von Juliana Goschler, 14.1.14
Liest man die Artikel der letzten Tage hintereinander weg, drängt sich der Eindruck auf, man hätte das ganze Thema nur aufgebracht, um verschiedene Level des Blödsinns durchzuspielen. Verzweifelt versucht die geneigte Leserin, irgendeine Linie darin zu erkennen. Vergeblich. Schließlich findet sich dann aber doch wenigstens ein erkennbares Muster: Frauen äußern sich zum Thema Kinder und Familie – Männer kommen und erklären ihnen, dass das ja nun wirklich alles unsinnig sei.
Es begann am 6. Januar. Da schnappatmete Antonia Baum unter der Überschrift “Man muss wahnsinnig sein, heute ein Kind zu kriegen” vor sich hin. Sie ist selbst kinderlos, denn obwohl sie wirklich, wirklich Kinder wolle, habe sie doch “wahnsinnige Angst”, welche zu bekommen, die Herausforderung scheine ihr einfach zu groß, der Anblick gestresster junger Eltern zu abschreckend. Nun ja, ein bisschen aufgeregt das alles. Aber trotzdem werden immerhin einige reale Probleme und nicht völlig unberechtigte Ängste junger Frauen angesprochen.
Prompt erscheint zwei Tage später die beschwichtigende Antwort von Stefan Schulz. “Ihr wollt Kinder? Dann kriegt sie doch!” rät er verständnisvoll jungen Frauen. Alle Besorgnis nur Hysterie, überdrehter Anspruch an sich selbst und – Fehlinformationen in der Eltern-Ratgeberliteratur. Denn darin sei im Prinzip alles falsch. Um seine eigene Kompetenz als positives Beispiel dagegenzuhalten, erfreut uns Schulz mit Weisheiten wie der, dass es “ohnehin normal” sei, “dass mit Kindern im ersten halben Jahr wenig anzufangen ist.” Sie machten es einem einfach, indem sie einfach nur “herumlägen”. Und Väter sollten auch nicht traurig sein, dass “ihre Kinder sich im ersten Jahr von ihnen fast nie, von der Mutter aber immer beruhigen lassen”.
Mit diesen Erkenntnissen kommt Schulz zu dem Ergebnis, dass Kinderhaben schon anstrengend sei, aber: “es war nie so leicht wie heute”. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass es für ihn mit seinem Ansatz der einfach nur herumliegenden Säuglinge, mit denen zumindest der Vater nicht viel zu tun hat, tatsächlich recht einfach ist, Kinder zu haben.
Was aber ist mit den finanziellen Nöten junger Familien? Auch das alles halb so wild, meint Schulz:
Wer aber tatsächlich seine Familie als Wirtschaftseinheit betrachtet, lebt im falschen Jahrhundert. Allenfalls in den ärmsten Ländern leiden Menschen noch unter einer Not, die dieses Denken erforderlich macht.
Ja, nur in den ärmsten Ländern ist es wohl notwendig, dass Journalisten, die bei einer der größten überregionalen Tageszeitungen schreiben, sich solche Gedanken machen müssen. Aber Schulz denkt auch an die nicht so gut Betuchten in Deutschland:
Selbst bei prekärer Beschäftigung muss kaum jemand länger als ein halbes Jahr arbeiten, um sich neben allen laufenden Kosten einen Wäschetrockner und einen Geschirrspüler leisten zu können.
Na, dann ist ja alles bestens. Und so wäre der Fall für die FAZ wohl wieder erledigt gewesen. Aber nun meldete sich noch mal eine Frau zu Wort, diesmal ungefragt. Nämlich die neue Familienministerin Manuela Schwesig, die offenbar auch denkt, dass es für junge Familien in Deutschland nicht einfach sei. Deshalb ihr Vorschlag: Die 32-Stunden-Woche für Eltern – bei gleichem Lohn.
Die FAZ reagierte wieder prompt. Zwei Herren dürfen sich pro und contra äußern. Patrick Bernau argumentiert in seinem Kommentar gegen den Vorstoß der Ministerin. Die Möglichkeit, weniger zu arbeiten bei gleichem Lohn, das bringe nichts, denn viele Deutsche arbeiteten ja jetzt bereits viel länger, als sie bezahlt würden:
Ob hoch entlohnt oder prekär beschäftigt – Millionen von Deutschen arbeiten mehr, als im Tarif- oder Arbeitsvertrag steht.
Sie könnten also rein rechtlich jetzt schon weniger arbeiten bei gleichem Lohn. Täten sie aber nicht. Weil ihnen Arbeit wichtiger sei als Kinder. Nun soll ja aber die Möglichkeit der Arbeitszeitreduzierung auch die Akzeptanz für kürzere oder flexiblere Arbeitszeiten erhöhen. Auch hier hat Bernau eine Antwort. Leider widerspricht sie dem, was er noch einen Absatz früher gesagt hat:
Ob Spanien, Italien, Griechenland – in vielen Ländern arbeiten die Leute mehr als in Deutschland und bekommen trotzdem mehr Kinder.
Also arbeiten denn die Deutschen nun so viel und so gern, oder sind sie die Faulpelze Europas? Und gleichzeitig auch die Kindermuffel, denn die Spanier, Italiener und Griechen schafften es ja auch, sich fortzupflanzen? Herr Bernau hat die Antwort auf diese schwierige Frage. Nicht Kindergartenplätze, nicht gleichberechtigtere Partnerschaften und auch nicht verkürzte Arbeitszeiten seien nötig. Nur den Anspruch müsse man senken:
Für zusätzliche Kinder braucht es keine steuerfinanzierte 32-Stunden-Woche. Stattdessen muss Deutschland von dem Anspruch runterkommen, dass man in allen Lebensbereichen perfekt sein muss. Eltern müssen sich selbst entscheiden können, ob sie zu Hause bleiben wollen, Teilzeit arbeiten oder ranklotzen.
Ach so. Wenn sich Eltern “selbst entscheiden können”, ohne von Deutschlands Perfektheitsanspruch bedrängt zu werden, dann wird schon alles gut.
Man wird den Verdacht nicht los, dass Patrick Bernau selbst noch nicht in der Situation war, sich um Kind und Beruf gleichzeitig kümmern zu müssen. Wie sonst kommt man zu der naiven Annahme, wenn nur irgendein “Anspruch” wegfiele, blieben keine Probleme mehr? Etwa die, dass man einerseits einer Arbeit nachgehen muss, nicht unbedingt nur, weil man “ranklotzen” will, sondern weil man das Geld braucht – unter anderem für das Kind? Oder dass man andererseits zu Hause bleiben muss, weil kein Betreuungsplatz für das Kind zu finden ist?
Alles in allem also ein weiterer Kommentar von jemandem, der beim besten Willen kein Problem erkennen kann. Die Vermutung, dass das vielleicht daran liegt, dass er offensichtlich nicht betroffen ist – aber nein, das wäre zu gemein. Was hat jetzt also noch gefehlt in der Debatte? Richtig, noch ein Mann mit einträglicher Beschäftigung und dem Privileg, nicht hauptverantwortlich für die Kinder zu sein. Aber es kann ja nun eigentlich nur noch besser werden, denn jetzt kommt der Pro-Kommentar – also jemand, der die Probleme von Eltern ernst nimmt und deshalb den Vorschlag der Ministerin befürwortet.
HA! Reingelegt! Denn dort, im Pro-Kommentar von Martin Hock geht es erst richtig ab – und hier bleibt man nicht bei Vagheiten stehen, hier werden endlich wieder ganz konkret Menschen diffamiert. Eltern und Erzieher sind natürlich die, die den Kindern das Leben zur Hölle machen. Völlig ironiefrei beklagt Hock das unmenschliche System:
… wenn also überhaupt einer Kinder bekam, dann ab mit dem Nachwuchs in die Kita, möglichst schnell, möglichst lang und am besten gleich noch über Nacht!
Dass in Deutschland Kitaplätze fehlen, mehr als 200.000 Stück, wohlgemerkt, dass ein Großteil der betreuten Kinder bei Tageseltern untergebracht sind, die Betreuungszeiten anbieten, die den Eltern höchstens einen Teilzeitjob erlauben, das weiß er offensichtlich nicht – vielleicht, weil er noch nie auf einen Kitaplatz angewiesen war, um seinem Beruf nachgehen zu können?
Die karrieregeilen Abschiebemonster, die Herr Hock beschreibt – der ja selber offensichtlich auf eine Karriere verzichtet hat und nun sein bescheidenes Dasein als FAZ-Kommentator fristen muss – erinnern ihn an
… die großbürgerlichen Familien früherer Jahrhunderte. Hier präsentierten die Gouvernanten und Ammen den Eltern am Sonntag die Kinder frisch gewaschen und im besten Ornat. Dann wussten die Eltern wenigstens, wie ihre Sprößlinge aussahen, bevor sie im Internat verschwanden.
Ja, das ist eine der ersten Assoziationen, die man hat, wenn man die abgehetzten Mütter sieht, die von ihrem Arbeitsplatz herbeigeeilt kommen, um ihre Kinder abzuholen. Ein Wunder, dass sie die überhaupt erkennen. Sie sind schließlich bei einer 40-Stunden-Betreuung in der Woche nur noch 128 Stunden pro Woche mit ihren Kindern zusammen. Dass da die Kinder mit diesen Müttern überhaupt mitgehen! Aber was bleibt ihnen anderes übrig, denn Kindergärten und Schulen sind ja nun erst der echte Horror, denn:
Die abgeschobenen Kinder von heute müssen sich mit einer Vielzahl von Erzieherinnen und Lehrerinnen herumschlagen. Das sind heute fast nur noch Frauen – für Jungen ist das ein riesiges Problem.
Frauen! Auch das noch! Ja, gibt’s denn so was! Die armen Jungen. Zu Hause würden sie ja viel besser betreut, von der liebenden Mutter, ach, äh, nee, ist ja auch eine Frau, na, Schwamm drüber, wollen wir das Thema hier lieber nicht weiter vertiefen.
Tja, wenn man also denkt, die analytische Flachpfeiferei sei nicht mehr zu unterbieten, dann hat man eben nicht mit der FAZ gerechnet. Denn wenn die Argumente ausgehen, kann man ja immer noch ein bisschen auf denen herumhacken, über deren Probleme man sich so großzügig herabgelassen hat, etwas zu schreiben.
Wir halten fest: Frauen, Eltern, prekär Beschäftigte, Niedriglohnarbeiter/innen, Alleinerziehende! Regt euch nicht so auf. Es ist alles nicht so schlimm. Beziehungsweise, es ist schon schlimm. Vor allem die Erzieherinnen. Aber es wird alles gut, wenn die Frauen einfach wieder zu Hause auf die Kinder aufpassen und ihre Ansprüche zurückschrauben. Die Männer von der FAZ erklären euch schon, wie man das richtig macht.
Crosspost von Dr. Mutti