von Andreas Scheuermann, 10.4.16
BommerEin Bedürfnis muss sich über lange Zeit angestaut haben bei Milosz Matuschek. In dieser Woche hat sich nun der geronnene Weltschmerz des 1980 geborenen Literaten über den Internet-Kanal der Neuen Zürcher Zeitung explosiv entladen und über eine ganze Kohorte von Menschen, die sogenannte „Generation Y“, ergossen.
In einem langen Kommentar bemängelt Matuschek beispielsweise, dass diese Alterskohorte beschlossen habe, „ihre Vorgängergenerationen zu kopieren und sich mit Eltern und Autoritäten in einer seltsam symbiotischen Form zu verkrumpeln.“ In sozialen Medien kursiert mit ähnlicher Aussage eine Fotomontage der ZDF „heute show“, die Eltern mit ihren Kindern im Jahr 1996 und heute zeigt. Die Köpfe der Personen sind identisch, die Kleidung ist vertauscht. Will sagen: Früher waren die Jungen locker, heute sind sie spießig, während die Alten die Gesellschaft „rocken“. Schon das könnte man auch aus entgegengesetzter Perspektive interpretieren: Die Alten können nicht von endloser Jugendlichkeit und kultiviertem Rebellentum lassen. Leggins, Botox und Mick Jagger lassen grüßen.
Würde man Matuschek ernst nehmen, müsste man ihm Bösartigkeit unterstellen. Denn welcher anständige Mensch würde ernsthaft seinen Mitmenschen den Wunsch nach einem „Miniaturwohlstand“ oder mehr Freizeit, ja, auch den Anspruch auf ein „gutes Leben“ missgönnen?
Doch der Autor geht weiter und führt über die „Generation Y“ aus: „Ihr Ziel ist der gleiche Miniaturwohlstand und das «gute Leben», nur mit mehr Freizeit und zum Teil bezahlt mit den Dividenden des Vermögens anderer. Sie ist die Generation Wurmfortsatz.“ Würde man Matuschek ernst nehmen, müsste man ihm Bösartigkeit unterstellen. Denn welcher anständige Mensch würde ernsthaft seinen Mitmenschen den Wunsch nach einem „Miniaturwohlstand“ oder mehr Freizeit, ja, auch den Anspruch auf ein „gutes Leben“ missgönnen? Und gar die Unterstellung, auf Kosten anderer zu Leben, als „Wurmfortsatz“ quasi überflüssiges Teil eines Gesellschaftskörpers zu sein! Worin sonst als in dieser Aussage beweist sich besser, wer sich tatsächlich „mit Eltern und Autoritäten in einer seltsam symbiotischen Form“ verkrumpelt?
„Generation Y“ – was steckt tatsächlich dahinter?
Zuerst einmal ist die „Generation Y“ ein Modell, wie etwa die Maslow´sche Bedürfnispyramide oder die Vier-Felder-Matrix von Boston Consulting. Solche theoretischen Modelle dienen Praktikern dazu, die eigene Arbeit an einer nachvollziehbaren Struktur auszurichten, zum Beispiel bei der Zielgruppenansprache im Marketing oder im Recruiting. Sozialwissenschaftler argumentieren dann, dass überragende weltpolitische Ereignisse wie die Atomkatastrophe von Tschernobyl oder die Terroranschläge von New York einen prägenden Einfluss auf junge Menschen hätten. Die Modelle sollen auf der Basis solcher Einflüsse zu Lebensstilen, Eigenschaften und Denkweisen einer Generationskohorte führen, die besonders typisch sind und sich von vorangegangenen „Generationen“ unterscheiden.
Die Problematik einer solchen willkürlichen Einteilung nach Jahrgangs-Zeiträumen zeigt sich, wenn man das Modell praktisch hinterfragt. Zumeist werden der „Generation Y” die Jahrgänge 1980 bis 1996 zugeordnet. Wer 1980 geboren ist, hätte also mehr Gemeinsamkeiten mit jemandem des Jahrganges 1996, als mit jemandem aus dem Jahrgang 1979, der zur „Generation X“ gehört? Noch konkreter: Was sollen ein 36-jähriger Jura-Dozent an der Pariser Sorbonne, eine 29-jährige Zahnarzthelferin aus Memmingen und ein 22-jähriger Sparkassen-Mitarbeiter aus Pasewalk gemeinsam haben?
Meiner Ansicht nach handelt es sich bei den Generationenmodellen weitestgehend um mediale Phänomene. Sie dienen als Projektionsflächen für gesellschaftliche Diskussionen mit vorgefassten Meinungen. Der alleinige Fokus auf einen Alterskorridor sowie die Beschränkung vieler Untersuchungen auf die Meinungsbefragung lassen praktisch jedes erdenkliche Ergebnis mittels einer Studie „herausfinden“ und dann der solchermaßen geschaffenen Gruppe als „typisch“ zuschreiben. Matuschek selbst führt ein ZEIT-Interview mit dem Soziologen Marcel Schütz an, der das Konzept der Generationenmodelle kritisiert. Doch Matuschek benötigt die Projektionsfläche genauso wie andere. Er bedient sich deshalb eines Hütchenspielertricks, indem er kurzerhand erklärt: „Die Generation Y ist eher eine ästhetische Kategorie als eine soziologische.“ Damit entledigt er sich jeglicher empirischen Beweispflicht für sein fürderhin wortreich ausgestaltetes Sittengemälde, indem er sämtliche verbreiteten Stereotypen und Mythen über die „Baby Boomer“, „Generation X“ und Generation “Y“ bunt ineinander kleckst, um am Ende mit zorniger Hand alles zu verwischen.
Ein gehöriges Maß an Undankbarkeit und Heuchelei für jemanden, der diesem Medium ein Nebeneinkommen zu verdanken hat, von dem andere seiner Generation aber ihren kompletten Lebensunterhalt bestreiten (müssen).
Einer der erhobenen Vorwürfe dabei lautet, die „Generation Y“ bringe nichts Eigenes hervor, sondern kopiere und plagiiere. Erinnern wir uns einen Moment an medial bekannt gewordenen Fälle von Politikern, die des Plagiats überführt wurden: Sie gehören fast ausschließlich anderen Generationen an. Ebenso die Samwer-Brüder, deren Unternehmen Rocket Internet Matuschek für das schlichte Geschäftsmodell kritisiert, sich Start-up-Ideen aus dem Silicon Valley abzuschauen: „Generation X“.
Weiterhin lautet eine Vorhaltung, dass aktuelle Entwicklungen wie das „Internet der Dinge“ und „Big Data“ nicht von der „Generation Y“ gestaltet, sondern lediglich konsumiert würden. Doch auch das trifft nicht zu. Schon heute macht in vielen Unternehmen der Technologiebranche die „Generation Y“ den größten Teil der Belegschaft aus. Gerade sie treiben mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten die Entwicklung voran. 60-jährige Java-Programmierer sind hingegen eine Seltenheit.
Besonders hat es dem Blogger Matuschek das Internet als „Medium der Trägheit“ sowie der „Druck zur Darstellung des eigenen Lebens“ angetan. „Dank dem Internet und den sozialen Netzwerken genügt es bereits, so zu tun, als würde man die Welt verändern oder sich selbst verwirklichen.“ Ein gehöriges Maß an Undankbarkeit und Heuchelei für jemanden, der diesem Medium ein Nebeneinkommen zu verdanken hat, von dem andere seiner Generation aber ihren kompletten Lebensunterhalt bestreiten (müssen).
Wie ein roter Faden zieht sich bei Matuschek der Wunsch nach kolossaler Veränderung durch die Universaldiagnose, zu der er allerdings die „Generation Y“ nicht für willens und fähig hält. „Ihr revolutionärer Akt besteht darin, vor einem Apple-Store zu zelten.“
Die Ironie bei der ganzen Sache: Matuschek gehört der von ihm so gescholtenen „Generation Y“ nicht nur altersmäßig selbst an, sondern entspricht in vielen Punkten genau den pauschal verbreiteten Stereotypen und Klischees, inklusive der von ihm selbst transportierten. Auf die von ihm ausgehende Revolution dürfte noch eine Weile zu warten sein, jedenfalls solange das Dozentengehalt einer staatlichen Universität fließt. Mit seinen eigenen Worten ausgedrückt: „Die Affinität der Generation Y für höhere Beamtenlaufbahnen kommt daher nicht von ungefähr.“
Zustimmen kann man Matuschek in einem Punkt: Die „Generation Y“ ist tatsächlich ein Fake. Die künstliche Kritik an ihr aber ein noch viel größerer.
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