von Dirk Elsner, 15.11.13
Am Mittwoch war es wieder so weit. Die EU-Kommission zeigt Deutschland in Form eines Prüfverfahrens die gelbe Karte. (Details in dieser Presseerklärung.)
Ich habe zuletzt im Sommer in “Die Crux mit dem deutschen Leistungsbilanzüberschuss” darüber geschrieben, dass wir in Deutschland außerhalb von Fachkreisen dieses heikle Thema konsequent ignorieren und es von vielen falsch verstanden wird.
In diesem Herbst scheint die Debatte noch einmal etwas hitziger zu werden. Dabei fördert die Debatte aber die Qualität der Beiträge, wie etwa den Kommentar von Claus Hulverscheidt für die Süddeutsche, der in “Alles nur Mathematik” die zentralen Punkte der Debatte gut verständlich umreißt.
Ich hatte bereits in meinem oben verlinkten Beitrag dargestellt, dass man für die Debatte über die negativen Wirkungen deutscher Exportüberschüsse keine besonderen ökonomischen Modelle beherrschen muss. Es reicht, wenn man etwas von Buchhaltung versteht. So schrieb das vergangene Woche auch Wolfgang Münchau in seiner Kolumne für Spiegel Online:
“Laut dem Prinzip der doppelten Buchführung gibt es für jede Gruppe von Transaktionen zwei Einträge – einen für die physischen Warenströme und einen für die Finanzströme. Ein Leistungsbilanzüberschuss bedeutet einerseits einen Überschuss von Exporten zu Importen (Warenstrom). Es fallen auch noch ein paar mehr Kategorien rein, die aber in dieser Diskussion keine Rolle spielen. Anderseits bedeutet ein Leistungsbilanzüberschuss aber auch einen Überschuss von Ersparnissen zu Investitionen (Finanzstrom) – und zwar in dem exakt gleichen Maß.”
Ich habe schon oft kritisiert, dass sich Deutschland gerne für seine Exportüberschüsse feiert, aber die Kehrseite nicht beachtet. Ein Problem entsteht vor allem dadurch, dass Deutschland im Verhältnis zu seinen Exporten zu lange zu wenig importiert.
In Deutschland, so das Wall Street Journal, herrsche ein breiter Konsens darüber, dass Handelsüberschüsse ein Zeichen für eine gesunde Wirtschaft und internationale Wettbewerbsfähigkeit sind. Dieser Konsens ist verkehrt.
Ein breiter Konsens führt nämlich nicht dazu, dass diese Position richtig wird: Die deutschen Überschüsse müssen logischerweise an anderen Stellen zu finanziellen Defiziten, also Schulden, führen, es sei denn, die Produkte wurden unentgeltlich überlassen oder die für den Erwerb gemachten Schulden werden erlassen. Die Finanzierung der Defizite erledigen wir gleich mit, indem deutsche Unternehmen, Banken, Privatpersonen und der deutsche Staat Kredite an die Defizitländer geben und die Steuerzahler kollektiv dafür haften. Die Zinsen für die Defizite erhöhen den deutschen Leistungsbilanzüberschuss weiter.
Vielleicht könnte eine Wende in der ziemlich dickköpfig und zickig geführten Debatte durch eine Veränderung der Begrifflichkeiten erfolgen.
Mark Schieritz hat dazu den fast idealen Vorschlag* gemacht:
“Vielleicht würde es der Klarheit dienen, wenn wir künftig nicht von Exportüberschuss, sondern Importdefizit sprächen”.
Claus Hulverscheidt von der Süddeutschen greift diesen Vorschlag auf:
“Vielleicht würde es die Debatte schon entkrampfen, wenn sich Kritiker wie Verteidiger des deutschen Wirtschaftsmodells zunächst auf eine neue Terminologie einigen würden. Anstatt die Deutschen mit Kritik an ihrem “Exportüberschuss” in den Widerstand zu treiben, schrieb jüngst ein kluger Kommentator der Wochenzeitung Die Zeit, “sollten wir künftig einfach von einem Importdefizit sprechen“.
Diesen Vorschlag finde ich deswegen genial, weil wir Deutschen Überschüsse lieben und vielleicht deshalb nicht verstehen, warum wir sie vermeiden sollen. Aber die Kehrseite eines Exportüberschusses ist buchhalterisch das Importdefizit. Und genau das bereitet der Welt das Kopfzerbrechen. Kaum jemand will uns unseren Export kaputt machen. Aber wir sollten überlegen, wie wir die Mittel, die wir zum Kauf deutscher Produkte an das Ausland verleihen, besser dafür verwenden könnten, im Ausland Produkte zu kaufen.
Ich werde nächste Woche noch einmal ein paar Positionen unter die Lupe nehmen, die mich nerven an der Debatte.
* Fairerweise sollte man dazu sagen, dass Schieritz den Begriff nicht erfunden hat, er ist uralt und tauchte in den letzten Jahren häufiger in Debatten, Blogeinträgen oder Tweets auf. Wer Vater oder Mutter ist, spielt aber keine Rolle: Wir sollten uns angewöhnen, diesen Begriff zu verwenden.
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