#50prozent

Mal ein bisschen Mathe: Warum 50 Prozent nicht reichen

von , 4.6.13

Beim Verfolgen der 50-Prozent-Posts von Anne Roth, die in ihrem Blog die Anteile von Frauen und Männern bei Konferenzen zählt, ist mir etwas aufgefallen. Und zwar, dass es bei gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, die darauf abzielen, männliche Dominanz oder stereotype Rollenmuster zu überwinden, nicht ausreicht, Gleichberechtigung anzustreben, also etwa eine 50/50-Besetzung von Speakerlisten bei Tech-Konferenzen.

Das hat ganz schlicht mathematische Gründe. Der Frauenanteil liegt bei Politik- oder Technik-Konferenzen derzeit in der Regel zwischen null und vierzig Prozent. Dass Frauen die Mehrheit der Sprechenden ausmachen, kommt fast nie vor. Um Ausgewogenheit herzustellen, reicht es deshalb nicht aus, die eigenen Konferenzen zur Hälfte mit Frauen zu besetzen. Um irgendwann unterm Strich gesamtgesellschaftlich auf halbe-halbe zu kommen, brauchen wir Konferenzen mit 70 oder 80 Prozent Frauenanteil.

Ein ähnliches Schema fiel mir beim Lesen von Jochen Königs Buch “Fritzi und ich” auf. Hier geht es um die Verteilung der Kleinkinder-Betreuung zwischen Frauen und Männern. Diese liegt nach wie vor zum größten Teil in den Händen von Frauen, und auch hier wird als Gegenmaßnahme angestrebt, die Kindererziehung “gleichberechtigt” zu verteilen.

Aber in einer Gesellschaft, in der in den allermeisten Fällen Frauen diese Arbeit übernehmen, ändert es nichts, wenn ab und zu auch mal ein Vater die Hälfte macht. Um etwas Substanzielles zu verändern, brauchen wir Fälle, in denen Männer den Löwenanteil der Kleinkinderbetreuung übernehmen.

Es geht mir hier nicht darum, halbe-halbe-Regelungen prinzipiell zu kritisieren, sondern darum, zu unterscheiden, was sie können und was sie nicht können. Eine halbe-halbe-Regelung kann eine Tech-Konferenz besser machen, weil die Organisatoren mal über die Szene der üblichen Verdächtigen hinausdenken, und sie kann das Familienleben und die Kindererziehung im Einzelfall besser machen, keine Frage. Sie kann aber nicht gesellschaftliche Verhältnisse verändern.

Oder anders: Wer im eigenen Umfeld darauf achtet, generelle Ungleichgewichte zwischen Frauen und Männern “gleichberechtigt” auszutarieren, trägt lediglich (immerhin) dazu bei, die Situation nicht noch weiter zu verschlechtern. Aber nicht dazu, sie zu verbessern.

Das wäre auch gar nicht schlimm, wenn nicht genau das so oft behauptet würde. Wenn ich zum Beispiel darüber diskutieren will, was es politisch bedeutet, dass das öffentliche Sprechen so stark von Männern dominiert ist, oder dass Frauen für die Fürsorgearbeit zuständig sind, erwidert fast immer jemand, das Thema sei doch längst überholt, es würde sich doch alles schon ändern. Weil es inzwischen junge Paare gebe, die sich das halbe-halbe aufteilten, zum Beispiel.

Das Streben nach halbe-halbe in einzelnen Bereichen (bei manchen Eltern, bei manchen Konferenzveranstaltern) wird also als Argument genommen, warum man sich politisch mit dem Gender-Gap in diesen Bereichen nicht mehr beschäftigen will. Das Streben nach halbe-halbe wird selbst schon als politische Lösung angepriesen. Es ist aber keine, und kann es rein mathematisch gar nicht sein.

Damit das öffentliche Sprechen nicht mehr von Männern dominiert wird, müsste es genauso viele Konferenzen mit Frauenüberschuss wie mit Männerüberschuss geben, und damit Kleinkinderbetreuung nicht mehr Frauensache ist, muss es genauso viele Kinder geben, die hauptsächlich von Männern versorgt werden, wie Kinder, die von Frauen versorgt werden. Und so weiter.

Dass irgendwann JEDE Tech-Konferenz genau halbe-halbe besetzt und JEDES Kind exakt halbe-halbe von einer Frau und einem Mann erzogen wird, ist nämlich völlig unmöglich – und auch gar nicht wünschenswert. Über eine Quote mag man für Gremien nachdenken, im realen Leben funktioniert das nicht so. Es kann im konkreten Einzelfall sinnvoll sein, die Erziehungsarbeit nicht akribisch gleich aufzuteilen, oder eine Konferenz mit mehrheitlich Frauen oder Männern zu bestücken. Halbe-halbe ist, wie jede Quote, immer nur eine Krücke, und ich gebe zu, dass die Quotengegner mit ihren Qualitätseinwänden im Prinzip durchaus recht haben.

Das Problem ist nur (und das ist es, was die Quotengegner ignorieren), dass sich bei diesen Fragen historische Geschlechtermuster mit realen Kontexten überkreuzen. Es ist also im Einzelfall nicht klar, ob nur Männer eingeladen wurden, weil sie tatsächlich in dieser konkreten Situation zufällig die besseren Speaker zum Konferenzthema sind, oder ob die Organisatoren den Klischees in ihren Köpfen erlegen sind. Es ist im Einzelfall nicht klar, ob in einer Familie die Frau nach der Geburt eines Kindes ihre Erwerbsarbeit aufgibt, weil es die beste Lösung ist, oder ob sie es tut, weil sie und ihr Umfeld meinen, dass das eben “normal” sei.

Damit wir Verhältnisse schaffen können, in denen einzelne (bei der Besetzung von Konferenzen, bei der Verteilung der Erziehungsarbeit in einer konkreten Situation) sich wirklich für das “Beste” entscheiden, brauchen wir deshalb Muster und Vorbilder, die hergebrachte Stereotype nicht nur vermeiden, sondern umdrehen. Erst wenn Tech-Konferenzen mit 70 oder 90 Prozent Speakerinnen genauso als normal empfunden werden wie andersrum, und wenn es genauso viele Väter gibt, die Hauptverantwortliche für die Versorgung von Babys sind, erst dann ist gewährleistet, dass bei der Einzelfall-Entscheidung die tatsächliche Qualität wichtig ist, und nicht das Stereotyp oder die Gewohnheit.

Wenn wir aber schon halbe-halbe für das Höchste der Gefühle halten, ist von vornherein klar, dass wir da nicht hinkommen werden.
 
Crosspost von Aus Liebe zur Freiheit

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.