markus Schächter ist nicht zufällig oder originell. Es ist die logische Konsequenz einer Konstellation. Die Resistenz der Anstalten gegenüber Wandel und den neuen Anforderungen der digitalen Gesellschaft sind enorm.
* auch unter dem Begriff “Drei-Stufen-Test” bekannt.
Nachtrag: Ich habe Andreas Krautscheid (CDU), Medienminister in NRW und Vorsitzender des Drei-Stufen-Ausschusses des ZDFs, kurz um seine Sicht der Dinge gebeten. Hier das Kurzinterview:
Markus Schächter sagt: “Der von den Ländern im Rundfunkstaatsvertrag gegebene Auftrag für die Telemedien habe die gleiche Breite wie der Rundfunkauftrag.” Ist diese Aussagen aus Ihrer Sicht zutreffend?
Im Grundsatz richtig, weil der gesetzliche „Auftrag“ sich sowohl auf Rundfunkprogramme als auch auf Telemedien bezieht (also Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung und insbesondere kulturelle Beiträge).
Einzuschränken ist die Aussage durch zwei Dinge: zum einen muss hingewiesen werden auf die sogenannte „Negativliste“ des Staatsvertrages, die in Telemedien bestimmte Angebote von vorneherein ausschließt (Partnerbörsen, Jobvermittlung etc.). Zum anderen ist die Frage, ob Internetseiten „zum Auftrag“ des Senders gehören nur ein Teil des Drei-Stufen-Test; zu prüfen sind eben auch die ökonomische Auswirkung auf Wettbewerber sowie der publizistische Wert eines Internetauftritts.
Für Markus Schächter ist ein “publizistischen Beitrag” bereits dann gegeben, wenn ein qualitativ hochwertiges Angebot gemacht wird. Ein Mehrwert im Sinne einer Differenz von dem, was die Privatwirtschaft anbietet, müsse nicht nachgewiesen werden. Wie sehen Sie diese Problematik?
Im Staatsvertrag wie auch im Kompromiss mit der EU-Kommission geht es darum, ob ein öffentlich-rechtliches Internetangebot „einen Beitrag zum publizistischen Wettbewerb“ liefert. Ein „Mehrwert“ in dem Sinne, dass es nur dort erlaubt wäre, wo entsprechende private Seiten gar nicht existieren oder „schlechter“ sind, ist nicht gefordert. Viel mehr muss das Angebot auf seine Qualität auch im Verhältnis zu anderen privaten Angeboten bewertet werden. Deshalb hat z. B. der ZDF-Fernsehrat in der letzten Woche genau zu diesen Themen einen mehrstündigen Workshop mit Wissenschaftlern durchgeführt: Was ist Qualität im Netz? Welchen Anforderungen muss ein öffentlich-rechtliches Angebot hier besonders genügen? Wie misst man dieses?