#7-Tage-Regel

Freiheit und Freibier: Öffentlich-rechtliche Inhalte unter freie Lizenzen stellen

von , 6.4.14

Man hätte es für einen Aprilscherz halten können, aber es war keiner. Am 1. April 2014 veröffentlichte Tobias Schwarz, u.a. Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik von Bündnis 90/Die Grünen Berlin, einen Beitrag auf Carta.info, in dem er die Einführung “Freie(r) Lizenzen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk” fordert.

Es müssten seiner Meinung nach “… die von der Allgemeinheit finanzierten Inhalten dieser auch zur Nutzung unter einer freien Lizenz offen zugänglich gemacht werden”. Doch ihm geht es nicht (nur) um die Zugänglichkeit der Inhalte (die ja bekanntlich durch eine Initiative der privaten Medien bzw. diverser Verleger eingeschränkt wurde), sondern um eine Lizenz, die es möglich macht, die Inhalte komplett und auszugweise (auch kommerziell) weiterzuverwenden.

An dieser Stelle frage ich mich: Hat Schwarz hier ein wenig weiter gedacht? Oder sieht er die Inhalte nur aus Konsumentensicht und aus Sicht von Wikipedia & Co? Denn was wären die Konsequenzen für diejenigen, die die Inhalte im öffentlich-rechtlichen Programm produzieren?

 

Weiterbearbeitung und ausbleibende Gesprächspartner

Eine Konsequenz wäre, dass andere Rundfunker (und Podcaster und … und … und … ) aus egal welchen Bereichen die Beiträge und O-Töne nach eigenem Gusto in neuen Stücken verarbeiten könnten. Fänd’ ich per se nicht fair. Denn wer hat Lust, unter Mühen und Kosten Interviews und Reportagen auf sich zu nehmen, wenn andere Medienschaffende daraus beliebig eigene Stücke kreieren können – vom Schreibtisch aus, ohne jegliche Beteiligung am Original?

Eine weitere Folge könnte sein, dass es schwieriger wird, O-Ton-Geber zu finden. Nicht wenige Interviewpartner könnten gelinde gesagt überrascht sein, wenn ihre Aussagen plötzlich in einem (eventuell) anderen Zusammenhang in ganz anderen Medien auftauchen.

Über ein mögliches drittes Resultat einer freien Lizenzierung brauche ich nicht viel zu schreiben: Mehrfachverwertungen (mit Vergütung) werden meiner Ansicht nach nahezu unmöglich. Schon heute ist es schwierig, Beiträge mehrfach zu verkaufen. Eine freie Lizenz würde es Sendestationen möglich machen, ganz auf Zukäufe zu verzichten und stattdessen frei lizenzierte Beiträge anderer Sender zu verwerten – für lau, versteht sich.

Letzteren Punkt hat bereits der Juniorprofessor für Organisationstheorie an der Freien Universität Berlin Leonhard Dobusch in einem Whitepaper (PDF) zu Creative-Commons-Lizenzen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgegriffen. Im Whitepaper, dass Schwarz zitiert, geht Dobusch konkret auf die “Unsicherheit bezüglich Vergütung” ein. Er schreibt:
 

“In manchen Bereichen sind die Vergütungssätze, vor allem für freie JournalistInnen und AutorInnen, so niedrig, dass diese auf die Ausschüttung von Wiederholungshonoraren – wenn also andere öffentlich-rechtliche Programme die Inhalte nochmals senden – angewiesen sind.

Ohne Klarstellung von Seiten der Rundfunkanstalten, dass eine Nutzung von Creative Commons keine Auswirkungen auf die Ausschüttung von Wiederholungshonoren hat bzw. es alternativ zu gesonderter Vergütung kommt, befürchten manche für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Tätige Vergütungsnachteile.

Diese Unsicherheit ließe sich jedoch durch entsprechend verbindliche Zusagen von Seiten der Rundfunkanstalten, dass mit einer Creative-Commons-Lizenzierung keine Änderung bei Wiederholungshonoraren verbunden ist, relativ einfach beseitigen.”

 
Gerade das kann und mag ich nicht glauben. Allein in den aktuell bestehenden Urheberverträgen verstecken sich allerlei “Perlen”, die die freien Mitarbeiter direkt benachteiligen.

So existiert beispielsweise beim NDR eine Regelung, die es heute schon erlaubt, Beiträge an andere öffentlich-rechtliche Häuser zur erneuten Ausstrahlung weiterzugeben, ohne dass der freie Autor vorher gefragt wird, geschweige denn etwas vom dafür sonst üblichen Wiederholungshonorar sieht. Und das ist nur ein Beispiel für Benachteilungen, die bereits aktuell bestehen. Angesichts dessen kann ich mir nicht vorstellen, dass ein solches Sparpotential wie Beiträge unter freier Lizenz von den Sendehäusern nicht genutzt würden.

Der Sparzwang vor allem im öffentlich-rechtlichen Hörfunk ist schon heute an allen Ecken und Enden zu spüren. Außerdem gelten Übernahmevereinbarungen nur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sollte es einmal private Hörfunksender geben, die mehr als einen homöopathischen Wortanteil hätten, könnten die im Rahmen der geforderten freien Lizenzen die Inhalte frei übernehmen.

Und noch ein weiteres Problem könnte aus der freien Lizenzierung resultieren: Ein Auftragsrückgang. Schon heute sind Sendeplätze eher spärlich gesät – gerade für Fachautoren.

Bei so manchem Sender ist es beispielsweise so, dass eine Übernahme teurer ist, als wenn der Sender das Stück selbst beauftragt. Für den Autor ist das zwar nicht ideal, aber im Idealfall kann er das Stück so noch einmal verwerten, wenn auch für weniger Honorar als bei der Übernahme. Künftig könnte es aber so sein, dass der Redakteur lieber gleich einen frei lizenzierten und für ihn kostenfreien Beitrag nimmt.

Um die Einführung der freien Lizenzen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu realisieren, plädiert Dobusch außerdem dafür, einfach die Standardverträge zu überarbeiten. Im Rahmen einer “Informationsoffensive” sollen die Medienhäuser “glaubhaft sicher[…]stellen, dass mit Creative Commons keinerlei Vergütungseinbußen für JournalistInnen und sonstige AuftragnehmerInnen verbunden sind”. Das klingt gut, aber wie oben bereits erwähnt, kann ich daran nicht glauben. Ich glaube darüber hinaus nicht, dass fehlende Information der Grund ist, weshalb heutige Inhalte noch nicht CC- oder sonstwie frei lizenziert sind.

 

Öffentlich-rechtliche Inhalte in der Bildung

Noch ein Wort zum Thema “Öffentlich-rechtliche Inhalte in der Bildung”. Tobias Schwarz bezieht sich auf Leonhard Dobusch, der schreibt:
 

“Eine verstärkte Nutzung von Creative-Commons-Lizenzen im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks würde […] eine Weiternutzung […] vereinfachen – etwa im Bildungsbereich”

 
Dabei ist schon heute sichergestellt, dass zum Beispiel Hörfunkbeiträge problemlos für Zwecke der Bildung verwendet werden können. So wurden auch schon Teile meiner Arbeiten für Unterrichtsmaterialien verwendet und ganze Beiträge von Kollegen in Schulbüchern abgedruckt – wohlgemerkt ohne konkrete Vergütung. Das ganze nennt sich “Schulbuchprivileg“. Kurzes Zitat aus der Wikipedia dazu:
 

Das Privileg besteht darin, dass der Nutzung eines Werkes von dem jeweiligen Urheber nicht zugestimmt werden muss, sondern lediglich eine Meldung der Nutzung bei einer Verwertungsgesellschaft oder dem Urheber selbst erfolgen muss. Der Urheber kann der Veröffentlichung nur widersprechen, wenn das betreffende Werk “seiner Überzeugung nicht mehr entspricht, ihm deshalb die Verwertung des Werkes nicht mehr zugemutet werden kann und er ein etwa bestehendes Nutzungsrecht aus diesem Grunde zurückgerufen hat.” (§ 46 UrhG, Abs. 5)

 
Des Weiteren steht im Wikipedia-Artikel, dass die Urheber eine Vergütung bekommen. Das kann ich so nicht nachvollziehen. In den mir bekannten Fällen gab es vom Schulbuchverlag nur die oben genannte Mitteilung. Eine (geringe) Art Vergütung gab es dann im folgenden Jahr über die Ausschüttung der VG Wort.

Die Nutzung öffentlich-rechtlicher medialer Inhalte für Bildungszwecke kann also nicht das stechende Argument für die Nutzung der freien Lizenzen sein.

 

Persönliches Fazit & Schlusswort

Ich möchte mich mit diesem Text auf keinen Fall gegen eine liberalere Lizenzierung von Beiträgen des öffentlich rechtlichen Rundfunks aussprechen.

Ich bin klar dafür, dass die Inhalte von ARD, ZDF, Deutschlandradio & Co frei zugänglich in den Mediatheken bleiben und die unsäglichen Löschfristen wieder beseitigt werden. Ich begrüße es auch ausdrücklich, wenn die Beiträge online in Wikipedia, Blogs und sonstige Webseiten integriert werden können.

Ich bin aber klar dagegen, diese Inhalte zur freien kommerziellen Nutzung (auch im Sinne der Wiederausstrahlung in evtl. nicht kommerziellen Medien [kommerziell ist ja aktuell nicht gänzlich geklärt]) und unbegrenzten – auch auszugsweisen – Weiterverarbeitung freizugeben.
 
Crosspost von Traumfabrik vs. Zwiebelsuppe II
 

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