von Max Conzemius, 16.7.13
Es kommt eher selten vor, dass sich deutsche Journalisten in die Niederungen luxemburgischer Innenpolitik begeben. Der kleine Nachbarstaat findet in deutschen Medien allenfalls als Steuerparadies und Ort zwielichtiger Bankgeschäfte Beachtung.
Letzte Woche aber, als der durch eine undurchsichtige Geheimdienstaffäre unter Druck geratene Premierminister und langjährige „Mister Euro“ Jean-Claude Juncker um sein politisches Überleben kämpfte, stand das Land jenseits der Mosel plötzlich im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Ausgerechnet in dem vermutlich bittersten Moment seiner politischen Laufbahn hat Juncker abermals bewiesen, dass seine Strahlkraft bis weit über die Grenzen des kleinen Großherzogtums hinausreicht.
Juncker hat es in den bislang 18 Jahren seiner Zeit als Regierungschef wie kein anderer verstanden, der Stimme Luxemburgs im Konzert der europäischen Großmächte Gehör zu verschaffen – ein Gehör, das in keinem Verhältnis zur territorialen Größe, der Bevölkerungszahl oder auch der wirtschaftlichen Bedeutung des Kleinstaates steht. Die Gründe hierfür sind vielfach der Person Junckers, seinem scharfen Intellekt und seinem Verhandlungsgeschick zugeschrieben worden. Darüber hinaus konnte sich Juncker zunutze machen, dass kleineren Staaten im internationalen Gefüge oft die Rolle eines Mediators zukommt. Als “ehrliche Makler” vermitteln sie zwischen um Macht und Einfluss ringende Staaten und fädeln Kompromisse ein. Da sie nach allgemeiner Wahrnehmung frei von eigenen machtpolitischen Ambitionen sind, genießt ihre Vermittlerrolle eine besonders hohe Akzeptanz.
Auch Luxemburg nimmt in der EU traditionell die Rolle des “ehrlichen Maklers” für sich in Anspruch. Als unparteiischer Vertreter des europäischen Gedankens schwebt das Land gleichsam über den Niederungen nationalstaatlicher Interessenpolitik und zieht daraus einen Großteil seiner europapolitischen Legitimität. Diese Grundkonzeption luxemburgischer Europapolitik ist zuletzt jedoch zunehmend unter Druck geraten – was nicht zuletzt mit Junckers exponierter Stellung bei der Bewältigung der Euro-Krise zusammenhängt. Als Chef der Euro-Gruppe wurde er zur Zielscheibe für Kritik nicht nur aus Griechenland, sondern auch aus Deutschland und Frankreich.
Zuletzt war immer wieder die Frage aufgeworfen worden, ob dem Vorzeige-Europäer Juncker ausschließlich das Interesse der EU am Herzen liegt, oder ob es ihm nicht doch in erster Linie um das Wohl Luxemburgs geht. Als Land mit einem “günstigen“ Steuerrecht und als “beliebter Finanzstandort“ sei Luxemburg nicht frei von eigenen Interessen, schrieb beispielsweise der Tagesspiegel:
“Steuerdumping, Schattenfinanzplätze und Schwarzgeldflüsse waren und sind ein Grund für die Fragilität von Banken und Staatsfinanzen. Ein funktionsfähiges und gerechtes Steuersystems in der EU und ein reguliertes und auf Normalmaß gestutztes Finanzsystem liegt nicht im Interesse von Ländern wie Luxemburg. Der Regierungschef eines solchen Landes kann kaum ein geeigneter Schuldenkrisenmanager sein, auch wenn er ein überzeugter Europäer ist.”
Die Euro-Krise, die in ihrem Ursprung auch eine Bankenkrise war, hat nicht nur das einseitig auf Finanzdienstleistungen ausgerichtete Wirtschaftsmodell des Landes unter Druck gesetzt, sondern auch dessen traditionelle europapolitische Ausrichtung am Rollenverständnis eines “ehrlichen Maklers”.
Dass ein Staat – so klein er auch sein mag – auch eigene Interessen verfolgt und versucht, diese europäisch und international durchzusetzen, sollte weder überraschen noch als anstößig empfunden werden. Will das Land jedoch nicht in der europapolitischen Bedeutungslosigkeit versinken, muss es seine Glaubwürdigkeit und Legitimität als „ehrlicher Makler“ wiederherstellen. Vertrauen und Akzeptanz lassen sich nur dann zurückgewinnen, wenn Luxemburg seine eigenen Interessen in einem vereinten Europa offen artikuliert und nicht versucht, sich hinter einem diffusen europäischen Gemeinwohlgedanken zu verstecken.